Vielfalt ist eine der zentralen Stärken der Linux-Welt: Gefällt einem der von Ubuntu gewählte Desktop nicht, greift man einfach zu einem anderen. Kann man mit den technologischen Entscheidungen von Devuan nichts anfangen, gibt es zahlreiche Alternativen. Eine Default-Wahl gibt es schlicht nicht.

Organisiertes Chaos

Ganz so chaotisch, wie das zunächst klingen mag, ist die Entwicklung des Open-Source-Systems trotzdem nicht. Denn natürlich gibt es gewisse Kerntechnologien, die zwar nicht fix festgeschrieben sein mögen, auf die sich aber über die Jahre ein Großteil der Linux-Welt verständigt hat. Neben dem unumstößlichen Linux-Kernel selbst waren das in den vergangenen Jahren etwa das viele zentrale Systemdienste zur Verfügung stellende Systemd oder auch das Wayland-Protokoll als Nachfolger von X11 zur Abwicklung der Grafikausgabe.

Fedora 36 in der Workstation-Version.
Screenshot: Proschofsky / STANDARD

Natürlich entsteht dieses gemeinsame Verständnis nicht von einem Tag auf den anderen, sondern ist Ergebnis eines oft jahrelangen und – sagen wir einmal – "angeregten" Diskussionsprozesses. Während viele Projekte lieber zuwarten, bis sich eine Mehrheitsmeinung gebildet hat, gibt es eine Distribution, die seit Jahren konsequent bei neuen Entwicklungen voranschreitet: Fedora.

Ein Blick in die Zukunft

Entsprechend ist es längst nicht nur für Fedora-Nutzerinnen von Interesse, was sich bei der maßgeblich von Red-Hat-Entwicklerinnen vorangetriebene Distribution mit neuen Versionen so tut – bieten diese doch dadurch oftmals einen Blick in die Zukunft der Linux-Welt als Ganzes. Mit Fedora 36 gibt es im halbjährlichen Rhythmus nun eine neue Ausgabe der Distribution, die der STANDARD vorab schon einmal etwas näher unter die Lupe genommen hat.

Linux-Begriffe, einfach erklärt

Bevor es losgeht aber noch ein wichtiger Hinweis: Wer die Hintergründe zu den folgenden Technologien besser verstehen will, der sei auf unser Linux-Begriffslexikon verwiesen, mit dem viele der genannten Begriffe möglichst verständlich erklärt werden sollen. Dieses wurde auch gerade erst grundlegend überholt, und enthält einige neue Bereiche sowie überarbeitete Passagen – etwas zu Pipewire, "Rolling Releases" und Live-Systemen.

Installation

Die Installation eines Linux-Systems ist heutzutage mit wenigen Klicks erledigt.
Screenshot: Proschofsky / STANDARD

Heutzutage ist das kaum mehr vorstellbar, aber in früheren Jahren nahm der Installationsvorgang in Tests von Linux-Distributionen tatsächlich einen großen Teil des Platzes ein. Dass das schon länger nicht mehr so ist, ist in diesem Fall aber ein gutes Zeichen, sind doch die Installer mittlerweile alle ziemlich einfach nutzbar geworden. Zudem können neue Distributionen dank Live-Systemen direkt von einem USB-Stick – also ohne fixe Installation – ausprobiert werden.

All das gilt auch für Fedora: Der Installer von Fedora 36 präsentiert sich gegenüber den Vorgängerversionen praktisch unverändert. Mit ein paar Klicks ist alles erledigt. Wenn man nicht gerade den lokalen Datenträger händisch aufteilen will, ist dieser Vorgang auch äußerst einfach zu erledigen.

Gleichzeitig wirkt all das mittlerweile etwas angegraut und könnte mal ein grundlegendes Redesign vertragen. Genau das ist derzeit übrigens in Planung, auf Basis des Administrationstools Cockpit soll eine neue Oberfläche entwickelt werden. Wann diese fertig wird, ist natürlich noch einmal eine andere Frage.

Gnome 42

Aber kommen wir zurück zu Fedora 36: Den Default-Desktop bildet wie gewohnt Gnome, und zwar dessen vor wenigen Wochen veröffentlichte Version 42 – also die aktuelle Ausgabe. Über diesen wurden schon an anderer Stelle viele Worte verloren, insofern sei für ausführliche Informationen zu allen Neuerungen beim Desktop auf den passenden Artikel verwiesen.

Hier nur das Wichtigste: Zu den Highlights von Gnome 42 gehört ein systemweiter Dark Mode, passend dazu können auch Wallpaper nun jeweils zwei Varianten haben, die automatisch mitgewechselt werden. Fedora bietet dabei natürlich gleich einige passende Hintergründe – zusätzlich zu den Default-Wallpapers von Gnome, versteht sich.

In den Systemeinstellungen lässt sich zwischen Light und Dark Mode wählen. Viele Wallpaper gibt es nun ebenfalls in zwei Varianten, die parallel dazu mitwechseln.
Screenshot: Proschofsky / STANDARD

Gnome in seiner puren Form

Jenseits solcher Oberflächlichkeiten übernimmt Fedora die Gnome-Software aber praktisch unverändert. Wo andere Distributionen den Desktop in allerlei Hinsicht anpassen, gibt es ihn hier in einer puren Variante. Das zeigt sich auch bei der Softwareausstattung, die nur marginal von den Gnome-Empfehlungen abweicht und die meisten Programme aus dem Upstream-Projekt übernimmt. Die auffälligste Abweichung ist, dass Rhythmbox statt Gnome Music als Musikplayer verwendet wird.

Das heißt auch, dass man aktuell einen Tausch bei den mitgelieferten Programmen vornimmt: Mit Fedora 36 wird erstmals der neue Gnome Text Editor statt des gewohnten Gedit mitgeliefert. Das neue Programm zeichnet sich unter anderem durch eine Autospeicherfunktion und eine modernere Codebasis aus. Was hingegen noch fehlt, ist Gnome Console, ein neuer, sehr einfacher Terminal-Emulator. Stattdessen ist weiterhin Gnome Terminal dabei, Gnome Console lässt sich aber zumindest nachinstallieren.

Runde Angelegenheit

Eine der weiteren Neuerungen von Gnome 42 ist eine überarbeitete Detailansicht zu einzelnen Programmen. Sinnvoll ist das vor allem für via Flatpak installierte Anwendungen, die aufgrund einer sie umgebenden Sandbox in ihren Möglichkeiten deutlich eingeschränkt sind.
Screenshot: Proschofsky / STANDARD

Prinzipiell ist der Gnome-Desktop gerade in den vergangenen Versionen deutlich gereift, auch was Look und Performance anbelangt. Aber natürlich ist so etwas auch Geschmackssache. Zudem könnten sich manche daran stoßen, dass bei der Basissoftware gerade ein Umbau an zentraler Stelle stattfindet. Ein Teil der Programme nutzt mit Gtk4 bereits die neueste Generation des grafischen Toolkits, während andere noch Gtk3 verwenden – was zu gewissen visuellen Inkonsistenzen führt.

Viele Alternativen

Der Linux-Desktop ist aber natürlich nicht Gnome allein. So gibt es auch alternative Ausgaben von Fedora – die sogenannten Spins – mit anderen Desktop-Umgebungen. Dazu zählen KDE Plasma 5.24, Xfce 4.16 oder auch LxQt 1.0.0, das erst vor einigen Monaten seine erste stabile Version gefeiert hat und mit einem besonders schlanken Desktop punkten will.

Neue Schriften

Für den visuellen Auftritt spielen Schriften eine wichtige Rolle. Mit Fedora 36 wechselt die Distribution dabei auf die Noto Fonts von Google. Der primäre Grund dafür nennt sich Konsistenz. Diese bieten nämlich eine wesentlich weitere Unterstützung für nichtlateinische Schriften, als es bei den zuvor verwendeten DejaVu Fonts der Fall war.

Wayland schreitet voran

Wayland mag die Default-Wahl, wer damit Probleme hat, kann aber über den Login-Screen weiter eine klassische X.org-Session auswählen.
Screenshot: Proschofsky / STANDARD

Bei der aktuellen Ubuntu-Version war der Umstieg auf Wayland ein großes Thema, das ist bei Fedora anders. Dort nutzt man den X11-Nachfolger nämlich schon seit Jahren. Mittlerweile funktioniert dieser gerade im Zusammenspiel mit dem Gnome-Desktop auch tadellos, in einigen Fällen gar deutlich besser – etwa in Hinblick auf Gestenunterstützung oder Performance.

Und doch gibt es mit Fedora 36 eine nicht ganz unwichtige Neuerung, kommt doch Wayland nun auch im Zusammenspiel mit dem proprietären Grafiktreiber von Nvidia als Default-Lösung zum Einsatz. Wer damit Probleme hat, kann natürlich weiterhin über den Login-Bildschirm eine X11-Sitzung auswählen.

Kernel

Einige der Eckdaten von Fedora 36 via Neofetch.
Screenshot: Proschofsky / STANDARD

Die Basis des Systems bildet der Linux-Kernel in der Version 5.17 und damit die aktuellste Ausgabe der Software. Damit gibt es hier eine deutlich neuere Version als bei der aktuellsten Ausgabe von Ubuntu, wo Linux 5.15 zum Einsatz kommt. Der Grund dafür ist eine unterschiedliche Herangehensweise an das Thema. Während Ubuntu sich bei der Kernel-Wartung primär auf Fehlerbereinigungen beschränkt, liefert Fedora auch große Versionssprünge regelmäßig als Update. Insofern greift Ubuntu zu einer mit Langzeitsupport versehenen Version des Kernels – wie es Linux 5.15 eben ist –, während Fedora einfach von der einen Version zur nächsten springt.

Weiter Eckpunkte sind die gcc 12, die glibc 2.35 und llvm 15. Das für Java genutzte OpenJDK wurde von der Version 11 auf 17 aktualisiert. Es gibt OpenSSL 3.0, Golang 1.18 und Ruby 3.1. Bei den Desktop-Programmen stechen Libreoffice 7.3.2.2 sowie Firefox 100 heraus.

Flatpaks und RPMs

Früher galt Fedora als Distribution für Puristen, wo es schwer ist, proprietäre Software zu nutzen. Mittlerweile können aber externe Paketquellen – etwa für den Grafiktreiber von Nvidia selbst oder auch für Google Chrome – schon beim Einrichten des Desktops über einen Klick aktiviert werden.
Screenshot: Proschofsky / STANDARD

Zumindest in der Workstation-Ausgabe wird für die Programmauslieferung weiter das klassische RPM-Format verwendet. Alternativ können aber auch Flatpaks verwendet werden, dafür reicht es, beim Einrichten des Desktops Programme aus Drittquellen zuzulassen. Dann gibt es eine gefilterte Auswahl des Angebots auf der Flatpak-Plattform Flathub.

Und doch wirkt all das derzeit irgendwie inkonsequent umgesetzt. Parallel dazu betreibt Fedora nämlich auch noch ein eigenes Repository für Flatpak-Pakete – eine Dopplung, die für die Nutzer reichlich verwirrend ist und bei der sich langsam auch die Sinnfrage stellt. Wenn man schon Flathub direkt integriert, könnte man sich ruhig das eigene Angebot in dieser Hinsicht sparen – zumal es ohnehin die klassischen RPM-Pakete doppelt.

Nur eine Option

Von Haus aus installiert Fedora übrigens ohnehin weiterhin keine Flatpaks – also zumindest in der Workstation-Ausgabe. Bei den alternativen Desktop-Varianten Silverblue (Gnome) und Kinoite (KDE Plasma), die um ein unveränderliches Kernsystem aufgebaut sind, stellen diese hingegen die zentrale Quelle für Programme dar.

Technische Details

Zu alldem kommen einige Umbauten an der Basis des Betriebssystems. Dazu gehört, dass die Datenbank für all die installierten RPM-Pakete nun im Ressortbaum nicht mehr unter /var, sondern unterhalb von /usr zu finden ist. Klingt nach einem technischen Detail, hat aber durchaus relevante Auswirkungen.

Damit soll nämlich die Trennlinie zwischen Bereichen, wo die Nutzer selbst Änderungen vornehmen können, und denen, wo das nur über Tools (also etwa das Paketmanagement) stattfinden soll, klarer gezogen werden – auch mit dem Hintergedanken, Snapshots und Rollbacks des Systems weiter zu vereinfachen.

Bei den bereits erwähnten Silverblue und Kinoite ist man schon eine Spur weiter. Da gibt es diese Trennung schon länger, mit Fedora 36 kommt allerdings hinzu, dass das gesamte /var-Verzeichnis auf einem eigenen Subvolume eingehängt wird. Hier nutzt man die Möglichkeiten, die sich durch den vor einigen Versionen vorgenommenen Wechsel auf btrfs als Dateisystem ergeben.

Vermischtes

Weitere Änderungen in der aktuellen Version: Der erste Nutzer wird nun automatisch als Admin festgelegt, bisher musste diese Option manuell aktiviert werden. Der Grund dafür: Die Statistiken von Fedora zeigen, dass der allergrößte Teil an Workstation-Installationen Single-User-Systeme sind, wo diese Trennung nicht mehr so viel Sinn ergibt. Wer darauf beharrt, kann aber natürlich weiter diese Rollen getrennt halten.

Zur Auflockerung zwischendurch: Die Auswahl der vorinstallierten Programme in der Workstation-Ausgabe von Fedora 36.
Screenshot: Proschofsky / STANDARD

Besonders umstritten ist in der Linux-Welt immer alles, was mit dem Entfernen alter Funktionalität zu tun hat. Insofern hatte auch die folgende Änderung im Vorfeld für Diskussionen gesorgt: Fedora hat die Framebuffer-Treiber (FBDEV), die auf sehr alten Systemen zur Display-Ausgabe direkt am Anfang des Bootprozesses genutzt wurden, entfernt.

Altlasten

Der Grund dafür: Der entsprechende Code wird seit langem nicht mehr gewartet und ist schon seit rund einem Jahrzehnt als "veraltetet" markiert. Vor allem aber gibt es mit SimpleDRM mittlerweile einen moderneren Ersatz, der nahtlos die Lücke füllen kann.

Trotzdem zeigt dieses Beispiel gut, wie komplex es oft ist, Altlasten zu entfernen. In dem Fall mussten Anpassungen an zahlreichen anderen Komponenten vorgenommen werden. Die Palette reicht vom alten Grafikserver X.org über den Login-Manager GDM bis zur grafischen Bootausgabe via Plymouth.

Cockpit

Mit Cockpit bietet Fedora seit einiger Zeit ein recht mächtiges Tool zur Administration von Systemen an, was vor allem für größere Installationen etwa im Firmenumfeld gedacht ist. Mit Fedora 36 kann diese nun auch File Shares via SMB oder NFS einrichten.

Wer sich mit Gnome nicht anfreunden kann, für den gibt es Fedora auch mit anderen Desktops. Im Bild etwa die Kinoite-Version mit KDE Plasma als Desktop.
Screenshot: Proschofsky / STANDARD

Download

Fedora 36 steht wie gewohnt in Form eines Live-Images zum Download. Neben der Workstation-Ausgabe gibt es noch Ausgaben für Server und das "Internet der Dinge", dazu kommen dann die bereits erwähnten Spins mit anderen Desktops sowie eben Silverblue und Kinoite, in denen neue Konzepte für eine mögliche Workstation-Zukunft ausprobiert werden.

Fazit

Fedora hatte lange den Ruf als "Cutting Edge"-Angebot unter den Linux-Distribution: ein System, das zwar sehr neu, aber dadurch oft auch stärker fehlerbehaftet als andere Angebote ist. Das stimmt so heute nicht mehr. Zwar ist die Ausstattung noch immer deutlich moderner als bei manch anderer Distribution, dennoch liefert die Community hier ein sehr rundes Produkt ab. Insofern drängt sich Fedora zunehmend auch für jene auf, die einfach einen simplen Linux-Desktop suchen. (Andreas Proschofsky, 10.5.2022)