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Hoch die linke Augenbraue und durch – Carlo Ancelotti ist mit Real, seinem letzten Klub, ins Finale der Champions League unterwegs.

Foto: Reuters/Infantes

"A por el City", "Auf geht's gegen City!": Zu einem seiner letzten ganz großen Spiele hat Carlo Ancelotti schon am vergangenen Samstag aufgerufen, als rund 150.000 Fans von Real Madrid auf der Plaza de Cibeles die 35. Meisterschaft der Königlichen mit der Mannschaft und ihrem italienischen Trainerstar feierten. Denn, auch wenn es gerade jetzt keiner hören will, Ancelotti, den sie Carletto nennen, denkt mit seinen 62 Jahren darüber nach, dem Klubfußball den Rücken zu kehren.

Real Madrid, das heute Abend im Halbfinale der Champions League auf dem Weg zum 14. einschlägigen Titel vor 80.000 im Estadio Santiago Bernabéu ohne David Alaba (Adduktorenbeschwerden) ein 3:4 gegen Manchester City aufzuholen hat, wird sein letzter Klub, sagte Ancelotti in einem Interview mit Amazon Prime. Er würde gern Zeit mit seinen Enkeln verbringen, mit seiner zweiten Ehefrau, einer Kanadierin, urlauben, verriet der Familienmensch aus Reggiolo, einem zwischen Mantua und Parma gelegenen Städtchen. "Es gibt so viele Dinge, die ich vernachlässigt habe. Ich war noch nie in Australien und noch nie in Rio de Janeiro."

Freilich, schränkte Ancelotti ein, will er bei Real bleiben, solange ihn der Klub will, und sollten es noch zehn Jahre sein.

Rekorde, Rekorde

Auszugehen ist davon nicht, auch wenn Ancelotti nach dem Pariser Finale am 28. Mai der erste Trainer sein sollte, der den wichtigsten europäischen Klubbewerb, den Meistercup bzw. die Champions League, viermal gewonnen hat. Der erste Trainer, der in allen fünf europäischen Topligen Meister wurde, ist er seit Sonntag. Davor sammelte er einschlägige Titel mit dem AC Milan (2004), Chelsea (2010), Paris Saint-Germain (2013) und Bayern München (2017) – also jeweils nur einmal.

Man sagt Ancelotti nach, dass er nicht unbedingt der größte Stratege im Geschäft ist, obwohl er genau bei einem solchen lernte, bei Arrigo Sacchi, der einst beim AC Milan eine Mannschaft geformt hatte, die Europas Fußball beherrschte und zweimal den Meistercup gewann. In dieser Mannschaft, bei den "Unsterblichen" mit Franco Baresi, Paolo Maldini und den Niederländern Marco van Basten, Ruud Gullit und Frank Rijkaard, hat Ancelotti selbst noch den defensiven Mittelfeldspieler gegeben, ehe er Sacchi als Trainerassistent zur Squadra Azzurra folgte und 1994 auf der Bank Vizeweltmeister wurde.

Vor Milan war AS Roma, wo Ancelotti, der nur 26 Mal für Italien spielte, einem gewissen Herbert Prohaska in der Meistersaison 1982/83 den Rücken freigehalten hatte. Rücken zu stärken ist eine der ganz großen Qualitäten des Trainers Ancelotti – in aller Ruhe, ohne große Gesten und Töne. Allein die gewohnheitsmäßig hochgezogene linke Augenbraue verrät manchmal, was in Carletto so vorgeht. Zittert sie, sei Alarm, heißt es.

Start erster Verlierer

Zu Beginn seiner Trainerkarriere, die bisher 22 Titel zeitigte, schien er auf zweite Plätze abonniert, mit AC Parma war er einmal, mit Juventus Turin zweimal Vizemeister – in einer ungleich stärkeren Serie A als der heutigen. Den erdverbundenen Bauernsohn aus der Emilia-Romagna hat das nicht verunsichert, viel später sollte er in seiner Autobiografie Quiet Leadership – Wie man Menschen und Spiele gewinnt mitteilen, dass sein Hintern erdbebensicher sei, dass ihn nichts so leicht aus der Bahn werfe.

Bei Chefs wie Silvio Berlusconi, Roman Abramowitsch, dem Emir von Katar, Uli Hoeneß und Florentino Pérez ist das schon eine besondere Qualität. Seine Spieler lassen über Ancelotti ohnehin nichts kommen. Er lässt ihnen das Rampenlicht gerne. Und wenn sie es gerade nicht brauchen, nimmt er sie aus dem Fokus der Aufmerksamkeit.

So brachte er stets auch Problemfälle in die Spur, Karim Benzema, der beste Benzema, den es je gab, ist nur der jüngste Beweis für Ancelottis Geschick im Umgang mit Menschen, die ganz leicht selbst daran glauben könnten, dass sie Halbgötter sind.

"Du würdest töten für ihn", sagte einst Zlatan Ibrahimovic, auch ein nicht ganz Leichter. Ja, Ibrakadabra brachte Carlettos Augenbraue mehr als einmal zum Zittern. (Sigi Lützow, 4.5.2022)