Peter Steyrer sagt: "Ich war einmal Pazifist." Das ist insofern bemerkenswert, als Steyrer über Jahrzehnte ein maßgeblicher Proponent der österreichischen Friedensbewegung war, engagiert auch im Netzwerk Zivildienst und in der Deserteursberatung. Derzeit ist Steyrer, ein langjähriger Mitarbeiter der Grünen, Berater für EU und internationale Politik im Amt von Vizekanzler Werner Kogler.

Die Grünen tun sich mit der Pazifismusdiskussion nicht ganz leicht, denn Gewaltfreiheit scheint angesichts der russischen Aggression keine Option. Anders als in Deutschland ist die Diskussion aber einen Hauch bequemer, dank Neutralität und Waffenexportverbots.
Foto: APA/nietfeld

"Es gibt Situationen, in denen militärische Mittel unausweichlich sind", sagt Steyrer – und theoretisch ist er immer noch Pazifist. "Aber die Schlachtordnung ist zu eindeutig", sagt er mit Blick auf die Ukraine, "die Verantwortung ist zu eindeutig", und das gelte nicht nur für seine Sichtweise, sondern offenbar auch für die der Grünen. Allerdings weist auch Steyrer daraufhin, dass die österreichischen Grünen hier noch in einer glücklicheren Rolle als die deutschen Grünen seien, der Neutralität sei Dank.

Peter Steyrer war über die Jahrzehnte einer der zentralen Proponenten der österreichischen Friedensbewegung, gewaltfreier Widerstand ist in der jetzigen Situation für ihn aber keine Option.
Foto: Newald

Im Prinzip sei aber auch die Rechtslage klar, es gebe einen klaren Bruch des Völkerrechts, ein Recht auf Selbstverteidigung, das sei der falsche Platz für Pazifismus. Die Ukrainer hätten ohnedies viel Erfahrung auch im gewaltfreien Widerstand, zwei Aufstände hätten sie so durchgetragen, jetzt aber gebe es eine ganz andere Situation: "Mit gewaltfreiem Widerstand wären die Ukrainer jetzt weg", sagt Steyrer. Die ukrainische Kriegsführung verlaufe ohnedies sehr defensiv, kleinteilig und wenig zentral. Was Steyrer bei den Grünen derzeit ausmacht: eine gewisse Ratlosigkeit und Anspannung. Dieses Gefühl der Hilflosigkeit angesichts des nahen Krieges beschränkt sich aber wohl nicht auf die Grünen.

Ewa Ernst-Dziedzic, die außenpolitische Sprecherin der Grünen, führt parteiintern viele und heftige Debatten. Die Frage der Waffenlieferungen regt viele auf, auch die geplante Erhöhung des Heeresbudgets stößt auf Widerstand.
Foto: hendrich

Selbstverteidigen als Pflicht

Ewa Ernst-Dziedzic ist außenpolitische Sprecherin der Grünen und führt derzeit hitzige Debatten, auch nach innen. Sich solidarisch mit der Ukraine zu zeigen ist eine Sache, Waffenlieferungen gutzuheißen eine andere. Die Position von Dziedzic ist klar: Waffenlieferungen gehören zur Selbstverteidigung dazu, alles andere wäre naiv, sagt sie. Das bringt ihr heftigen Gegenwind jener ein, die meinen, dass mehr Waffen nur zu mehr Gewalt und mehr Toten führen würden. Dziedzic meint, eine Kapitulation der Ukraine vor einem faschistischen Regime sei nicht hinzunehmen.

Widerlich, dumm und manipulativ nennt der Grünen-Abgeordnete Michel Reimon jene, die den Begriff Pazifismus verwenden, um dem Aggressor zu helfen. Selbstverständlich stünden die Grünen aufseiten der angegriffenen Ukraine und sprechen dieser das Recht auf Gegenwehr nicht ab – auch wenn die Gewaltfreiheit einer der zentralen Grundwerte der Grünen sei. Reimon: "Was kein grüner Grundwert ist: Gewalt hinzunehmen. Selbstverständlich darf man nicht nur einschreiten, sondern sollte es tun, wenn man sieht, wie ein Mann seine Partnerin schlägt oder wie ein Fremder ein Kind belästigt. Und selbstverständlich darf man sich selbst verteidigen und anderen dabei helfen, sich zu verteidigen."

Der Grünen-Abgeordnete Michel Reimon will sich keine Pazifismus-Definition aufdrängen lasse, die letztlich nur den Aggressor Putin begünstige.
Foto: APA/Schlager

In der Ukraine würden Zivilistinnen gezielt beschossen, Wehrlose in Gruppen erschossen, Frauen systematisch vergewaltigt. Reimon: "Wer hier mit 'Gewaltfreiheit' argumentiert, dass die Ukrainer:innen das ohne Gegenwehr hinnehmen sollte, dass man ihnen nicht bei der Gegenwehr helfen sollte, dass andere Länder sich nicht auf Gegenwehr vorbereiten sollten ... der oder die hilft einem Aggressor."

Reimon: "Das ist in der Konsequenz dann das Gegenteil von Gewaltfreiheit. Das ist keine Friedenspolitik, ich will mir diese Pazifismus-Definition sicher nicht aufdrängen lassen."

Diese Kritik richtet er aber weniger an seine eigenen Parteifreundinnen, sondern an linke Splittergruppen, die jetzt die Grünen wegen ihrer eindeutigen Positionierung angreifen. Bei den Grünen sei die Frage, wie Pazifismus zu interpretieren oder mit der aktuellen Debatte in Einklang zu bringen sei, kein großes Thema. Die Grünen seien pragmatisch, und es sei "grundfalsch, wenn wir uns in einer solchen Situation mit uns selbst beschäftigen, anstatt klar Position zu beziehen". Als neutrales Land steht das aber ohnedies kaum zur Debatte. "Nicht einmal die ÖVP will Waffen liefern, nur Helme und kugelsichere Westen."

Aggressor Putin

Tatsächlich gibt es innerhalb der Grünen keinen offenen Widerspruch gegen diese Position, sehr wohl aber viele Diskussionen. Noch herrscht Disziplin. Von der Parteilinie abweichende Anträge wurden am Bundeskongress wieder zurückgezogen. Gerade aber auch die Frage der Erhöhung des Heeresbudgets wird bei den Grünen noch zu Auseinandersetzungen führen, das ist absehbar.

Die grundlegende Position im Kriegsfall scheint aber klar zu sein: Putin ist der Aggressor, die Ukraine hat jedes Recht, sich zu wehren. Der gewaltfreie Widerstand, wie er bei einer Au-Besetzung oder einer Straßenblockade propagiert wird, ergebe hier keinen Sinn.

Severin Renoldner ist Theologe und Professor für Ethik, er sieht Österreich direkt ins Kriegsgeschehen verwoben.
Foto: PH-Linz

Severin Renoldner ist Professor für Ethik an der Pädagogischen Hochschule in Linz, vor mehr als 25 Jahren saß er auch für die Grünen im Parlament. Renoldner hält es für scheinheilig, wenn jemand aus dem reichen Westen, gesättigt mit russischem Gas, der Ukraine Ratschläge geben will und dieser nahelegt, sich nicht zu wehren. Es gibt für die Ukraine derzeit keinen anderen Ausweg. Gewaltfreier Widerstand sei mühsam und müsse in Jahren aufgebaut werden, sagt Renoldner. Er beruft sich dabei auch explizit auf Mahatma Gandhi: Wenn man sich nicht anders in der Lage sieht, als sich mit Gewalt gegen Unrecht zu wehren, dann sei dies besser, als gar nichts zu tun.

Gewaltfreies Lernen

"Wir sind nicht unbeteiligt", betont Renoldner die österreichische Position, "wir sind durch unseren Öl- und Gaskonsum mit dem Kriegsgeschehen verwoben, wir finanzieren diesen Krieg, wir können uns nicht von Kriegsschuld freisprechen. Wir haben kein Recht, irgendjemanden zu belehren." Zuerst müsse ein Gas- und Ölembargo umgesetzt werden, das wäre eine gewaltfreie Form des Widerstands, das wäre auch ethisch richtig und der Beginn gewaltfreien Lernens, sagt Renoldner.

Die deutschen Grünen haben sich aktiv für Waffenlieferungen ausgesprochen. "Diese Diskussion bleibt den österreichischen Grünen erspart", analysiert Renoldner, "da sind wir in der bequemen Position, wegen des Waffenexportverbots und der Neutralität." Diese habe allerdings in der Realität immer weniger Bedeutung, Österreich sei längst in ein europäisches Sicherheitssystem eingebunden, da könne man auch als Pazifist wenig dagegen einwenden. Es sei sogar Österreichs Verpflichtung, sich am Aufbau eines europäischen, demokratischen Sicherheitssystems mit defensiv-militärischer Ausrichtung zu beteiligen – und zwar mit aufrichtigem politischem Willen, wie Renoldner betont. Europa brauche keine Welt-Interventionsarmee à la USA, aber der Schutz der europäischen Souveränität müsse gewährleistet sein.

Dass Bundeskanzler Karl Nehammer nach Moskau gereist ist, empfindet Renoldner als in höchstem Maße peinlich. Österreich habe nichts anzubieten, was für Russland, die Ukraine oder die USA irgendein Verhandlungsmandat darstellen könnte, als Gaskunde auch keine Glaubwürdigkeit. (Michael Völker, 5.5.2022)