Der russische Angriffskrieg hat auch viele ukrainische Studierende zur Flucht aus ihrer Heimat gedrängt. Einige davon studieren mittlerweile in Österreich weiter.

Illustration: STANDARD/Fatih Aydogdu

Eigentlich wollte Vadym Brych erst später und vor allem freiwillig nach Wien ziehen. Im vergangenen Wintersemester hat der 17-Jährige Internationale Wirtschaftsbeziehungen in Kiew inskribiert. Zwei Jahre lang wollte er zunächst einmal in der ukrainischen Hauptstadt studieren, nebenbei Deutsch lernen und sich später die Studienleistungen an der Wirtschaftsuni Wien anerkennen lassen.

Doch dann kam der 24. Februar. Mit ihm fielen die Bomben auf die Ukraine. Mehr als fünf Millionen Menschen haben seit Beginn der russischen Invasion laut UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR die Ukraine verlassen. Vor allem Frauen, denn für Männer im wehrpflichtigen Alter zwischen 18 und 60 ist die Ausreise untersagt. Das durchkreuzte auch die Lebenspläne von Brych, der im Juni 18 Jahre alt wird. "Ich musste das Land verlassen, bevor es zu spät ist", erzählt der Student.

Landsleute mit Erfahrung

Anfang April kam er mit seiner Mutter nach Wien. Sie ist mittlerweile allerdings wieder zurück in Ternopil, der Heimatstadt der Familie im Westen der Ukraine. Dort gehe das Leben im Vergleich zu völlig zerstörten östlichen Städten wie Mariupol oder Charkiw relativ "normal" weiter, sagt Vadym. "Meine Eltern haben dort ihre Arbeit und ihr Leben. In Wien hätten sie als Flüchtlinge nichts", meint der junge Mann. Er wohnt jetzt bei einem ehrenamtlichen Flüchtlingshelfer, der ihm ein kostenloses Zimmer zur Verfügung stellt. In Wien, einer ihm fremden Stadt, mit dem Wissen und der Angst um seine Eltern im Krieg.

Dennoch versucht Vadym Brych, so wenig Leerlauf wie möglich in seiner Ausbildung zu haben. Bei den ersten Schritten in Österreich stehen ihm Diana Olyvko, Valeriia Ivanova und Yuliia Vandzhura zur Seite. Die drei Ukrainerinnen, alle Anfang 20, sind selbst schon vor ein paar Jahren für ihr Studium nach Wien gekommen. Sie können sich noch gut daran erinnern, wie es für sie war, sich in einer neuen Stadt zurechtzufinden, und haben daher Studyguide gegründet, um ihre Erfahrungen weiterzugeben.

Die Ukrainerinnen Diana Olyvko, Valeriia Ivanova und Yuliia Vandzhura sind schon länger in Österreich und helfen derzeit geflüchteten Landsleuten bei der Orientierung im Wiener Uni-Betrieb.
Foto: alpi

Mit ihrem Unternehmen beraten sie junge Landsleute, die in Österreich studieren wollen – von der Inskription bis zum Deutschkurs. Ihre Arbeit habe sich seit Kriegsausbruch massiv geändert, erzählt Diana Olyvko. Die Verwüstung durch den Krieg betrifft auch viele ukrainische Unis. "Gerade helfen wir einem Studenten aus Charkiw. Seine Fakultät wurde komplett zerstört, auch seine Zeugnisse. Wir versuchen jetzt, ihn in Österreich an einer Uni einschreiben zu lassen."

Zwischen Onlineseminar und Schutzraum

Doch nicht überall in der Ukraine ist der Uni-Betrieb zum Erliegen gekommen. Im Westen, der derzeit nicht im Zentrum des Kriegsgeschehens steht, gehen die Lehrveranstaltungen unter erschwerten Bedingungen weiter. So etwa an der Lesya-Universität in Luzk, wie Uni-Direktor Anatolii Tsos im Gespräch mit dem STANDARD erklärt.

Man habe das Distance-Learning schon während der Pandemie ausgebaut: "Wenn der Luftalarm ertönt, unterbrechen wir den Online-Unterricht, damit Studenten und Lehrkräfte rechtzeitig ihren Schutzraum erreichen", schildert Tsos. Zehn Prozent der Studierenden der Lesya-Universität seien bisher ins Ausland gegangen, die meisten nach Polen und Deutschland, aber auch nach Österreich.

Erlass der Studiengebühren

An den heimischen Hochschulen ist die Anzahl ukrainischer Studierender laut Bildungsministerium von rund 2700 seit Kriegsbeginn auf rund 2800 gestiegen. Der Krieg trifft freilich nicht nur die neu hinzugekommenen, sondern alle. Die meisten von ihnen studieren in der Hauptstadt, mehr als 900 allein an der Uni Wien. Rund 270 ukrainische Studierende sind zudem zum Vorstudienlehrgang der Wiener Universitäten zugelassen. Außerdem hätten ungefähr 20 Ukrainer, die ihr fortgeschrittenes Studium kurzfristig an der Universität Wien fortsetzen wollen, einen Antrag auf Zulassung zu einem außerordentlichen Studium gestellt, heißt es auf Anfrage des STANDARD.

Das Bildungsministerium unterstützt ukrainische Studierende aktuell durch einen Erlass der Studiengebühren sowie etwa mit dem Ernst-Mach-Stipendium. Dadurch können bis zu 500 Stipendiaten jeweils 715 Euro im Monat erhalten. Bis Ende April wurden 161 Stipendienanträge bei der zuständigen Agentur für Bildung und Internationalisierung (OEAD) eingebracht.

Drang zum Weitermachen

Eines dieser Stipendien könnte Katerina Fomenko helfen. Die 26-Jährige, die eigentlich anders heißt, hat ihren Bachelor in Psychologie in Odessa abgeschlossen. Mit ihrer 16-jährigen Schwester ist sie Anfang März nach ein paar Nächten in einem Flüchtlingscamp an der ukrainisch-ungarischen Grenze nach Wien gekommen. "Wir wollten die Ukraine nicht verlassen, aber unsere Eltern haben darauf bestanden", erzählt die junge Ukrainerin. Zu schaffen mache ihr, dass sie noch nicht arbeiten kann und auf finanzielle Unterstützung angewiesen ist. Sobald sie ihre Blaue Karte, den Ausweis für Vertriebene, der den Zugang zum Arbeitsmarkt ermöglicht, erhalten hat, hofft sie auf einen Kursplatz in einem Deutschkurs des Integrationsfonds. Für ihr Masterstudium braucht sie nämlich einen Sprachnachweis auf Level C1. Eigentlich wollte sie besser vorbereitet beginnen: "Ich wäre gerne normal als Studentin nach Wien gekommen, nicht als Flüchtling", erzählt Fomenko.

Auch Brych lernt gerade Deutsch und hofft, im Sommer das Level A2 zu erreichen, um kommendes Semester mit dem Vorstudienlehrgang anfangen zu können. Hört man sich unter jungen Ukrainern und Ukrainerinnen um, fällt ein Satz auffallend oft: "Wir müssen weitermachen." Damit beziehen sie sich auf ihre in der Ukraine verbliebenen Familien, aber auch auf sich selbst. Sie wollen sich ihre Ausbildung und ihre berufliche Zukunft nicht nehmen lassen. Der Krieg nimmt ihnen schon zu viel. (Allegra Mercedes Pirker, 9.5.2022)