Wien – Denkt man an die Europäische Union (EU), so kommt Teilen der Bevölkerung automatisch eine Institution in den Kopf, die bloß strenge und absurde Richtlinien verhängt und den Alltag überreguliert. Eine skurrile Verordnung, die vielen in Erinnerung geblieben sein dürfte: jene EU-Richtlinie, die vorschreibt, dass nur jene Aufstriche "Marmelade" genannt werden dürfen, die mindestens 20 Prozent Zitrusfruchtanteil enthalten. Zur Beliebtheit der EU dürften jedenfalls auch nicht die komplizierten Strukturen beitragen, die mitunter auf der europäischen Ebene vorherrschen – der Unterschied zwischen dem Europäischen Rat und dem Rat der Europäischen Union bleibt zum Beispiel für manche bis heute ein Rätsel.

Paul Schmidt und Martin Selmayer radelten durch das Bundesgebiet, um mit der Bevölkerung ins Gespräch über Europa zu kommen.
Foto: Vertretung der EU-Kommission in Österreich/Arman Rastegar

"Wir wollten vor Ort mit der Bevölkerung in allen Bundesländern reden und uns die Probleme und Sorgen bezüglich der EU aus erster Hand anhören", erklärt Selmayer im Rahmen eines Pressegesprächs. Drei zentrale Fragen wurden laut Selmayer mit den Bürgerinnen und Bürgern vor Ort besprochen: Was gefällt euch an Europa? Was gefällt euch nicht an Europa? Was können wir in Europa besser machen?

Mehr Bürgernähe ist zentral für das Vertrauen in die EU

Die Lehre aus den unzähligen Dialogen ist für Selmayer klar: "Europa muss vor Ort erklärt werden, sonst wird die Bevölkerung nicht erreicht." Die komplexen Vorgänge innerhalb der EU und ihre Funktionsweise sollen laut Selmayer am besten in der Gemeinde selbst besprochen werden. Unter anderem würden Europagemeinderätinnen und Europagemeinderäte zu einem besseren Verständnis der EU-Politik beitragen. Die Studie habe zudem ergeben, dass es "einen starken Wunsch nach Eingliederung in die aktive Debatte gibt, wenn Ideen auch Gehör finden", fügt Selmayer hinzu. Die repräsentative Studie zeigte auch, dass das Vertrauen in die Politik dann abnimmt, wenn die geografische Entfernung besonders groß ist. Sprich: Das Vertrauen in regionale Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger ist am größten, das jenes in die EU-Politik am niedrigsten.

Um das Vertrauen in die EU-Politik wieder zu stärken, wurden deshalb unzählige Vorschläge aus den Gesprächen von Selmayer und Schmidt im Rahmen ihrer Radtour gesammelt, die nun in den europäischen Entscheidungsprozess eingebracht werden sollen. Die Umfrageergebnisse und die Vorschläge aus den Dialogen werden von Selmayer und Schmidt einerseits an Bundespräsident Alexander Van der Bellen übergeben, andererseits auch an die europäischen Staats- und Regierungschefs weitergeleitet.

Schwerpunkte: Klimaschutz und Corona-Pandemie

Die Schwerpunkte jener Anliegen, die den Menschen besonders wichtig sind, liegen vor allem im Umwelt- und Klimaschutz und in der Eindämmung der Corona-Pandemie. Beispielsweise ist die Sorge über die Auswirkungen des Klimawandels bei jungen Menschen besonders groß, weshalb sie sich hier Reaktionen vonseiten der EU wünschen. Auch die Verringerung der Kluft zwischen Arm und Reich und eine einheitliche Asyl- und Migrationspolitik auf EU-Ebene seien laut Studie wichtig für die Befragten. "Letztlich ist Europa überall und nicht nur in Brüssel, das muss auch bis auf Gemeindeebene so vermittelt werden", betont Selmayer. (Max Stepan, 4.5.2022)