"You better work", singt Dragqueen RuPaul im Dance-Hit Supermodel aus dem Jahr 1993 – die motivierende Glückwunschfloskel ist so etwas wie das Drag-Äquivalent von "Hals- und Beinbruch". Bei RuPaul hat sie ganz offensichtlich Wirkung gezeigt. Er ist die bekannteste Dragqueen weltweit, seine TV-Show Drag Race, bei der die beste Darstellung weiblicher Figuren prämiert wird, wurde zum weltweiten Popkulturphänomen.

Die "Drag Race"-Jury rund um RuPaul: Comedian Ross Mathews, Entertainerin Michelle Visage, Stylist Carson Kressley und Promi-Gast Nicole Richie.
Foto: Imago/Courtesy Everett Collection

Mittlerweile ist ein gar nicht kleines Imperium rund um das Format entstanden, inklusive Liveshows, Messen und Werbeartikel. Außerdem bringt RuPaul regelmäßig Musikalben heraus und schreibt Bücher. Damit hat er der Drag-Kunst wie kaum ein anderer Sichtbarkeit und Akzeptanz verschafft. Trotz dieser Verdienste ist RuPaul in der Community nicht ganz unumstritten. Kritisiert werden seine Einstellung zu transsexuellen Dragqueens oder die "Knebelverträge", die Teilnehmende bei RuPauls Drag Race unterschreiben müssen.

Aufstieg zu Stardom

RuPaul Andre Charles wird 1960 in San Diego geboren. Es heißt, sein außergewöhnlicher Vorname leite sich von "roux" ab, der Basis für kreolische Eintöpfe. Mit 15 Jahren geht er nach Atlanta, Georgia, um eine Theaterschule zu besuchen. Es folgen erste Schritte im Showbiz. In Hoffnung auf den großen Durchbruch zieht RuPaul 1984 nach New York. Dort beginnt er als Dragqueen aufzutreten und ist 1989 im Video zu Love Shack der B52's zu sehen.

Weltweite Prominenz erlangt RuPaul vier Jahre später, als er den Song Supermodel herausbringt und das Lied schnell zum Dance-Hit wird. Kurz darauf nimmt er mit Elton John eine Coverversion von Don’t Go Breaking My Heart auf, wird Testimonial für die Make-up-Marke MAC und bekommt mit The RuPaul Show eine eigene Promi-Talkshow auf dem TV-Sender VH1. Nach der Jahrtausendwende wird es ruhiger um die Dragqueen. In einem Interview mit dem Rolling Stone erklärt RuPaul, er habe in der von Angst und Feindseligkeit geprägten Phase nach den Terroranschlägen von 9/11 aus dem Rampenlicht treten wollen.

Tommy Boy

2009 erklärt er das Ende der Sendepause und schlägt ein neues Erfolgskapitel seiner Karriere auf. Am 2. Februar strahlt der Kabelfernsehsender Logo die erste Folge von RuPaul's Drag Race aus. In der Show müssen Dragqueens jede Folge aufs Neue ihre Fähigkeiten in Schauspiel, Gesang, Tanz, Kabarett oder Schneiderei beweisen. Die Jury unter Vorsitz von RuPaul entscheidet, wie gut oder schlecht die Aufgabe erfüllt wurde. Die beiden schwächsten Teilnehmerinnen kämpfen in einer "Lipsync-Battle" um den Verbleib in der Sendung. Wer mit seinem Playback-Auftritt nicht überzeugen kann, wird von RuPaul mit den zum Kult gewordenen Worten "Sashay away" nach Hause geschickt. Am Ende jeder Staffel wird eine Siegerin gekrönt, mit einem Jahresvorrat an Make-up ausgestattet und erhält ein Preisgeld. Während Bebe Zahara Bonet für ihren Sieg in Staffel 1 bloß 20.000 Dollar erhielt, kassierte die vor kurzem gekürte Gewinnerin von Staffel 14 – (!) Achtung, Spoiler alert: Willow Pill – satte 150.000 Dollar. Schon daran lässt sich der Erfolg des Formats bemessen.

Großer Einfluss

Doch nicht nur das Preisgeld ist gestiegen. Auch auf Produktionsseite wurde ordentlich investiert. Set-Design, Ausstattung und Kamera – alles wurde über die Staffeln hinweg professionalisiert, die Gäste in der Jury immer prominenter. Der teils recht rohe Charme der ersten Folgen ist gewichen. Was als nischige Persiflage auf TV-Wettbewerbe wie America's Next Topmodel oder Project Runway begann, ist zum weltweit erfolgreichen popkulturellen Phänomen geworden.

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"RuPaul's Drag Race" wurde 2021 mit sechs Emmys ausgezeichnet.
Foto: Reuters

Damit einher gehen zahllose Nominierungen und Auszeichnungen mit Branchenpreisen. Allein im letzten Jahr erhielt das Format sechs Emmys, unter anderem für die Show selbst als Wettbewerbsprogramm und für RuPaul als Gastgeber. Auch beim Publikum kommt die Sendung gut an, wie die hohen Onlinebewertungen auf relevanten Plattformen wie "Rotten Tomatoes" oder "imdb" zeigen.

"Drag Race hat die gesamte Wahrnehmung der Drag-Kunst positiv verändert. Außenstehende sehen, wie viel Arbeit, Herz, Schmerz und Können hinter den glitzernden Auftritten steckt", sagt auch Tamara Mascara, eine der bekanntesten Dragqueens Österreich. Sie widmete sich der Kunstform, schon lange bevor es RuPaul's Drag Race gab. Die Show beeinflusse die lokale Szene jedoch stark, so die Dragqueen: "Viele Newcomer denken, sie müssen mit US-amerikanischen Slang-Ausdrücken um sich werfen, und versuchen zwanghaft, die Charaktere aus der Show zu imitieren."

Weltweite Expansion

Bei RuPaul's Drag Race geht es aber nur um den Wettbewerb selbst. Die Kameras begleiten die Dragqueens auch backstage, dokumentieren sachte entstehende Freundschaften, vor allem aber – it's reality TV, baby – Konflikte. Entstehen diese nicht von selbst, wird von Produktionsseite durchaus nachgeholfen. So beschwerten sich in der Vergangenheit immer wieder Teilnehmerinnen darüber, dass ihre Aussagen beim Schneiden der Folgen aus dem Kontext gerissen wurden. Dadurch würden manche Queens zu Antagonistinnen gemacht, um eine narrative Dynamik zu fördern, so der Vorwurf. RuPaul machte daraus prompt den Song Blame It on the Edit ("Schieb es auf den Schnitt"). Das ist nur eines von vielen Beispielen, an denen sich der Unternehmergeist der Dragqueen offenbart.

RuTube

RuPauls Nettovermögen wird auf über 60 Millionen Dollar geschätzt. Einkünfte aus Musik- und Buchverkäufen sind da nur der Anfang. Als RuPauls Gage für Drag Race werden 50.000 Dollar pro Folge kolportiert. Als Executive Producer ist er außerdem am Gewinn der TV-Show beteiligt. Das US-Format wurde mittlerweile zu einem internationalen Franchise-Geschäft ausgebaut. Drag Race existiert mittlerweile als länderspezifische TV-Show (teils ohne RuPaul als Gastgeber) unter anderem in Großbritannien, Kanada, Australien, Spanien, Italien oder Thailand. Darüber hin aus gibt es bald sieben Staffeln All Stars, bei denen frühere Teilnehmerinnen für eine zweite Chance zurückkehren, und es wurden noch weitere Spin-off-Serien der Originalshow produziert.

2015 fand zudem die erste Drag Con in Los Angeles statt. Bei dieser Messe verkaufen die Dragqueens aus der Serie ihre Merchandise-Produkte an Ständen, veranstalten Autogrammstunden für ihre Fans und treten bei Panel-Diskussionen auf. Aufgrund des großen Erfolges wird die Drag Con mittlerweile auch in New York und London veranstaltet.

Seit 2017 gehen ausgewählte Dragqueens aus dem Franchise auf Welttournee und treten in aufwendig produzierten Shows vor großem Publikum auf. Am kommenden Sonntag gastiert die Werq the World-Tour im (ausverkauften) Wiener Gasometer. Außerdem treten einige der "Ru-Girls", wie die Teilnehmerinnen der TV-Serie in der Community genannt werden, bei "RuPaul's Drag Race Live!" fünfmal pro Woche im Kasino-Hotel Flamingo Las Vegas auf.

Kritische Stimmen

Bei all dem Erfolg ist aber nicht alles eitel Wonne. Youtuber "Bussy Queen", der sich auf RuPaul's Drag Race spezialisiert, hat alle 53 Seiten der Vereinbarung durchgelesen, die die Teilnehmenden der TV-Show unterzeichnen müssen. Die skurrilsten Auswüchse dieses "Knebelvertrags" hat er in einem Video aufbereitet: Teilnahme an weiteren Staffeln, Live-Auftritte, Social-Media-Präsenz, Vermarktung der eigenen Marke – die Dragqueens müssen viel Kontrolle abgeben, wenn sie an RuPaul's Drag Race teilnehmen wollen. Laut dem Blog "Reality Blurred", dem der Vertrag von Staffel 8 vorliegt, bekamen sie dafür eine Gage von 400 Dollar pro Folge. Die Investitionen in Outfits und Make-up übersteigen dies aber um ein Vielfaches.

RuPaul wurde auch immer wieder für seine Einstellung gegenüber Transsexualität kritisiert. Transfrauen bei Drag Race – das wäre wie Doping beim Sport, hatte er einst auf Twitter gepostet. Die Empörung hat sich gelegt, denn mittlerweile gibt es in fast jeder Staffel mindestens eine Transperson.

Wenngleich sie die Aufmerksamkeit für ihre Kunstform schätzt, wünscht sich Dragqueen Tamara Mascara, dass die Menschen nicht nur Drag Race anschauten, sondern auch reale Drag-Shows besuchten: "Die letzten Jahre waren Corona-bedingt sehr schwierig. Also besuchen Sie eine Travestieshow und unterstützen Sie lokale Artists!" (Michael Steingruber, 4.5.2022)