Die Salzlacken östlich des Neusiedler Sees (hier der Untere Stinkersee bei Illmitz) sind vom Verschwinden bedroht. Schuld daran ist vor allem der zu niedrige Grundwasserspiegel.

Christian Fischer

Es war ein fröhlicher Auftakt mit Weinverkostungen, Blasmusik, Sportveranstaltungen, aber auch einigen Sorgenfalten: Ende April sorgten zahlreiche Veranstaltungen rund um den Neusiedler See im Burgenland für die Eröffnung der diesjährigen Seesaison.

Getrübt wurde die Feierlaune des erstmals abgehaltenen See Opening aber durch den Wasserstand des Steppensees. Der lag in den letzten Wochen nämlich nur bei rund 115,2 Metern über der Adria. Seit 1965 war zu dieser Zeit im Frühling nie weniger Wasser im "Meer der Wiener".

Eine Folge der Wasserkrise: Bereits jetzt werden manche Fähren auf dem See weniger schwer beladen. Fällt in den nächsten Wochen weiterhin nur wenig Regen, könnte ein "Normalbetrieb" im Sommer unmöglich werden, denn der Neusiedler See erhält sein Wasser nur zu rund 20 Prozent aus Zuflüssen.

Noch tiefere Wasserstände

Was dem eher kurzfristig ausgerichteten Tourismus Sorgenfalten bereitet, wird von der langfristiger denkenden Ökologie etwas gelassener betrachtet: "Vor 1965 war der Wasserstand des Neusiedler Sees immer wieder deutlich niedriger", sagt Alois Lang, bis zu seiner Pensionierung vor drei Jahren leitender Mitarbeiter des Nationalparks Neusiedler See – Seewinkel.

Erst seit 57 Jahren regelt ein bilaterales Abkommen zwischen Ungarn und Österreich, wann die Schleusen des Einser-Kanals betätigt werden, die den Abfluss des Wassers in die Donau regeln. Dieses Abkommen sorgte für einen höheren Wasserstand und geringere Schwankungen. Zuvor habe es auch Zeiten gegeben wie in den 1860er-Jahren, als der durchschnittlich einen Meter tiefe Steppensee fast zur Gänze ausgetrocknet war.

71 Prozent weniger Salzlacken

Ein anderes Phänomen, das ebenfalls mit Trockenheit zu tun hat, aber etwas anders geartet ist, bereitet den Fachleuten des grenzüberschreitenden Nationalparks mehr Sorgen: das Verschwinden der Salzlacken, die eine besondere Rarität sind. Im europäischen Binnenland sind diese regelmäßig austrocknenden Gewässer nur mehr im Seewinkel und in Zentralungarn zu finden, was die Erhaltung dieses einzigartigen Lebensraums so wichtig macht.

NPNeusiedlerSee

Während niedrige Pegelstände des Neusiedler Sees längerfristig betrachtet immer wieder auftraten, ist die Entwicklung der Salzlacken von einem unwiederbringlichen Verlust geprägt: "Seit Mitte des 19. Jahrhunderts hat ihre Zahl um 71 Prozent abgenommen, die Ausdehnung der Wasserflächen ist um 82 Prozent gesunken", sagt der Ornithologe Michael Dvorak von Birdlife Österreich bei einem Onlinevortrag im Rahmen der Bird Experience (kurz: Bex), die Ende April in Illmitz und Umgebung stattfand.

Einzigartiger Vogelreichtum

Diese Veranstaltung ist Österreichs wichtigster jährlicher Treffpunkt für Vogelinteressierte aus dem In- und Ausland und lockt hunderte "Birder" in den Nationalpark. Denn die Region verfügt über einen in Österreich einzigartigen Vogelartenreichtum: Bis Ende 2021 wurden dort nicht weniger als 371 wild lebende Vogelspezies nachgewiesen, wie Dvorak erklärt. Der führende ornithologische Experte für das Gebiet muss es wissen: Er stellt nach mehr als fünfjähriger Forschungsarbeit gerade eine umfassende Bestandsaufnahme der sogenannten Avifauna des Seewinkels zusammen.

Zwischenergebnisse, über die Dvorak schon dieses Mal berichtet, verheißen wenig Gutes: Auch wegen des fortschreitenden Rückgangs der Salzlacken, die so etwas wie Tankstelle vieler Vogelarten bei ihrem Frühlingszug von Afrika nach Norden sind, gingen die Bestandszahlen zum Teil drastisch zurück. Gab es in den 1950er-Jahren beispielsweise noch 80 bis 100 brütende Seeregenpfeiferpaare, waren es vor 20 Jahren nur noch knapp 50. "Aktuell sind es weniger als zehn", sagt Dvorak, der befürchtet, dass der rare Watvogel in zehn Jahren "Geschichte sein wird".

Michael Dvoraks Vortrag bei der "Bex 2022".
NPNeusiedlerSee

Exkursion an den Zicksee

Bei einer frühmorgendlichen Exkursion an den Zicksee bei St. Andrä – je nach Betrachtung ein kleiner Steppensee oder eine große Salzlacke – zeigen sich dennoch alle häufig in der Region vorkommenden Limikolen, wie die Watvögel von den Vogelkundigen bezeichnet werden. Darunter sind auch Seeregenpfeifer, und einige Paare anderer Arten lassen sich trotz der zahlreichen Birdwatcher nicht bei der morgendlichen Kopulation irritieren.

Dass sich am Zicksee oder auch an der Darscho-Lacke bei Apetlon gerade besonders viele durchziehende und brütende Vögel und "Ornis" tummeln, hängt allerdings schlicht auch damit zusammen, dass sein ebenfalls niedriger Wasserpegelstand mit künstlich zugeführtem Wasser einigermaßen stabilisiert wird, wie Harald Grabenhofer bei einer weiteren Fachexkursion erklärt.

Viele Vögel und daher auch viele "Ornis" an der Darscho-Lacke bei Apetlon Ende April.
Foto: Klaus Taschwer

Der Leiter des Fachbereichs Forschung, Monitoring und Citizen Science im Nationalpark, stammt aus der Region und kann sich noch an etliche Salzlacken erinnern, die es in seiner Jugend noch gab, mittlerweile aber "ausgesüßt" und damit vermutlich für immer verschwunden sind.

Grundwasser als Hauptursache

Von den knapp 40 noch existierenden Salzlacken sind im Grunde nur noch wenige ganz intakt, sagt Grabenhofer, der seit über 22 Jahren für den Nationalpark arbeitet. "Das macht es nicht gerade leicht, optimistisch zu bleiben." Der dramatische Salzlackenschwund erklärt sich vor allem durch das Absinken des Grundwasserspiegels in der Region, der aktuell um rund eineinhalb Meter zu tief liegt – und der mit dem Wasserstand des Neusiedler Sees wenig bis nichts zu tun hat.

Durch den tiefen Grundwasserspiegel reißt nämlich der Kapillarstrom in den Salzlacken ab, der diese im Sommer, wenn sie oberflächlich austrocknen, weiter von unten mit Feuchtigkeit und Salz versorgt, was die ganz besondere Fauna und Flora gewährleistet. Ohne diese Salzversorgung von unten süßt die Lacke aus: Es bildet sich statt der trockenen Lacken mit Sodaschnee allmählich eine ganz normale "Humusschicht". Und damit geht letztlich auch der einzigartige Lebensraum für die speziell angepassten Pflanzen und Tiere unwiederbringlich verloren.

Erhebliche Kollateralschäden

Das bedeutet nicht nur, dass die Artenvielfalt der Lackenbewohner weiter zurückgeht und in Zukunft der Seeregenpfeifer und andere seltene Vogelarten nicht mehr brütend im Seewinkel anzutreffen sein könnten. Das könnte sich langfristig zum Beispiel auch auf den sanften Birdwatcher-Tourismus auswirken, der für die Region zu einem nicht ganz unbedeutenden Wirtschaftsfaktor wurde. Doch die möglichen Folgen gehen noch weiter.

So ist die Gegend rund um Illmitz weltberühmt für ihre exquisiten Süßweine. Ähnliche Qualität gibt es nur in der Region um Sauternes (Frankreich) und Tokaj (Ungarn). Die Weine gehen auf den Edelschimmelpilz Botrytis cinerea zurück, und der benötigt wiederum ein spezielles Mikroklima (kühle Nächte), das in der Region, deren Durchschnittstemperatur seit den 1950er-Jahren um 1,5 Grad Celsius anstieg, auch durch die Salzlacken zustande kommt.

Schwieriges Gegensteuern

Doch was lässt sich gegen das Sterben der Salzlacken noch tun? Gegenmaßnahmen gegen deren Degradierung sind nicht ganz einfach: Durch künstliche Salz- und Sodaeinbringung lässt sich daran nur wenig ändern, sagt Grabenhofer. Pro Quadratmeter brauche es dafür nämlich rund drei bis fünf Kilogramm Soda, wie Versuche Anfang der 2000er-Jahre gezeigt haben. Das mache pro Hektar 30 bis 50 Tonnen und sei schon rein logistisch so gut wie unmöglich.

Immerhin: Die drei Hauptfaktoren, die neben dem Klimawandel zum Absinken des Grundwasserspiegels in der Region beitragen, sind seit vielen Jahren bekannt: die Verbauung, die Entwässerungskanäle und die Grundwasserentnahmen durch die Landwirtschaft. Um die dramatische Lage zu verbessern, seien entsprechend umfassende Planungen und wohlüberlegte Maßnahmen nötig, die auch die Grundbesitzer und Bewirtschafter mit ins Boot holen.

Ganz hat Grabenhofer seinen Optimismus aber noch nicht verloren. Das liegt auch daran, dass der Nationalpark ein sogenanntes Life-Projekt bei der EU eingereicht hat, das die Rettung der Salzlacken zum Ziel hat. Sollte es positiv begutachtet werden – eine Entscheidung wird dieser Tage erwartet –, könnten vielleicht doch noch rechtzeitig Maßnahmen zur Rettung der Vogeltankstellen eingeleitet werden. (Klaus Taschwer, 8.5.2022)