"Möglicherweise war Österreich bisher besser bewertet, als wir tatsächlich waren", sagt Fritz Hausjell von Reporter ohne Grenzen.

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Vom Vergleich mit früheren Rankings der weltweiten Pressefreiheit rät Reporter ohne Grenzen wegen eines 2022 neuen Bewertungsschlüssels (mehr dazu unten im Infokasten) ab. Zu Österreichs Glück.

2021 stufte die Menschenrechtsorganisation den Grad der Pressefreiheit in dieser Republik noch auf Platz 17 unter 180 bewerteten Ländern der Welt ein. Nach Punkten war schon das die schlechteste Platzierung in einem Ranking von Reporter ohne Grenzen. 2022 landet Österreich nun auf Platz 31.

Woran liegt das Urteil von Wissenschaftern und Branchenkennern, in Österreich sei es um die Pressefreiheit gerade noch "ziemlich gut" bestellt? Aber eben nicht "gut" wie in den acht bestplatzierten Staaten Norwegen, Dänemark, Schweden, Estland, Finnland, Irland, Portugal und Costa Rica?

Update: Wirtschaftliche Rahmenbedingungen stärker bewertet

Erhard Stackl, Vizepräsident von Reporter ohne Grenzen Österreich, erklärt den Absturz Österreichs nach den neuen Bewertungskriterien so: "Bei der Erstellung des Rankings werden nun die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen stärker berücksichtigt. Angesichts der international negativ hervorstechenden Inseratenaffären und einer nicht an der Qualität orientierten Medienförderung ist das der Hauptgrund für den Absturz Österreichs."

"Bisher womöglich besser bewertet als wir waren"

"Womöglich war Österreich bisher besser bewertet, als wir tatsächlich waren", sagt Fritz Hausjell. Der Kommunikationswissenschafter und Präsident von Reporter ohne Grenzen in Österreich, sieht einen prall gefüllten Rucksack von Hemmnissen für Journalistinnen und Journalisten.

Hausjell ist seit einigen Jahren einer der Expertinnen und Experten, die die Lage der Pressefreiheit in Österreich für Reporter ohne Grenzen bewerten. Die Namen würden von Reporter ohne Grenzen grundsätzlich nicht bekanntgegeben, damit auf diese kein Druck ausgeübt werde, sagt Hausjell. Weltweit würden mehrere hundert Kenner der Branche und der medienpolitischen Entwicklung in Regionenen und Ländern den Grad der Pressefreiheit bewerten, nun nach einem neuen Bewertungssystem (Infokasten)

Angriffe bei Corona-Demos

Reporter ohne Grenzen verweist auf "heftige Anfeindungen" gegenüber Journalistinnen und Journalisten bei Demonstrationen gegen Corona-Maßnahmen. "Zahlreiche körperliche Angriffe" insbesondere in Deutschland, Frankreich, Österreich, Italien und den Niederlanden flossen in die Reihung ein. Beleidigungen und Drohungen beobachtete man aber "auf dem gesamten Kontinent".

Informationsfreiheit

Als letztes Land in Europa hat Österreich noch ein Amtsgeheimnis statt eines Informationsfreiheitsgesetzes – trotz jahrelanger Ankündigungen.

Whistleblower

Whistleblower seien nur ungenügend geschützt – wie sich etwa im Fall des Ibiza-Detektivs Julian H. gezeigt habe. Seinem heimlich aufgenommenen Video über die politischen und medialen Machtfantasien des damaligen FPÖ-Chefs Heinz-Christian Strache verdanke etwa der ORF, dass die Regierung von ÖVP und FPÖ 2019 nicht mehr umsetzen konnte, was sie in Sidelettern vereinbaren konnte.

ORF-Sideletter

In die Bewertung von Reporter ohne Grenzen (Stand: Anfang 2022) seien etwa auch die erst nun aufgedeckten geheimen Regierungsvereinbarungen eingeflossen. ÖVP und FPÖ hatten regierungsabhängige Budgetfinanzierung für den ORF statt Gebühren vereinbart, erinnert Hausjell. Und die Deals über ORF-Führungsjobs im öffentlich-rechtlichen Rundfunk auch mit den Grünen wirkten natürlich "gravierend" negativ auf die Bewertung der Pressefreiheit.

Medienförderungen, Regierungswerbung

Der Abfluss von Werbegeld an Digitalriesen bei (bis Jahresbeginn) gleich bleibenden Medienförderungen verschlechtere die ökonomische Situation der Medien in Österreich. Die 2022 neue Digitalförderung könne diesen Faktor verbessern, räumt Hausjell ein, kritisiert aber den Ausschluss rein digitaler Medien auch von dieser Förderung. Forschung habe 2021 aufgezeigt, wie stark öffentliche Stellen vor allem in Boulevardmedien Werbung buchen. Hausjell spricht von "politischer Steuerung zugunsten affirmativer Berichterstattung", statt Medienvielfalt zu fördern.

Inseraten- und Umfrageaffäre

Inseraten- und Umfrageaffäre führten im Bewertungszeitraum zu den ersten Hausdurchsuchungen im Bundeskanzleramt und zum Rücktritt von Kanzler Sebastian Kurz, erinnert Hausjell zur Erklärung der Bewertung. Die Ausläufer von Message-Control und Kanzler-Anrufe in Redaktionen fielen ebenfalls in die relevante Zeit.

"Das alles sind mehr als nur Nadelstiche gegen einen Journalismus, der idealerweise in einer liberalen Demokratie seine Arbeit möglichst ungehindert erbringen kann." Die neuen Bewertungskriterien berücksichtigten stärker die Förderung des freien Journalismus und seiner Bedingungen. (Harald Fidler, 3.5.2022)