Jürgen Kessler mit seinem langjährigen Chef, Altlandeshauptmann Herbert Sausgruber (ÖVP). Als 2011 dessen Nachfolger Markus Wallner kam, musste ein neuer Job für Kessler gesucht werden. Das Land zahlte aber weiterhin einen Teil seines Gehalts.

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Gegen wen in welcher Sache Anzeigen in der Causa Wirtschaftsbund eingebracht worden sind, ist nun klar: Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft prüft, ob sie gegen den Vorarlberger Landeshauptmann Markus Wallner, den derzeitigen Wirtschaftslandesrat Marco Tittler und seinen Vorgänger Karlheinz Rüdisser (alle ÖVP) Ermittlungen einleitet. Wallner wird der versuchten Vorteilsnahme verdächtig, bei den anderen beiden geht es um das vollendete Delikt, weil sie beide Bargeldzahlungen des Wirtschaftsbunds erhalten haben.

Die Staatsanwaltschaft Feldkirch hat den Akt bezüglich Wallner, Tittler und Rüdisser an die WKStA abgetreten, ob die Behörde zuständig ist, wird seit einer Woche geprüft. In Feldkirch werden hingegen die steuerlichen Fragen der Causa erörtert: Hier werden Ermittlungen gegen den ehemaligen Wirtschaftsbund-Direktor Jürgen Kessler, gegen seinen Vorgänger Walter Natter und gegen den ehemaligen Obmann Hans-Peter Metzler wegen vorsätzlicher Abgabenhinterziehung geprüft. Auch der Wirtschaftsbund als Organisation wird in der vom Amt für Betrugsbekämpfung eingebrachten Anzeige genannt.

Wallner wollte Kessler nicht

Es sind mehrere Männer, um die sich die Affäre dreht – Kessler ist dabei eine der zentralen Figuren. In der Vorarlberger Volkspartei ist er quasi ein Urgestein: Er war neun Jahre lang Büroleiter des damaligen Landeshauptmanns Herbert Sausgruber (ÖVP), im Wirtschaftsbund ist der Jurist seit 2013. Unter seiner Ägide gingen die Inseratenerlöse bei der Wirtschaftsbund-Zeitung ab 2018 durch die Decke, der Höchstwert in einem Jahr betrug 1,2 Millionen Euro. Der Erfolg kam dabei wohl nicht von ungefähr: Kessler soll auf Unternehmer Druck ausgeübt haben, damit sie inserieren. Für Aufsehen bzw. Fragen der Finanzprüfer sorgte außerdem das Darlehen, das er sich vom Wirtschaftsbund Ende 2020 auszahlen ließ: 250.000 Euro, bezüglich Zinsen ist in der "Vereinbarung", die dem STANDARD vorliegt, nichts vermerkt.

Beliebt war Kessler bei vielen in seiner Partei dennoch nicht, auch schon bevor der Wirtschaftsbund in die Kritik geriet. Mit Landeshauptmann Wallner soll das Verhältnis seit jeher kein besonders gutes sein. Als Wallner von Sausgruber übernahm, blieb Kessler zwar noch ein paar Monate im Landhaus. Wallner wollte aber eine andere Büroleiterin – und Kessler nicht im Team. Er musste gehen.

Aufmerksame Beobachter der Wirtschaftsbund-Affäre fragen sich, warum Wallner diese Episode nicht nützt, um zu unterstreichen, dass er Kessler schon damals nicht vertraut habe. Denn brauchen könnte der Landeshauptmann, den die Oppositionsparteien zum Rücktritt aufrufen, derzeit ja jede Verteidigung.

Kein echter Bruch

Eine mögliche Erklärung ist, dass es einen Bruch nie wirklich gab. Denn Kessler musste zwar das Landhaus verlassen und trat einen Job bei der Illwerke/VKW an. Wie Recherchen des STANDARD und des ORF Vorarlberg zeigen, bezahlte das Land Vorarlberg aber weiterhin einen guten Teil seines Gehalts.

Wie war das möglich? Kessler befand sich 2011 in einem unbefristeten Dienstverhältnis beim Land Vorarlberg und genoss zudem erhöhten Kündigungsschutz. "Nachdem eine weitere Verwendung im Büro des neuen Landeshauptmannes nicht mehr gewünscht war, musste eine neue Verwendung für Jürgen Kessler gefunden werden", heißt es heute aus der Personalabteilung des Landes. Fündig wurde man bei der Illwerke/VKW: Das Unternehmen steht mehrheitlich im Eigentum des Landes und ist das größte Energieversorgungs- und Dienstleistungsunternehmen im Ländle.

Warum das Land weiterhin für Kessler zahlte

Für Kessler wurde ein sogenannter Überlassungsvertrag zwischen dem Land und dem Unternehmen abgeschlossen. Dabei ist es laut Personalabteilung üblich, dass sich das Unternehmen dazu verpflichtet, dem Land Vorarlberg jenen Betrag zu refundieren, den Kessler üblicherweise auf dieser Stelle erhalten hätte. Und weil das weniger gewesen sein dürfte, als Kessler im Büro Sausgruber verdient hatte, musste das Land dem Vernehmen nach die Differenz übernehmen.

Im Statement der Personalabteilung steht das zwar nicht explizit, und es werden auch keine genauen Zahlen genannt. Allerdings versichern mehrere Personen dem STANDARD, dass es so abgelaufen sei. Aus der Personalabteilung heißt es: "Das Landesbedienstetengesetz sieht eine schrittweise Rückstufung des Gehalts vor. Diese Regelung wurde im Fall Jürgen Kessler angewendet." Im Sommer 2013 habe Kessler dann gekündigt.

Zwischen Einzelfällen und Normalität

Seitens des Landes wird außerdem betont, dass Überlassungen keine Besonderheit seien, sondern im Landesdienst regelmäßig vorkämen. Im Landesdienst beschäftigte Personen sehen das anders und sprechen gegenüber dem STANDARD von "äußerst seltenen Vorgängen". Von den Illwerken heißt es, dass das Instrument "fallweise" eingesetzt werde.

Bemerkenswert ist an der Geschichte auch, dass es diese Überlassung gegeben hat, obwohl sich Kessler auf eine Stelle beworben hatte. Laut Unternehmenssprecher Andreas Neuhauser hatte sich Kessler neben anderen Kandidaten beworben, er und eine weitere Person seien dann als geeignetste Kandidaten hervorgegangen. Mit beiden sei in der Folge ein Beschäftigungsverhältnis eingegangen worden. Kessler hätte demnach wohl auch schon viel früher kündigen können.

Das hohe Gehalt, das Kessler beim Land bekommen hatte, dürfte hier der Grund gewesen sein, wieso es nicht zur Kündigung kam. Denn es gilt als offenes Geheimnis, dass Kessler damals für seinen Verantwortungsbereich überbezahlt gewesen sei. Von 29 möglichen Gehaltsklassen sei er in der Klasse 23 gewesen, sagen eingeweihte Personen dem STANDARD. Das entspreche dem Gehalt eines Bezirkshauptmanns.

Was gegen eine Entlassung bzw. Kündigung von Kessler spricht

Aktuell ist Kessler weiterhin beim Wirtschaftsbund beschäftigt, wenn auch dienstfrei gestellt. Der nächste Zeitpunkt für eine Kündigung wäre laut Dienstvertrag der 30. Juni – ab dann gilt noch eine sechsmonatige Kündigungsfrist. Laut dem interimistischen Obmann arbeitet man derzeit aber an einer anderen Lösung.

Warum das allerdings unwahrscheinlich ist, beschrieb ein pensionierter Mitarbeiter der Vorarlberger Wirtschaftskammer in einem in den "Vorarlberger Nachrichten" abgedruckten Leserbrief. Darin schreibt Wolfram Walch: "Eine Entlassung ist schon wegen der anzunehmenden Mitwisserschaft der Vereinsführung nicht möglich. Damit steht Kessler neben der Gehaltsfortzahlung bis Jahresende auch eine Abfertigung von jedenfalls drei Monatsentgelten zu. Rein rechtlich gibt es für ihn wohl keinen Grund, auch nur auf einen Teil dieser mehr als 100.000 Euro zu verzichten." Wirtschaftlich würden einsichtsvoller Großzügigkeit der Verlust des Arbeitsplatzes und die Rückzahlung des hohen Darlehens entgegenstehen. (Lara Hagen, 4.5.2022)