In Eferding ernten 15 Vietnamesen am Vormittag Radieschen, am Nachmittag setzen sie Salat und Sellerie.

Heimweh hat Ry nur am Wochenende. Dann telefoniert er mit seinen Eltern und der Schwester in Saigon. "Ich bin ja noch nicht verheiratet", sagt der 32-jährige Vietnamese und leert eine Kiste Radieschen ins kalte sprudelnde Wasser. Darin stoßen die roten Knollen aneinander und reiben sich gegenseitig die Erde runter.

Foto: Julia Beirer

Ry kennt die Handgriffe beim Eferdinger Gemüseproduzenten Ewald Mayr in- und auswendig. Bereits das dritte Jahr sät, erntet und harkt er auf dessen Äckern in Oberösterreich. Im Februar 2020 zählte er zu den ersten acht Männern, die aus Vietnam für neun Monate Saisonarbeit ins Hausruckviertel gereist sind. Im Jahr darauf waren es 13, heuer 15.

Von Österreich hatte Ry zuvor noch nie etwas gehört. Als er die Ausschreibung des Eferdinger Bauern in Saigon gelesen hat, dachte er zunächst, es gehe nach Australien. Nachdem er zuvor in Dubai und Japan in Hotels tätig gewesen war, hatte er keine Scheu vor der Arbeit im Ausland und am Acker. Es gefällt ihm gut in Österreich, sagt er. Die Touristenhotspots Hallein und Salzburg hat Ry bereits besucht.

Erntehelfer gesucht

Auf die eigenwillige Idee, Erntehelfer aus Vietnam einzufliegen, ist Ewald Mayr während einer Bildungslehrfahrt des Bundesgemüsebauverbands gekommen. Damals hat er das gesamte Land bereist, um mehr über dessen landwirtschaftliche Arbeitsweise zu lernen. Dort sei wenig mechanisiert.

"Die Vietnamesen bearbeiten die Reisfelder großteils händisch, mithilfe von Wasserbüffeln und Buckelspritzen", sagt Mayr. Ein Großteil der Bevölkerung sei in der Landwirtschaft tätig. Gemüseanbau habe einen hohen Stellenwert. Das hat Mayr gefallen. Er hat Kontakte geknüpft und schließlich eine Stellenausschreibung quer durchs ganze Land gestartet.

Für die Bewerbungsgespräche mithilfe eines Dolmetschers ist er einige Monate später wieder von Ho-Chi-Minh-Stadt bis Hanoi gefahren. Landwirtschaftliche Vorkenntnisse waren nicht nötig. "Man muss sowieso jeden neu einlernen", sagt der Landwirt.

Ry, Huy, Thành, Ánh und Ma Ra Du arbeiten diese Saison auf den Eferdinger Feldern
Foto: Julia Beirer

Mit dem Timing hatte Mayr damals Glück. Einen Monat nachdem die Vietnamesen ins Arbeiterhaus eingezogen sind, war der erste Lockdown bereits beschlossen, die Grenzen zu und noch nicht ausreichend Erntehelfer im Land. Auch dieser Tage warten seine Kollegen wieder ungeduldig auf Saisonarbeiter. Die russische Invasion in die Ukraine hat die Situation weiter verschärft.

Laut Landwirtschaftsministerium sind in den vergangenen Jahren 3.000 ukrainische Erntehelfer angereist, zwei Drittel davon allein nach Oberösterreich. Bisher sind 1.200 Ukrainerinnen in den Betrieben eingetroffen, während die Männer im Krieg kämpfen. Aktuell herrscht in Österreichs Landwirtschaftsbetrieben ein Bedarf an weiteren 1.500 männlichen Erntehelfern.

Die Stimmung unter den Landwirten ist betrübt, sagt Mayr. Aufgegeben habe allerdings noch keiner. Wobei das gerade unter den Gurkenbauern auch daran liege, dass der größte Abnehmer in der Region, Efko, sich bereiterklärt habe, die Kosten eines Ernteausfalls zu tragen, sollten die Ackerarbeiter tatsächlich ausfallen.

Geld geht nach Vietnam

Wie seine Kollegen schickt auch Ry einen Großteil des Lohns seiner Familie nach Saigon. Er verdient 1.530 Euro brutto für eine 40-Stunden-Woche. Laut oberösterreichischem Kollektivvertrag dürfen 196 Euro für Wohnen, Lebensmittel und Auto abgezogen werden. Hin- und Rückflug zahlt der Gemüsebauer.

Für Ry rentiere sich die weite Reise nach Österreich, er verdiene hier fast dreimal so viel wie in Vietnam. Zudem herrschen im Sommer in Eferding verglichen mit Saigon – durchschnittlich 31 Grad Celsius und 80 Prozent Luftfeuchtigkeit – milde Temperaturen. Rys Tag beginnt um sechs Uhr auf dem Radieschenfeld, im Hochsommer zieht er die roten Knollen schon ab fünf aus der Erde.

Damit sie die korrekte Menge ernten, kontrolliert Ry täglich die Bestellung. Er fordert seine Kollegen auch auf, sanft mit dem Gemüse umzugehen – sie sollen die roten Knollen nicht in die Kisten werfen, sondern ablegen. Ist das Gemüse beschädigt, war die Mühe umsonst.

Der Tag am Acker beginnt um 6 Uhr.
Foto: Julia Beirer

Um circa zehn am Vormittag ist die Ernte dieser Tage erledigt. Danach fahren sie die Radieschen auf den Hof und übergeben sie den dortigen Arbeitern.

Neben den Vietnamesen arbeiten zwei Kosovaren, acht Afghanen und sechs Ukrainerinnen beim Gemüseproduzenten. Mayr hat die Frauen mit ihren vier Kindern und einer Großmutter vor einigen Wochen von der ungarischen Grenze abgeholt. Er kennt sie teilweise seit Jahren.

Sechs Frauen aus der Ukraine bündeln und etikettieren die Radieschen.
Foto: Julia Beirer

Sie stammen aus Transkarpatien, einer Region im Westen der Ukraine. Nun stehen sie am Ende der Radieschenwaschstraße. Sobald sie aus dem blubbernden kalten Wasser kommen, bündeln, etikettieren und verpacken die Ukrainerinnen die mittlerweile glänzend roten Knollen. Geredet wird dabei nicht viel, die Maschine brummt ohnehin zu laut. Aber auch sonst reden die Frauen wenig, sie haben Angst, sagt Mayr. Im Gegensatz zu Ry plagt sie das Heimweh nicht nur am Wochenende. (Julia Beirer, 5.5.2022)