Johannes Steinhart nennt sich selbst einen Generalisten. Er ist seit rund 30 Jahren niedergelassener Urologe, war aber fast genauso lange Spitalsarzt in Wien-Hernals.

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Kurz vor der Entscheidung am Dienstag ging es noch einmal rund: Zwei Tage vor der Sitzung der Wiener Ärztekammer, bei der die Mandatare ihren Präsidenten ernennen, wurde eine anonyme Anzeige wegen angeblicher Wählertäuschung bekannt. Sie richtet sich gegen einen Arzt, der Johannes Steinhart unterstützt. Das Timing legt den Verdacht nahe, dass jemand Steinhart noch in letzter Minute als neuen Ärztechef verhindern wollte.

Dieses Manöver ist missglückt: Der 67-Jährige wurde Dienstagnachmittag in der Vollversammlung mit 62 von 81 abgegebenen Stimmen zum neuen Präsidenten gewählt und löst dort nach zehn Jahren Thomas Szekeres ab. Dreimal war Steinharts ÖVP-nahe Liste "Vereinigung" Stimmenstärkste bei der Wahl der Wiener Ärztinnen und Ärzte und er eigentlich Favorit für diesen Posten, doch zweimal taktierte Szekeres geschickt und konnte eine Koalition gegen ihn schmieden. Diesmal verkündete Steinhart nur eineinhalb Wochen nach der Wahl am 19. März, sich die Mandatsmehrheit gesichert zu haben.

Neue Kurien-Obmänner

Zum neuen Obmann der Kurie angestellte Ärzte wurde Stefan Ferenci gewählt, zum neuen Obmann der Kurie niedergelassene Ärzte Erik Randall Huber. Ferenci hatte für die Liste "Turnusärzte für Turnusärzte" kandidiert und war wegen Wählertäuschung angezeigt worden, weil er sich angeblich rechtswidrig als "Lehrpraktikant" in einer Wiener Ordination anmelden habe lassen, obwohl er zwei Facharztpraxen betreibe. Ihm war vorgeworfen worden, er habe mit diesem Schachzug nur Steinhart zu einer Mehrheit verhelfen wollen. Ferenci und auch Steinhart wiesen die Vorwürfe zurück.

30 Jahre Kammererfahrung

Steinhart ist schon drei Jahrzehnte Teil der Standesvertretung. Dass er an einer Sache dranbleibt, ist eine Eigenschaft, die sich schon durch sein gesamtes Berufsleben zieht. Der gebürtige Wiener, der in Schwechat lebt und betreibt im elften Bezirk seit rund 30 Jahren eine Ordination als Kassen-Urologe. Und er war fast genauso lang Spitalsarzt – und war dabei immer am gleichen Krankenhaus.

Als Turnusarzt stieg er beim Ordensspital Göttlicher Heiland in Wien-Hernals ein, als Ärztlicher Direktor und Geschäftsführer verließ er es 2015. Dass er sowohl viel Spitalserfahrung hat als auch das Leben als niedergelassener Kassenarzt kennt und bereits seit 1999 die Kurie der niedergelassenen Ärzte in Wien und seit 2012 im Bund leitet, wird ihm als Kammerpräsident zugutekommen. Steinhart sagt über seine lange Laufbahn sowohl am Spital als auch als niedergelassener Arzt, dass er eben ein Generalist sei – "heutzutage eine eher unmoderne Form". Seine Erfahrung – er ist seit zehn Jahren auch Vizeobmann der Bundeskammer – macht ihn auch zum Favoriten im Rennen um die Präsidentschaft in der Österreichischen Ärztekammer. Darüber wird Ende Juni entschieden.

Verjüngung der Liste

In den vergangenen Jahren hat Steinhart seine Liste umgebaut und mehr junge Kollegen und Frauen an Bord geholt. Die grünen Ärzte, die bislang Szekeres unterstützt hatten, wechselten zu Steinhart, weil sie in den Gesprächen über eine Zusammenarbeit eine Aufbruchstimmung verspürten, wohingegen sich bei Szekeres eine gewisse Behäbigkeit eingeschlichen habe.

Steinhart gilt als harter Verhandler. Dass der Arztberuf ein freier Beruf ist, in dem nach medizinischen Kriterien und nicht nach wirtschaftlichen Maßstäben entschieden wird, ist für ihn eine der wichtigsten Regeln im Gesundheitssystem. Deshalb rückte er auch nicht einen Millimeter von seiner Position ab, dass Primärversorgungszentren nur von Ärztinnen oder Ärzten geleitet werden dürfen. Womit er sich durchgesetzt hat. Auch die solidarische Finanzierung des Gesundheitssystems nennt er als eines seiner wichtigsten Grundprinzipien. Als größte Herausforderung für die nächsten Jahre sieht Steinhart die Verbesserung der Arbeitsbedingungen von Spitalsärztinnen und -ärzten, die Attraktivierung des niedergelassenen Kassenbereichs sowie die Sicherstellung einer wohnortnahen niederschwelligen Gesundheitsversorgung.

Kaffee mit dem Matchgegner

Trotz des Umstands, dass er als Verhandlungspartner als sehr hartnäckig gilt, wird ihm nachgesagt, dass ihm das politische Match mit – in Wien traditionell oft rotem – Gegenüber gut liegt. Mit Franz Bittner, ehemals Obmann der Wiener Gebietskrankenkasse, die mit der Kammer stets Tarife und Leistungen der niedergelassenen Ärzte ausstritt, wurde Steinhart dann auch schon mal kaffeetrinkend in einer rosarot tapezierten Konditorei gesehen. "Das haben wir immer gemacht, wenn die Verhandlungen gesteckt sind", bestätigt Bittner, der inzwischen Ärztekammer-Patientenombudsmann ist. Steinhart habe wie ein Gewerkschafter gekämpft. "Aber es waren immer Gespräche auf Augenhöhe." Überhaupt haftet dem Kammerfunktionär der Habitus eines Großkoalitionärs der alten Schule an.

In seiner Freizeit malt und liest der geschiedene zweifache Vater gerne, er mag Fotografie, Yoga, Radfahren und Kraftsport. Mit dem Motorradfahren hat er vor zwei Jahren aufgehört, aber für alte Autos interessiert er sich immer noch. Also auch privat: ein Generalist. (Gudrun Springer, 3.5.2022)