Bundespräsident Alexander Van der Bellen fordert nach dem Absturz im Pressefreiheitsranking eine Trendumkehr.

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Auf Medienministerin Susanne Raab (ÖVP) warten viele Baustellen.

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Paris/Wien – Österreich entfernt sich weiter von der Gruppe der Staaten mit völlig freier Presse. Im am Dienstag veröffentlichen Pressefreiheitsindex von Reporter ohne Grenzen (RSF) liegt es nur noch auf Platz 31 und damit im Mittelfeld der Staaten mit einer "zufriedenstellenden" Pressefreiheit – der STANDARD berichtete. RSF Österreich sprach von einem "katastrophalen Absturz" von Platz 17 im Vorjahr. Medienministerin Susanne Raab (ÖVP) teilte mit, sie wolle sich das Bewertungssystem "genau ansehen".

Besorgt zeigte sich auch Bundespräsident Alexander Van der Bellen. "Das muss uns eine Warnung sein", kommentierte er den Absturz. "Diese Tendenz muss nicht nur gestoppt, sie muss umgekehrt werden", forderte er.

"Daraus kann man die richtigen Schlussfolgerungen ziehen"

Reporter ohne Grenzen begrüßt Raabs Vorhaben. Die Bewertung zeige sehr genau, weshalb Österreich so abgestürzt sei, erklärte Corinna Milborn, Vizepräsidentin von Reporter ohne Grenzen und Infochefin von Puls 4, in einer Reaktion auf Raabs Statement. Die Bewertung zeige sehr genau auf, was zu tun wäre:

  • Die Vergabe öffentlicher Gelder an Medien müsse nach transparenten und objektiven Qualitätskriterien erfolgen, eine Anspielung insbesondere auf die Werbebuchungen öffentlicher Stellen.
  • Der Zugang zu Informationen insbesondere öffentlicher Stellen müsse garantiert werden – noch immer fehle ein Informationsfreiheitsgesetz.
  • Und die Sicherheit von Journalistinnen und Journalisten (und Whistleblowern) müsse gewährleistet werden – etwa bei Demonstrationen.

"Daraus kann man die richtigen Schlussfolgerungen ziehen", erklärte Milborn. Die von Medienministerin Raab in ihrer Reaktion erwähnten geplanten Maßnahmen reichten nicht aus, erklärte die RSF-Vizepräsidentin.

2018 war Österreich noch auf dem elften Platz in der jährlich aktualisierten Liste gelegen. Im Ibiza-Jahr 2019 musste es die Topgruppe verlassen und lag seitdem zwischen den Plätzen 16 und 18. "Schluss mit Ausreden – diesen Absturz kann man nicht mehr schönreden", kommentierte RSF Österreich das Ergebnis. Als Gründe für die massive Verschlechterung wurden neben Angriffen auf Journalistinnen und Journalisten bei Corona-Demos auch "Schikanen seitens der Polizei, bezahlte Umfragen in Boulevardmedien und eine Politik, die durch Korruption und Bestechung geprägt ist" genannt.

Informationsfreiheitsgesetz fehlt

Die vom Wiener Kommunikationswissenschafter Fritz Hausjell geleitete Österreich-Sektion beklagte, dass Österreich heute das einzige EU-Land ohne Informationsfreiheitsgesetz sei und auch "der Ruf nach einem sinnvollen Medienförderungsgesetz, bei dem Qualität statt Boulevard (Auflage) gefördert werden, (...) bisher ungehört" geblieben sei. Auch "die ständige parteipolitische Einflussnahme auf den ORF muss dringend ein Ende haben".

Vielen Baustellen für Raab

Raab äußerte sich in einer ersten Reaktion zurückhaltend. "Was das aktuelle Ranking des Vereins Reporter ohne Grenzen betrifft, werden wir uns das Bewertungssystem und die Ableitungen genau ansehen, sobald der Bericht vorliegt, und in unsere Gespräche mit der Branche einfließen lassen", teilte sie der APA mit.

"Klar ist, dass wir weiterhin jeden Tag alles dafür tun müssen, das hohe Gut der Pressefreiheit in Österreich weiter zu schützen, damit Journalistinnen und Journalisten frei, sicher und unabhängig ihrer Arbeit nachgehen können", so Raab.

Die Ministerin wies darauf hin, dass sie nach ihrem Amtsantritt "einen umfassenden Prozess an Medienkonferenzen gestartet" habe. Im Fokus stehe dabei die Neustrukturierung von Medienförderung, Medientransparenz und Inseratenvergabe. In einer Inseratenaffäre rund um manipulierte Meinungsumfragen ermittelt etwa die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft gegen Ex-Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP). Kurz zog sich deshalb im letzten Herbst aus allen politischen Ämtern zurück.

"Reicht nicht, was die Ministerin da vorhat"

"Es reicht nicht aus, was die Medienministerin da vorhat", reagierte RSF-Präsident Hausjell auf Raabs Erklärung. Ihr Ministerratsvortrag zu Amtsantritt am Jahresbeginn gehe kaum über das hinaus, was ohnehin im Regierungsübereinkommen stehe.

Inzwischen seien aber – von Sidelettern bis ORF-Wahl und Inseratenaffäre – "wesentliche Dinge offenbar geworden", das erfordere "relativ große Reformen". Dazu gehöre auch ein zeitgemäßer Beschickungsmodus für die ORF-Gremien. Im Gegenteil habe Raab – nach dem Befund von Rundfunkrechtler Hans Peter Lehofer – "willkürlich und abseits von gesetzlichen Bestimmungen" den Publikumsrat des ORF besetzt.

Hausjell spricht von einem "demokratiepolitischen Konstruktionsfehler" der ORF-Gremien aus dem Jahr 2001, mit dem eine Mehrheit der Regierungsparteien von 52 Prozent eine Zweidrittelmehrheit in den ORF-Gremien habe. Bisher ignoriere die Medienministerin die "Baustelle" ORF-Gremien, die ebenfalls "zügig anzugehen" sei.

Blimlinger: "Nichts zu beschönigen"

Eva Blimlinger, Mediensprecherin der Grünen, meinte auf APA-Anfrage, dass es "nichts zu beschönigen" gebe. Vielmehr gelte es nun Maßnahmen zu setzen. "Abgesehen vom parlamentarischen ÖVP-Korruptions-Untersuchungsausschuss arbeiten wir aktuell an einer Neuordnung der Medienförderung, -transparenz und -inseratenpolitik. Der umfassende Stakeholderprozess ist abgeschlossen, nun heißt es möglichst schnell die Gesetzesreform auf den Boden zu bringen", so Blimlinger.

SPÖ fordert Konvent für Medienfreiheit

Die oppositionelle SPÖ forderte als Konsequenz aus dem Absturz im Ranking die Einsetzung eines "Konvents für Medienfreiheit", der unter Beteiligung von Zivilgesellschaft, Experten und Opposition die nötigen Reformen erarbeiten soll. "Es braucht dringend ein Medienfreiheits- und Transparenzpaket gegen Inseratenkorruption und Message-Control, um Medien in ihrer unabhängigen Berichterstattung zu unterstützen", erklärte SPÖ-Mediensprecher Jörg Leichtfried. Konkret nannte er auch eine Erhöhung der Presseförderung sowie ein neues ORF-Gesetz mit mehr Unabhängigkeit für die ORF-Gremien.

Neos machen Druck

Ähnlich äußerten sich die Neos. "Eine freie Presse zählt zu den Grundpfeilern einer Demokratie. Die Regierungsparteien, insbesondere die Grünen, dürfen nicht länger tatenlos zuschauen, wie sie langsam, aber sicher stirbt", mahnte Mediensprecherin Henrike Brandstötter. Konkret müssten ÖVP und Grüne "umgehend ein zeitgemäßes Informationsfreiheitsgesetz vorlegen".

RSF wies darauf hin, dass die heurigen Werte wegen einer geänderten Erhebungsmethode nur bedingt mit jenen des Vorjahrs vergleichbar sind. So wurde die Erhebung mit fünf neuen Indikatoren (politischer Kontext, rechtlicher Rahmen, wirtschaftlicher Kontext, soziokultureller Kontext und Sicherheit) auf eine breitere Basis gestellt.

Neue Methode

Die neue Methodologie hat zur Folge, dass weltweit nur noch acht Staaten eine gute Situation der Pressefreiheit attestiert wird (2021: zwölf). Das Maß aller Dinge sind weiterhin die skandinavischen Länder. Norwegen, Dänemark und Schweden bilden das Spitzentrio. Auf die vierte Stelle emporgeschoben hat sich die Ex-Sowjetrepublik Estland (2021: 15). Es folgen Finnland, Irland, Portugal sowie Costa Rica als einziges nichteuropäisches Land der Spitzengruppe.

Während Deutschland vom 13. auf den 16. Platz zurückfiel, wurde Österreich von einer Reihe anderer EU-Staaten überholt. Neben Frankreich (26.) und Luxemburg (21.) sind dies auch die Nachbarländer Tschechien (20.) und Slowakei (27.) sowie die baltischen Staaten Litauen (9.) und Lettland (22.). Im EU-Vergleich liegt Österreich damit nur noch auf Platz 16 von 27. Bestplatzierte Nachbarstaaten sind Liechtenstein (10.) und die Schweiz (14.).

In Österreichs Nachbarschaft liegen nur noch das traditionelle Pressefreiheit-Sorgenkind Ungarn (85.), Slowenien (54.) und Italien (58.) schlechter. Während sich Ungarn leicht verbessern konnte, rutschten die beiden südlichen Nachbarländer noch deutlicher ab als Österreich, das im Index zwischen der Dominikanischen Republik und Spanien liegt.

Besorgnis erregendes Bild

Insgesamt zeichnet die 20. Ausgabe des RSF-Index ein besorgniserregendes Bild. So befindet sich die Pressefreiheit in einer Rekordzahl von 28 Ländern derzeit in einer "sehr ernsten Lage". Zwölf Länder seien auf die rote Liste gerutscht, darunter Belarus (153.) und Russland (155.). Die Schlusslichter bilden Nordkorea, Eritrea, der Iran, Turkmenistan, Myanmar und China. Trotz der Abwahl des Rechtspopulisten Donald Trump als US-Präsident nur marginal verbessert hat sich die Lage in den USA (42.). Dort seien die Medien nämlich weiterhin polarisiert, hieß es.

In demokratischen Gesellschaften wachse die Spaltung durch die Verbreitung von Meinungsmedien und von Desinformation, konstatiert die Medienfreiheitsorganisation. International gebe es eine Asymmetrie zwischen offenen Gesellschaften und despotischen Regimes, die mit ihren Medien und Onlineplattformen Propagandakriege gegen die Demokratie führen.

Drei Trends in Europa

In Europa seien drei Trends zu bemerken gewesen, und zwar die Rückkehr von Journalistenmorden in der EU (Giorgios Karaivaz in Griechenland und Peter De Vries in den Niederlanden), die massiven Anfeindungen und tätlichen Angriffe von Corona-Maßnahmen-Gegnern gegenüber Journalisten in mehreren Staaten wie auch Österreich sowie die Verschärfung von Gesetzen gegenüber Journalisten. Davon betroffen gewesen seien neben Ungarn und Slowenien auch Polen (66.) und Albanien (103.). Serbien (79.) konnte sich hingegen dank der Bekämpfung von Straflosigkeit bei Angriffen auf Journalisten verbessern, auch Tschechien (20.) und Bulgarien (91.) lockerten nach Regierungswechseln ihren Einfluss auf die Presse. Bulgarien konnte so die rote Laterne unter den europäischen Staaten an Griechenland (108.) abgeben.

Gewerkschaft: Qualitätsjournalismus endlich absichern

"Außer Ankündigungen hat die heimische Medienlandschaft von der neuen Medienministerin bis heute leider nichts wahrgenommen", kritisieren Eike-Clemens Kullmann und Stefan Jung, die Vorsitzenden der Wirtschaftsbereiche JournalistInnen und ORF-JournalistInnen sowie ORF-Töchter in der Gewerkschaft GPA, anlässlich des Tages der Pressefreiheit. Um qualitätsvollen, kritisch hinterfragenden Journalismus und damit einen Grundpfeiler für eine funktionierende demokratische Gesellschaft abzusichern und zu stärken, müsse die Politik endlich handeln. "Der neuerliche Absturz im Ranking der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen macht konkrete Schritte noch dringlicher."

"Dafür braucht es vor allem eine Neuausrichtung der Medienförderung mit klar definierten Qualitätsstandards. Die Politik muss hier endlich zur Kenntnis nehmen, dass Qualität messbar ist und dies nicht als Argument vorgeschützt werden kann, warum in dieser Frage nichts weitergeht. Dieser qualitätsvolle Journalismus muss zugleich – egal auf welcher Plattform er stattfindet – mit deutlich mehr Mitteln unterstützt werden", fordert Kullmann in einer Aussendung.

Regierungsinserate

Unabdingbar nötig sei übrigens auch, klare, transparente Regelungen für die Vergabe von Regierungsinseraten zu schaffen. Hier seien auch die Medienhäuser gefordert. "Inserate dürfen keinen Einfluss auf die Berichterstattung in ihren Redaktionen beinhalten. Denn klar ist, wo Propaganda gedeiht, stirbt die Pressefreiheit", sagt Kullmann.

"Nicht nur bei Neuregelung der Vergabe von Inseraten und der Presseförderung ist die Politik säumig", ergänzt Jung, "überfällig ist auch eine Novelle zum ORF-Gesetz, die den ORF als 'Rundfunk der Gesellschaft' unabhängig von politischem Einfluss macht und die ihm den notwendigen Handlungsspielraum garantiert." Dazu gehörten unter anderem eine Gremienreform, die Sicherstellung einer unabhängigen Finanzierung und neue Rahmenbedingungen für die Digitalisierung. (APA, red, 3.5.2022)