Denkmalgeschützt, dafür mit grauenhafter Akustik: Im Großen Schwurgerichtssaal musste sich ein 21-fach Vorbestrafter wegen Mordes und Mordversuchs verantworten.

Foto: APa Roland Schlager

Wien – "Die ganzen Geschehnisse haben mich so in Rage gebracht, dass ich das klären wollte", erklärt der 46-jährige Jordan G. dem Geschworenengericht unter Vorsitz von Stefan Apostol. Sein "Klärungsversuch" endete am 14. November in Wien-Floridsdorf mit einer Toten und einem Schwerverletzten, deshalb muss G. sich nun einem Mordprozess stellen.

Anwalt Rudolf Mayer verteidigt G. ambitioniert und optimistisch. Sein 21-fach vorbestrafter Mandant werde sich vollinhaltlich schuldig bekennen, kündigt Mayer in seinem Eröffnungsvortrag an. Der drogenkranke Angeklagte wisse auch, dass ihm wegen seiner Gefährlichkeit eine Einweisung in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher bevorsteht. Für Mayer geht es also nur um die Strafhöhe – und da plädiert er für maximal 20 Jahre.

13 Stiche gegen Ex-Freundin, 25 gegen Nachbarn

Auf die Frage des Vorsitzenden bestätigt der Invaliditätspensionist, dass er sich des Mordes und des Mordversuchs schuldig bekenne. Was zugegebenermaßen naheliegend ist – hat er doch seine 32 Jahre alte Ex-Freundin Tanja damals mit 13 Stichen mit einem Klappmesser getötet und danach den Besitzer der kleinen Wohnung in einer städtischen Einrichtung, wo sich der Mord ereignete, mit 25 Stichen schwer verletzt. Apostol interessiert sich daher primär für die Hintergründe der Tat.

G. erzählt es zunächst ohne besondere Emotion so: "Die Substitutionsmittel wurden mir von ihr entwendet. Ich habe beim Nachbarn, bei dem sie war, geklopft. Ich habe die Dame erblickt, bin auf sie zu und habe sie mit einem massiven Messerangriff zu Tode gebracht." Den Nachbarn habe er attackiert, da der "wild gestikuliert und geschrien hat. Ich dachte, er will mich angreifen."

Ganz so einfach lässt Apostol den Angeklagten aber nicht davonkommen. Er erfährt auf Nachfrage, dass G. und Tanja eine mehrwöchige Beziehung hatten, die nicht allzu lange vor der Tat von ihm beendet worden sei. "Hatten Sie keine Gefühle mehr für sie?", will der Vorsitzende wissen. "Natürlich habe ich sie gerne gehabt. Aber sie hat mich bestohlen." Apostol hält ihm daraufhin eine Sprachnachricht vor, die er knapp zwei Stunden vor der Tat dem Mordopfer hinterlassen hatte. "Liebe Tanja, ich liebe dich", ist darauf zu hören. Der Angeklagte erklärt das so: Wenn die Frau sich bei den Betreuern über ihn beschwert hätte, hätte er seine Wohnung verloren.

Mordopfer soll Angeklagten bestohlen haben

In der Sache bleibt der Österreicher aber dabei: Die ebenfalls suchtmittelabhängige Frau habe ihm seinen Wochenvorrat an Substitutionsmitteln gestohlen. Tatsächlich rief er deshalb die Polizei, die um 12.21 Uhr in der Anlage erschien. Zu seinem Ärger unternahmen die Beamten aber nichts, vor allem da G. nicht einmal ein gültiges Rezept für die Medikamente vorweisen konnte. "Ich nehme an, dass ich aufgrund meiner Vorstrafen nicht die gleichen Bürgerrechte habe", beschwert er sich auch vor Gericht darüber.

Der Einsatz endete laut Polizeiprotokoll um 13 Uhr, fünf Minuten später erschienen wieder Beamte an der Adresse. Diesmal hatte Tanja die Exekutive wegen eines Streits mit gefährlichen Drohungen alarmiert. "Du bist die billigste Nutte, die ich je hatte", soll G. die Frau beschimpft haben, er selbst machte seine Wohnungstür nicht auf. "Ich habe mich schlafen gelegt", sagt er dazu. Um 13.19 Uhr verließen die Beamten das Haus wieder, nicht einmal eine Stunde später war Tanja tot.

Gegen 14 Uhr hatte der Angeklagte beim Nachbarn geläutet, der war einverstanden, dass G. mit Tanja spreche, solange es keinen Streit gebe. Der 46-jährige habe "ganz ruhig" gewirkt, schildert der Nachbar als Zeuge. Er habe gar nicht mitbekommen, dass der Mann eine Waffe dabeihatte, er habe zunächst gedacht, G. schlage der Frau in den Bauch. "Bist du wahnsinnig, du gehst auf eine Frau los!", habe er noch geschrien und G. weggezerrt, dann habe er selbst mehrere dumpfe Schläge gespürt, erinnert der Zeuge sich – tatsächlich waren es Messerstiche. Er flüchtete auf den Gang, wo ihn ein anderer Nachbar in seine Wohnung zog und die Rettung rief.

Zorn und Verzweiflung

Vom Angeklagten will Apostol wissen, warum er 13-mal auf seine Ex-Freundin eingestochen habe. "Um ehrlich zu sein, war der erste Stich tödlich, sie ist gleich zusammengesunken", sagt G. dazu, was laut dem gerichtsmedizinischen Sachverständigen Wolfgang Denk aber nicht stimmen könne, da das Opfer innerlich verblutet sei. "Ich war so zornig, aber auch verzweifelt, dass sie tot ist", begründet der Angeklagte seinen Overkill weiter. Wie man später erfährt, hat G. der Leiche auch noch ins Gesicht gespuckt. "Bei unserer Trennung hat sie mir ins Gesicht gespuckt, damals bin ich ruhig geblieben", sagt der Angeklagte.

"Haben Sie Probleme, Ihren Zorn zu kontrollieren? Man könnte auf die Idee kommen, dass das nicht normal ist", interessiert den Vorsitzenden auch. Eine wirkliche Antwort bekommt er vom Angeklagten nicht, der psychiatrische Sachverständige Siegfried Schranz attestiert in seinem Gutachten G. allerdings eine kombinierte Persönlichkeitsstörung – G. sei zurechnungsfähig, aber gefährlich, weshalb Schranz auch eine Einweisung befürwortet.

"Was haben Sie für eine Perspektive vor sich?", fragt Apostol den Angeklagten auch. "Ich werde schauen, dass ich die Behandlung nutze und meine Erfahrung als Gewaltopfer aufarbeite", kündigt G. an. Seiner Darstellung nach sei er jahrelang als Kind von seinem Stiefvater misshandelt worden. Bei Schranz hatte G. über seine Kindheit noch gesagt, die sei "ganz okay" gewesen. Aus Angst vor der Einweisung, stellt der Angeklagte auf Nachfrage des Verteidigers klar.

Angeklagter spricht von Misshandlungen durch Stiefvater

Diese Gewalterfahrung habe auch dazu geführt, dass er ein Problem mit Autoritäten habe, hält der Angeklagte fest. Beisitzer Christoph Bauer versteht das nicht: "Was wäre denn die Autorität in der Gemengelage gewesen? In der Wohnung war Ihre Ex-Freundin und der Nachbar", will Bauer wissen. "Es war keine da. Ich meinte frühere Verurteilungen", antwortet der Angeklagte.

Opfervertreter Roman Tobeiner sieht in seinem Schlussplädoyer den Versuch einer Täter-Opfer-Umkehr durch den Angeklagten und appelliert an die Geschworenen: "Der Familie ist es ganz wichtig, dass Sie Tanja nicht nur als Junkie sehen. Sie hatte mehrere Facetten." Überhaupt hätten auch Drogenabhängige so einen Tod nicht verdient.

Ein Plädoyer, mit dem sich Tobeiner den Unmut seines Standeskollegen zuzieht. Mayer verwahrt sich in seinen Schlussworten gegen "diese hässliche Unterstellung". Niemand habe dem Opfer eine Schuld gegeben, sein Mandant nutze seine schwere Kindheit auch nicht als Ausrede, aber sie sei ein Faktum. Der Verteidiger zieht alle rhetorischen Register, als er das Gericht nochmals davon zu überzeugen versucht, keine lebenslange Haftstrafe auszusprechen.

Einstimmiges Urteil der Geschworenen

Vergeblich, wie sich nach kurzer Beratung der Geschworenen zeigt. Die sprechen G. einstimmig wegen Mordes und Mordversuchs schuldig, der Angeklagte wird zu lebenslanger Haft verurteilt. Zusätzlich wird er in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher eingewiesen. Bei der Begründung des Strafhöhe gesteht Vorsitzender Apostol G. durchaus den wesentlichen Milderungsgrund eines reumütiges Geständnisses zu, bei einem Unbescholtenen wäre tatsächlich eine zeitlich bedingte Haft denkbar gewesen. Angesichts der massiven Vorstrafenbelastung habe das Gericht in diesem Fall aber gar nicht anders entscheiden können. Nach kurzer Beratung akzeptiert G. das Urteil, womit es rechtskräftig ist. (Michael Möseneder, 3.5.2022)