Als "Wiege des Lebens" werden die Ozeane gerne bezeichnet – ganz zu Recht. Die ersten Lebensformen, die sich auf unserem Planeten entwickelt haben, bewohnten die Meere. Erst über die Jahrmillionen entstiegen die ersten landlebenden Spezies dem Wasser. Doch die einstige Wiege des Lebens wird nun vor unseren Augen zur Todeszone: Wenn wir nicht gegensteuern, wird bis zum Ende des Jahrhunderts ein großer Teil der im Meer lebenden Arten ausgestorben sein, wie zuletzt eine Studie im Fachblatt Science zeigte.

Das Braunkehlchen, eine vom Aussterben bedrohte heimische Vogelart.
Foto: APA/BIRDLIFE ÖSTERREICH/HM BERG

Der massive Artenschwund in den Ozeanen ist nur eine weitere Facette dessen, was Wissenschafterinnen und Wissenschafter als das sechste große Massenaussterben bezeichnen. Fünfmal in der Geschichte des Planeten gab es massive Artenverluste, die im Schnitt je 70 bis 75 Prozent aller Spezies auf der Erde dahinrafften. Während frühere Sterbewellen durch dramatische Umweltveränderungen oder Asteroideneinschläge – wie jenen, der zum Aussterben der Dinosaurier führte – ausgelöst wurden, ist der aktuelle Artenverlust anders: Eine einzige Spezies ist dafür verantwortlich – Homo sapiens.

Biodiversitätsschwund

Auch in Österreich ist der Biodiversitätsschwund gewaltig: Allein in den vergangenen 20 Jahren sind 42 Prozent der Brutvögel der heimischen Kulturlandschaften verschwunden. Jede dritte Art, die in Österreich heimisch ist, gilt aktuell als bedroht. Und trotz des jetzt schon gewaltigen Ausmaßes des Artenverlusts wird vom großen Sterben und den ökologischen Folgen bisher wenig Notiz genommen. Gebührende Aufmerksamkeit wäre aber gerade jetzt wichtiger denn je: In wenigen Jahren wird sich das Zeitfenster schließen, in dem es uns noch möglich wäre, die größten Verluste abzuwenden.

Zu den wichtigsten Maßnahmen, um das Massensterben aufzuhalten, zählen die massive Reduktion unserer Emissionen im Einklang mit dem Pariser Klimaabkommen, die Schaffung von Schutzzonen auf dem Land und im Meer sowie Änderungen bei der Landnutzung und Maßnahmen gegen Verschmutzung und Bodenversiegelung. Gerade bei letzterem Übel zählt Österreich im internationalen Vergleich zu den Spitzenreitern. An Vorschlägen, dem Problem beizukommen, mangelt es nicht.

Wer annimmt, dass es bei Maßnahmen gegen das Artensterben primär darum geht, ein paar Eisbären oder seltenen Vögeln einen Gefallen zu erweisen, irrt. Eisbären und Blauracken haben unseren Schutz verdient, aber es geht um viel mehr. Die Artenvielfalt zu erhalten ist in unserem ureigensten Interesse. Eine intakte Natur ist die Grundlage für gesellschaftliches Wohlergehen. Stabile und vielfältige Ökosysteme, die sich über Jahrmillionen auf unserem Planeten entwickelt haben, dienen uns als Sicherheitsnetz. Sie schützen uns vor Naturgefahren und stellen die Produktion von Nahrungsmitteln sicher. Wir dürfen auf diese Schutzfunktion nicht leichtfertig verzichten, schon gar nicht angesichts der enormen Herausforderungen, die uns durch die Klimakrise bevorstehen. (Tanja Traxler, 3.5.2022)