Konsumenten erleben Lücken in Regalen. Vielerorts wird die Logistik zum Flaschenhals.

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Wien – Die Zeiten, in denen jedes Lebensmittel stets überall in jeder Qualität für alle verfügbar war, sind vorbei. Pflanzenöle sind in Europa rar, Hühnerfleisch und Eier werden knapp. Ob Butter, Senf oder Teigwaren: Zeitweise Engpässe im Handel sorgen für hitzige Debatten.

Es sind nicht nur fehlende Lieferungen aus der Ukraine, die Lücken ins Sortiment reißen. Die rasant gestiegenen Kosten für Energie, Dünger und Futtermittel schlagen ebenso durch wie die Geflügelpest in weiten Teilen der EU und Hamsterkäufe entlang der gesamten Wertschöpfungskette. Vielfach fehlt es an Verpackungsmaterialien bis hin zu Papier für Etiketten, regelmäßig wird die Logistik zum Flaschenhals.

Dass die Ernährung der Österreicher entgegen allen Widrigkeiten gesichert ist, daran hat die Nahrungsmittelindustrie keinen Zweifel. Dass sich Lebensmittel heuer weiter verteuern, liegt für diese jedoch auf der Hand. Preislich eines drauf setzt aus ihrer Sicht hierzulande die geplante Pflicht zur Kennzeichnung der Herkunft von Fleisch, Milch und Eiern.

Österreich droht keine Verknappung, sondern eine deutliche Verteuerung von Lebensmitteln, ist Gerald Hackl, Chef der Vivatis, überzeugt. Der Konzern zählt mit einer Milliarde Euro an Umsatz, 3400 Mitarbeitern und Marken von Bauernland über Inzersdorfer und Toni Kaiser bis Wojnar’s zu den größten Nahrungsmittelherstellern des Landes.

"Schuss ins Knie"

Hackl erwartet aufgrund der zunehmenden Rohstoffkosten bis Jahresende 40 Millionen Euro an Mehrkosten, teurere Energie nicht eingerechnet. "Ein Gutteil dieser höheren Preise kam im Lebensmittelhandel bisher noch gar nicht an."

Der Vivatis-Chef nennt die neue Herkunftsbezeichnung für Primärzutaten einen Schuss ins Knie. Er verstehe die Interessen der Landwirte und den Wunsch der Konsumenten nach Transparenz, sagt er. "Vielleicht erhalten viele Lebensmittel damit eine neue Wertigkeit und werden künftig weniger leichtfertig entsorgt." Letztlich stehe der massive Aufwand aber in keiner Relation zum Nutzen – zumal importierte Lebensmittel internationaler Konzerne der zusätzlichen Kennzeichnung nicht unterworfen sind, sagt Hackl.

Nationaler Alleingang

Österreich gerate mit seinem nationalen Alleingang in der EU wirtschaftlich ins Hintertreffen. Für viele Konsumenten zähle letztlich immer noch der niedrigere Preis. "Wir erleben die stärkste Teuerungswelle seit 40 Jahren. Es ist der denkbar schlechteste Zeitpunkt für Auflagen, die unsere Kosten weiter nach oben treiben", stellt Katharina Koßdorff, Chefin des Fachverbands der Lebensmittelindustrie, klar.

"Wer übernimmt die politische Verantwortung dafür?" Viele Lieferketten seien unterbrochen, die Versorgung mit Erdgas sei ungewiss. Ihre Branche hänge zu 100 Prozent davon ab. "Ohne Gas steht die Lebensmittelproduktion still. Werden hier die Prioritäten richtig gesetzt?"

Österreich wollte die Kennzeichnung für Fleisch, Milch und Eier bereits 2021 durchsetzen. Geeinigt hat sich die Regierung darauf erst jetzt. In Kraft treten soll die Regelung im kommenden Jahr. Im Herbst will jedoch auch die EU ihre Pläne für eine strengere Angabe der Rohstoffherkunft auf den Tisch legen. Presche Österreich nun mit eigenen Vorgaben vor, bedeute das für Produzenten hierzulande doppelten Aufwand und doppelte Kosten, sagt Koßdorff.

Wettlauf um Eier

"Billiger werden Nahrungsmittel nicht mehr", warnt auch Alexander Müller, General Manager von Spak. Der Familienbetrieb stellt in Österreich und Tschechien mit 200 Mitarbeitern Ketchup, Mayonnaise und Saucen her. Müller hält mehr Information über die Herkunft von Rohstoffen für wichtig. Derzeit riskiere man damit aber leere Regale.

Die Preise für Rapsöl haben sich Spak zufolge verdreifacht. Die größte aktuelle Herausforderung sei es, sich mit Flüssigei aus der EU einzudecken. Um eine Tube neu zu bedrucken, brauche es Vorlaufzeiten von bis zu fünf Monaten, erklärt Müller. "Was, wenn bis dahin nicht genug Geflügel aus der EU am Markt ist?"

Wie viele andere Betriebe weist Spak österreichische Rohstoffe als solche auf der Verpackung aus. Offengelassen wird der Ursprung der Zutaten vieler Handelsmarken. Lieferanten erzählen, dass die mitunter einzige Bedingung der Auftraggeber sei, nicht in China einzukaufen.

"Herkunft: EU"

Die tieferen Einblicke, die Konsumenten in ihr Essen erhalten sollen, enden bei der Gastronomie, die heftig dagegen lobbyierte. Wirte werden von der Kennzeichnungspflicht ausgespart – in der Gemeinschaftsverpflegung kommt sie zum Tragen.

Es sei unglaublich, wie wenig auf jene gehört werde, die diese umsetzen müssen, seufzt Manfred Ronge, Präsident des Dachverbands der Gemeinschaftsverpfleger. Seine Branche kaufe primär in Österreich ein. Ändere sich daran doch etwas, ließen sich Menüpläne nicht kurzfristig ändern. Wer könne vorhersagen, welches Fleisch in drei Wochen im Ragout für einen der hunderten Kindergärten stecke? Abgesehen davon, dass Systeme fehlten, um kleine regionale Verarbeiter zu überprüfen. "In letzter Konsequenz wird man als Herkunft draufschreiben: EU."

Landwirtschaftsministerin Elisabeth Köstinger (ÖVP) will, um den Preisauftrieb zu bremsen, eine stärkere Bevorratung von Grundnahrungsmitteln, Saatgut und Dünger prüfen lassen, was einen deutlichen Eingriff in den Markt bedeutet. Von niedrigeren Mehrwertsteuern auf Lebensmittel hält sie nichts. (Verena Kainrath, 3.5.2022)