Bei einer Diskussion reflektierte der vormalige Bildungsminister Heinz Faßmann seine eigene Rolle während der Pandemie.

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Wien – In der Corona-Pandemie hat sich das Verhältnis von Teilen der Wissenschaft zur Politik, zu den Medien und zur Öffentlichkeit neu geordnet. Den Prozess bewerteten 24 Forscher in einer Studie von Kommunikationswissenschaftern der Uni Wien als "mitunter frustrierend". Der designierte Präsident der Akademie der Wissenschaften (ÖAW), Heinz Faßmann, sah am Montagabend bei einer Diskussion einigen Aufholbedarf in diesen mitunter komplexen Beziehungskisten.

Forscher beklagen viele Probleme

Forscher, die sich in den unsicheren und emotional extrem aufgeladenen Kernzeiten der Pandemie federführend äußerten, wurden teilweise angefeindet, unscharf in Medien wiedergegeben, zu Themen fernab ihrer Expertise befragt, von der Politik in ihrer Einschätzung kaum gehört oder teils nachträglich als Rechtfertiger fragwürdiger Entscheidungen zweckentfremdet. Das sind Ergebnisse der Studie "Wissenschaftskommunikation in der Covid-19-Pandemie" von Daniel Nölleke, Folker Hanusch und Birte Leonhardt vom Wiener Journalism Studies Center.

Beide Seiten der Medaille kennt Faßmann als einstiger Regierungsberater in Integrations- und Migrationsfragen und Bildungs- und Wissenschaftsminister über weite Teile der Pandemie hinweg. "Es gibt Frustration", konstatierte der 66-jährige Geograf, der am 1. Juli seinen Posten als ÖAW-Chef antritt und sich dort auch einer stärkeren Professionalisierung von Politikberatung und Medienarbeit widmen will. In den vergangenen Jahren sind Forscher stark ins Rampenlicht gelangt und wurden von der Politik stärker zurate gezogen als zuvor. Das empfanden viele sicher auch als "motivierend und stimulierend", es mündete aber auch in eine "Überlast der erfolgreichen Erklärer", sagte Faßmann angesichts der Studienergebnisse im Klub der Bildungs- und Wissenschaftsjournalist:innen.

Kritik an Zusammenspiel

Dazu kam Frust, wenn sich das Gefühl einschlich, von Medien übergriffig behandelt oder von der Politik als Feigenblatt für unpopuläre Entscheidungen missbraucht zu werden. Die Entscheidungsträger dürften jedenfalls auch unter dem Anspruch der evidenzbasierten Politik ihre Verantwortung niemals ablegen und die Wissenschaft als "Hilfstruppe für ihre Zwecke" benutzen. Faßmann warnte davor, dass sich die Politik hier ein Stück weit "entpolitisiert".

Solche Tendenzen gab es durchaus – etwa als die mittlerweile berüchtigte "Tischvorlage" in der ersten Phase der Pandemie auftauchte. Darin hatten vor allem Mathematiker mögliche Infektions- und Sterbezahlen vorausberechnet, ohne etwa Dämpfungseffekte zu berücksichtigen oder alternative Szenarien auszubreiten. Die Politik nahm den Ball dankbar auf und verschärfte die Eindämmungsmaßnahmen just an einem Punkt, an dem die Zahlen bereits zurückgingen. Das führte zu viel Kritik – sowohl an der Politik wie auch an den "Experten" – und trug letztlich zu einem ersten Stimmungswandel in der Öffentlichkeit bei.

In dieser "Tischvorlage" hätten es die beteiligten Wissenschafter leider verabsäumt, Wenn-dann-Aussagen zu treffen. Die Grundmessage passte angesichts der dramatischen Bilder aus Italien aber in die politische Stimmung. Die Lehre daraus sei für Faßmann: "Vertraue nicht zu einseitigen, nicht abgesicherten Aussagen."

Faßmann räumte Fehler ein

Mit seinem Ansinnen, die Schulen möglichst offen zu halten, stand Faßmann zuerst auch auf verlorenem Posten. Als Zahlen aus Ländern mit geschlossenen Bildungseinrichtungen niedriger waren, habe er darauf hingewiesen, dass damit automatisch ein weitgehendes Herunterfahren des öffentlichen Lebens einhergehe und der Effekt nicht nur von den Schulen herrühre. Das Argument erschien manchen aber vielleicht schon zu kompliziert.

Dass es im Fortgang der Pandemie dann eine eigene Ampel für die Schulen gab, deren Färbung von jener der Ampelkommission des Gesundheitsministeriums abwich, sei nicht ideal gewesen. Ihm wäre es lieber gewesen, wenn sich die Kommission auch zu den Schulen geäußert hätte, räumte Faßmann ein.

Insgesamt müsse man über Politikberatung durch Wissenschafter intensiv nachdenken. Forschern rät der Geograf dazu, nicht auf Fragestellungen von Politikern zu warten, sondern unabhängige "Gesellschaftsberatung" zu betreiben und nicht zu versuchen, "in der Logik der Politik Beratung durchzuführen". Dazu brauche es auch eine "Kultur der Klarheit" in wissenschaftlichen Studien und Stellungnahmen, "die man aber auch nicht auf Rezept verordnen kann". Damit das gelingt, müssten Institutionen wie Unis oder die ÖAW wiederum die "erfolgreichen Erklärer" unterstützen, auf Interviews vorbereiten und stärken, wenn ihnen die öffentliche Meinung entgegenschlägt. Sehe man sich an, wie viel Unterstützung Politiker hier haben, sei die Situation auch für Spitzenforscher ganz anders. (APA, 3.5.2022)