Der Mann, über den sich Wladimir Putin nur indirekt zu äußern pflegt: der Politiker Alexej Nawalny, zur Stunde und bis auf weiteres inhaftiert.

Foto: Polyfilm

Wer einen Film über Alexej Nawalny machen möchte, hat große Konkurrenz. Nämlich Nawalny selbst. Der bekannteste russische Oppositionelle ist höchst versiert im Umgang mit dem Medien, er ist umgeben von einer Familie von Profis, schon seit Jahren gab es kaum einen Moment in seinem Leben, in dem nicht Handykameras und andere Geräte mitliefen, um alles in rasanter Folge in die Netzwerke auszuspielen.

Der kanadische Dokumentarfilmer Daniel Roher konnte dieses öffentliche Leben für sein Porträt Nawalny im Grunde nur aufgreifen, und versuchen, es durch einige direkte Fragen an den schillernden Politiker zu ergänzen. Und dann kam der russische Geheimdienst, der Gift in die Unterhose von Nawalny schmierte, sodass dieser beinahe auf einem Flug aus Tomsk ums Leben gekommen wäre. Die Geistesgegenwart von Piloten und Ärzten rettete ihm das Leben, in Deutschland wurde er wieder gesund, und Daniel Roher bekam im Schwarzwald, wohin Nawalny mit Familie zur Kur geschickt wurde, Gelegenheit zu weiteren Dreharbeiten.

Männer vom russischen Geheimdienst

Der eigentliche Clou seines Films verdankt sich einem Glücksfall: Christo Grosew, der Mann hinter dem investigativen Portal The Bellingcat, fand heraus, wer den Anschlag verübt hatte. Ein paar Männer vom russischen Geheimdienst, die sich mit ihren Flugprotokollen verraten hatten. Grozev ist eine sehr interessante Hintergrundfigur, in Rohers Nawalny ist er nun selbst zu sehen, die Interviews für den Film gab er übrigens unter anderem im Café Sperl in Wien, der alten Hauptstadt nicht nur der bösen Spione.

Der Schaukampf zwischen Putin (der Nawalny nie beim Namen nennt, ihn nur mit verächtlichen Andeutungen belegt) und Nawalny trat in Deutschland in eine neue Phase. Nun ging es nicht mehr nur darum, die Korruption in Russland mit Youtube-Videos bloßzustellen, sondern darum, Putin direkt anzugreifen. Nawalnys Entschluss, trotz seiner evidenten Gefährdung zu Beginn des Jahres 2021 nach Russland zurückzukehren, hatte wohl auch damit zu tun, dass er sich im Besitz einer ausreichenden Menge von Sicherheiten fühlte: seiner Prominenz, die durch eine geschickt choreografierte Medienoffensive noch wuchs. Das millionenfach angeklickte Video über Putins Palast sollte wie ein Schutzschild wirken.

Geständnis auf Band

Zudem hatte sich Nawalny mit einer Aktion weitere Aktien verschafft, die einen Höhepunkt des Films ausmacht: Bei einem Anruf brachte er einen der Geheimdienstler zum Plaudern und hatte nun de facto ein Geständnis auf Band. Mit einem solchen Blick hinter die Kulissen (Nawalny am Telefon, Grosew bei ihm, die daumendrückende Familie daneben) bekommt Nawalny eine Dynamik, der Roher sich im Grunde nur überlassen kann.

Er bemüht sich ehrenwerterweise, Nawalny auch auf seinen "Nationalismus" anzusprechen, dieses Thema lässt sich naheliegenderweise nicht erschöpfend behandeln. Stattdessen geht der Thriller beim Landeanflug auf Moskau weiter.

Wir wissen inzwischen, dass Nawalny damals sofort verhaftet wurde, umso packender ist es, hier noch einmal aus dem Innersten des oppositionellen Familienbetriebs die Minuten zu erleben, die seine vorerst letzten in Freiheit waren. Für einen tiefergehenden, auch medienreflexiveren Zugang zu dieser charismatischen Figur ist die Zeit vielleicht einfach noch zu früh. Zu viel ist im Fluss, und die Bilderproduktion geht ja munter weiter. (Bert Rebhandl, 4.5.2022)