Die Anteilnahme nach dem Anschlag war groß, doch viele Hinterbliebene warten noch immer auf Entschädigungen.

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Am 2. November 2020 wurde in der Wiener Innenstadt ein 21-Jähriger Mann erschossen. Er war eines der vier direkten Opfer des Terroranschlags, der die Stadt und die Nation erschütterte. Seine Angehörigen wollen Gerechtigkeit, so wie viele andere Hinterbliebene und Opfer. Wie sie an Entschädigungen und Leistungen des Staates kommen, kann unterschiedlich sein, in vielen Fällen ist das mühsam. Und es hängt zum Teil mit einer fundamentalen Frage zusammen: Hätte die Republik Österreich den Anschlag verhindern können?

Das sollen mehrere Gerichtsverfahren klären, bei einem davon fand am Mittwoch der Verhandlungsauftakt statt. Die Eltern und der Bruder des ermordeten 21-Jährigen wollen Entschädigungen dafür, dass die Behörden im Vorfeld des 2. November versagt hätten. Dass es Fehler gegeben hat, stellte bereits eine unabhängige Kommission fest – sie hielt aber auch fest, dass keiner der Fehler "kausal" für den Anschlag gewesen sei.

30.000 Euro unter Vorbehalt

Diese Fehler lassen den Anwalt der Angehörigen, Mathias Burger, aber zur Überzeugung kommen, dass der Bund haftbar gemacht werden kann. Und dass der Familie mehr Geld zusteht, als sie bisher bekommen hat. Laut Burger sind das bisher je 2.000 Euro pro Person nach dem Verbrechensopfergesetz gewesen und 4.500 Euro für die Begräbniskosten. Dazu seien 10.000 Euro pro Person an "Trauerschmerzengeld" gekommen, die aus einem eigens eingerichteten Fonds für die Opfer des Terroranschlags kommen.

Nur: Die 10.000 Euro, so sagt Burger, seien vorbehaltlich zugesprochen worden, es könne also sein, dass die Familienmitglieder sie wieder zurückzahlen müssen. Daher würden sie sie nicht verwenden können. Die Republik solle auch für künftige Schäden aufkommen. Er fordert für die Familie knapp 120.000 Euro. Sollten diese in Summe 30.000 Euro fix zugesprochen werden, wäre man aber bereit, die geforderte Summe bei der Amtshaftungsklage entsprechend zu verringern, sagt er dem STANDARD.

Das Gericht sah es am Mittwoch jedenfalls als fraglich an, ob die Ansprüche der Kläger auf zivilrechtlichem Weg behandelt werden können. Vor einer etwaigen Beweis-Aufnahme soll dies nun noch einmal genauer erörtert werden. Die Finanzprokuraur rechnet damit, dass die Klage abgewiesen wird. Anders sieht das Anwalt Burger, er erwartet die schriftliche Entscheidung darüber in zwei bis drei Monaten.

Martin Tatscher, der für die Finanzprokuratur und damit für die Republik anwesend war, warf der Klägerseite jedenfalls vor, eine "Show-Veranstaltung" zu provozieren – alle Leistungen würden durch den Fonds abgedeckt, ein Prozess sei nicht nötig, argumentierte er. Die Leistungen aus dem Fonds müsse die Familie aber sicher nicht zurückzahlen, versprach er.

Der Onkel des ermordeten jungen Mannes war ebenfalls bei der Verhandlung anwesend. Im Anschluss sagte er vor Journalisten und Journalistinnen: "Es geht nicht ums Geld. Es geht um Gerechtigkeit." Ex-Innenminister Karl Nehammer (ÖVP), sagt er, sei "zu 99 Prozent schuld und wurde dann zum Bundeskanzler gemacht". Er müsse nun endlich Verantwortung übernehmen.

Weiteres Amtshaftungsverfahren läuft ...

Ein weiteres solches Amtshaftungsverfahren – das erste in der Causa – wurde schon wenige Monate nach dem Anschlag für die Mutter einer jungen Kunststudentin eingeleitet. Die Tochter hatte am Abend des Anschlags als Kellnerin gearbeitet und wurde erschossen. In dem Verfahren fand bereits eine Verhandlung statt, bei der in erster Linie Formalitäten geklärt wurden. Seither ist nichts mehr geschehen. Geklärt werden soll auch hier, ob und in welchem Ausmaß Behördenfehler mitschuldig am Tod der Tochter waren.

Die Finanzprokuratur argumentierte zuletzt, dass mit der Errichtung eines Fonds die Interessen der Opferhinterbliebenen bereits befriedigt würden. Auf der Opferseite sieht man das nicht so. Die Summen, die bisher ausgezahlt worden seien, lägen weit unter dem, was im Zuge der Amtshaftungsklage gefordert worden sei, heißt es; man warte nun aber ab, bis man endgültige Summen kenne. Und: Es gehe auch um zukünftige Ansprüche der Opfer, die könne der Fonds gar nicht behandeln.

Und ein weiteres rollt eventuell an

Der Anwalt Karl Newole hingegen versucht nach wie vor außergerichtlich zu einer Einigung mit der Finanzprokuratur zu kommen. Er vertritt rund zwei Dutzend Opfer, die Ansprüche geltend machen. Auf STANDARD-Anfrage sagt er, von diesen hätten nur zwei angegeben, bisher eine adäquate Entschädigung erhalten zu haben. Die anderen seien offenbar noch – eineinhalb Jahre nach dem Anschlag – in einem "Überprüfungsstadium".

Sollten im Lauf des Jahres nicht alle Opfer entsprechend entschädigt werden, werde er gerichtliche Schritte setzen, kündigt Newole an. Auch in Vorbereitung auf eine etwaige Amtshaftungsklage habe er deshalb einen zehnseitigen Fragenkatalog an das Innenministerium geschickt, in dem die Schuld der Republik geklärt werden soll.

Darin fragt Newole etwa danach, wie der Attentäter behördlich überwacht wurde und wie diese Überwachung nun bewertet wird, ob Verfehlungen festgestellt worden seien. Der Anwalt fragt auch nach Waffen- und Kontaktverboten, danach, ob der spätere Attentäter in psychotherapeutischer Behandlung war, und danach, welche "nicht tolerierbaren Fehler" der Behörden man festgestellt habe – übrigens ein Zitat von Karl Nehammer (ÖVP), der zum Zeitpunkt des Anschlags noch Innenminister war.

Welche Ansprüche Terroropfer haben

Opfer von Gewalttaten – und damit auch Anschlagsopfer – haben in Österreich mehrere Möglichkeiten, an Geld für Behandlungskosten und Entschädigungen zu kommen. Erstanlaufstelle ist da die Opferhilfe des Weißen Rings, diese geht von Beratung über Therapieangebote bis hin zur Unterstützung bei Behördenwegen.

Etwa zum Sozialministeriumservice, bei dem Ansprüche nach dem Verbrechensopfergesetz geltend gemacht werden können. Bei diesen gesetzlichen Ansprüchen kann es um unterschiedliche Themen gehen, von der Reparatur einer Brille, die bei der Flucht kaputtgegangen ist, bis hin zum Verdienstentgang, wenn man aus körperlichen oder psychischen Gründen nicht arbeiten konnte. Laut Sozialministerium haben 149 Personen nach diesem Gesetz Leistungen beantragt, 225.000 Euro seien ausbezahlt worden – das meiste davon als Pauschalentschädigung für Schmerzengeld.

Darüber hinaus wurde für die Opfer des Anschlags vom 2. November vor etwa einem halben Jahr ein Entschädigungsfonds eingerichtet, aus dem Opfer und Opferhinterbliebene Geld bekommen sollen, auch da ist die Anlaufstelle der Weiße Ring. Die Fälle werden dann von einem beratenden Gremium besprochen, das festlegt, wie viel Geld man ausbezahlt bekommt.

Laut Weißem Ring haben sich seit dem Anschlag etwa 220 Personen gemeldet, 59 Fälle davon werden im Terroropferfonds bearbeitet. Davon seien 38 von den Experten und Expertinnen besprochen worden, bei acht Personen gebe es eine endgültige Entscheidung. Auszahlungen in Höhe von 500.000 Euro seien da bereits beschlossen worden, zum Teil seien darin aber auch Vorschusszahlungen enthalten, heißt es vom Weißen Ring. In vielen anderen Fällen sei man noch im Abklärungsverfahren, da stünden etwa noch psychiatrische Gutachten aus.

Beim Weißen Ring betont man jedenfalls, dass nicht nur jene, die körperliche Verletzungen erlitten haben, Opfer des Anschlags sind und Hilfe erhalten sollten, sondern all jene, "die mit dem Täter in Berührung gekommen sind und bis heute unter den Folgen leiden". (Gabriele Scherndl, Jan Michael Marchart, 4.5.2022)