Ein breiter Schirm, nicht nur gegen den Regen: Beim Maifest der SPÖ warb Kanzlerin in spe Pamela Rendi-Wagner für Ideen, die in Summe neun Milliarden Euro kosten würden.

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Die Liste der Wohltaten nimmt kaum ein Ende: Ihren beim Maiaufmarsch reklamierten Führungsanspruch unterlegt Oppositionsführerin Pamela Rendi-Wagner mit einem ambitionierten Programm. Mit neun Milliarden Euro beziffert die SPÖ selbst die Kosten all ihrer Forderungen zur Linderung der Inflation – das ist mehr als doppelt so viel, wie die Regierung bisher ausgab.

Doch ist mehr per se besser? Setzen die Sozialdemokraten an den richtigen Stellen an?

Nach einer passenden Zielgruppe muss man nicht lange suchen. Weil ärmere Haushalte einen größeren Anteil ihres Einkommens für Essen, Wohnen und Energie ausgeben, trifft sie die Teuerung besonders hart. Die staatlichen Hilfen sollten deshalb auf das untere Einkommensdrittel abzielen und – falls die Inflation auch im nächsten Jahr so hoch bleibt – bis auf Haushalte mit mittleren Einkommen ausgedehnt werden, empfiehlt Josef Baumgartner vom Wirtschaftsforschungsinstitut (Wifo): "Jene, die in die Verarmung zu rutschen drohen, sollten aber im Hauptfokus stehen." Doch gerade nach diesem Raster sind die SPÖ-Pläne angreifbar.

Streichung der Mehrwertsteuer

Das beginnt bei der Idee, die Mehrwertsteuer für bestimmte Güter bis Jahresende auszusetzen: Die 20 Prozent auf Treibstoff, Strom, Gas und Heizöl sollen ebenso fallen wie die zehn Prozent auf Lebensmittel. Eine besonders rasch greifende Maßnahme, kalkuliert die SPÖ.

Der Vorschlag ist allerdings von doppeltem Optimismus getragen. Erstens setzen die Erfinder im Gegensatz zu mancher Experteneinschätzung voraus, dass Supermärkte, Tankstellen und Co die Entlastung in Form von niedrigeren Preisen an die Konsumenten weitergeben. Zweitens erlauben die EU-Regeln gar keine Reduktion der Mehrwertsteuersätze auf Energie. Das weiß auch die SPÖ, geht aber davon aus, dass die EU-Kommission dies angesichts der Teuerungskrise nicht ahnden würde.

Doch selbst wenn die Sozialdemokraten zweimal recht behalten, bleibt ein Einwand: Geld kommt zwar in allen Schichten an, am meisten aber oben. Weil reichere Menschen größere Wohnungen zu beheizen haben und in absoluten Beträgen mehr für Essen ausgeben, profitieren sie stärker vom Fall der Mehrwertsteuer. Laut Daten des Momentum-Instituts würde sich ein Haushalt des oberen Einkommensfünftels (nach Größe gewichtet) im Schnitt einen mehr als doppelt so hohen Betrag an Energieausgaben ersparen wie ein Haushalt im unteren Fünftel. Bei den Lebensmitteln beträgt der Vorteil 30 Prozent.

"Diese Maßnahme kostet viel, hilft aber jenen, die es wirklich brauchen, relativ wenig", urteilt Wifo-Ökonom Baumgartner und trifft sich dabei mit seinem Kollegen Klaus Weyerstrass vom Institut für Höhere Studien: "Das ist Politik mit der berühmten Gießkanne: teuer, aber nicht zielsicher."

Weyerstrass fügt noch eine ökologisch motivierte Kritik an. Für den Klimaschutz seien längerfristig steigende Preise bei Gas, Strom, Heizöl und Sprit heilsam. Die Steuersenkung hintertreibe das Ziel, die Menschen zum Energiesparen zu motivieren.

Deckel für Strom- und Gaspreise

Weil Klimaschutz für schlechter situierte Haushalte ebenfalls gelten solle, hält der Experte auch wenig vom Ruf nach einem Preisdeckel. Treffsicherer ist dieser Vorschlag aber allemal. Ausschließlich für Menschen mit moderatem Einkommen will die SPÖ den Preis für Strom mit 20 Cent und jenen für Gas mit sieben Cent pro Kilowattstunde begrenzen. Gelten sollen zwecks Einfachheit die gleichen Kriterien wie bei der Befreiung von der Rundfunkgebühr. Die SPÖ rechnet mit 1,2 Millionen Anwärterinnen und Anwärtern. Gemessen an Alleinstehenden verlaufe die Grenze etwa bei 1.400 Euro netto im Monat – was grob dem untersten Einkommensviertel entspricht.

Senkung der Lohn- und Einkommenssteuer

Steuerfreiheit für Einkommen von bis zu 1.700 Euro im Monat: Die mit 4,5 Milliarden Euro pro Jahr teuerste Waffe im roten Arsenal weist eine ähnliche Schwachstelle auf wie die Mehrwertsteuersenkung. Auch dieser SP-Plan, der auf die Anhebung der Grenze der ersten Steuerstufe von derzeit 11.000 auf über 15.000 Euro Bemessungsgrundlage im Jahr hinausläuft, streut Geld breit über alle Schichten. Jene Kleinverdiener, die schon jetzt unter der Steuergrenze liegen, haben von dem Schritt naturgemäß nichts – sofern nicht gleichzeitig die bestehende Negativsteuer ausgebaut wird.

IHS-Forscher Weyerstrass unterstützt den Vorschlag dennoch – zumal Arbeit hierzulande vergleichsweise hoch besteuert werde: Da sei ein solcher Anreiz, Beschäftigung anzunehmen, willkommen.

Höheres Arbeitslosengeld

Relativ niedrig liegt im EU-Vergleich hingegen das Arbeitslosengeld, wobei allerdings auch bei längerem Bezug ein relativ stabiles Niveau garantiert ist. Die SPÖ will den Anspruch von 55 auf 70 Prozent des letzten Nettolohns anheben, eine Inflationsanpassung einführen sowie den Familienzuschlag verdreifachen.

Aus sozialer Sicht spricht vieles dafür: Arbeitslosigkeit ist einer der großen Treiber von Armut. Allerdings warnen Skeptiker wie Weyerstrass davor, die Motivation, eine Arbeit anzunehmen, zu untergraben. Statt eines Schnellschusses brauche es ein wohlüberlegtes Konzept, wie es die Regierung derzeit ohnehin verhandelt.

Gratis, aber nicht umsonst

Im roten Katalog finden sich auch Forderungen, die nichts kosten sollen. So hätte die Regierung nach den Buchstaben des Preisgesetzes den Spritpreis längst regulieren – sprich: senken – müssen, argumentiert die SPÖ. Nach der Interpretation von Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck (ÖVP) sind die Kriterien dafür allerdings nicht erfüllt.

Gratis wäre es für die Koalition auch gewesen, die jährliche Inflationsanpassung der Richtwertmieten für Altbauten ein weiteres Mal auszusetzen. Ob in der Zukunft, wenn all die aufgeschobenen Erhöhungen mit einem Schwung nachgeholt werden, dann nicht ein böses Erwachen für die Mieter drohe? Es gehöre grundsätzlich hinterfragt, warum Einkünfte aus Immobilienbesitz mit der Teuerung aufgewertet werden, ist aus der SPÖ zu vernehmen.

Vorgezogene Pensionserhöhung

Das Gesetz lässt Ruheständler bis zum Beginn des nächsten Jahres warten: Dann sollen die Pensionen im Ausmaß der durchschnittlichen Inflation des Zeitraums von August 2021 bis Juli 2022 angepasst werden. Der SPÖ dauert das zu lange, sie will eine vorgezogene Anhebung um fünf bis sechs Prozent. Wieder steht der Vorwurf der Gießkanne im Raum, denn auch Spitzenpensionisten wären betroffen. Allerdings wachsen die Bäume weniger in den Himmel als bei den Arbeitseinkommen. Die durchschnittliche Alterspension beträgt 1.454 Euro, wer aus gesundheitlichen Gründen frühzeitig in Pension ging, kommt im Schnitt auf 1.255 Euro.

Doch ist es realistisch, dass es wirklich bei einer reinen Vorziehung bleibt? Und würde sich eine Regierung trauen, einen Teil der Erhöhung wieder zurückzunehmen, wenn die Jahresinflation letztlich unter den fünf bis sechs Prozent liegen sollte? Die Großzügigkeit der letzten Jahre, als ein Teil der Altersbezüge stets über die Inflation hinaus erhöht wurde, lässt eher vermuten: Pensionistinnen und Pensionisten dürften sich Hoffnung auf eine Extraerhöhung machen. Schön für sie – aber teuer für den Staat.

Vorrang für direkte Hilfe

Von den Werktätigen bis zu den Senioren: Die Experten von Wifo und IHS plädieren grundsätzlich für einen anderen Weg. Mit Direktzahlungen lasse sich Bedürftigen gezielter helfen, das Wifo befürwortet auch die Anhebung bestehender Sozialleistungen.

Warum sich die SPÖ hingegen auf Massenentlastungen versteift? Wer in die Partei hineinhört, stößt auf nicht nur auf sachliche Begründungen. Es sei nicht zu leugnen, dass sich plakative Forderungen wie die eigenen nun einmal gut anpreisen ließen – bei komplizierten Konzepten könne man sich hingegen den Mund fusselig reden, ohne dass jemand Notiz nimmt. Doch auch die Dramatik der Lage spreche für breite Programme: sonst drohe selbst der Mittelschicht der Absturz.

Diese Argumentation ist selbst unter Sozialdemokraten nicht unumstritten. Es sei ja nicht so, dass die Einkommen nicht an die Inflation angepasst würden, wendet ein auf Anonymität bedachter Kritiker ein, der das teure SP-Programm für überzogen hält. Schließlich zeigten die jüngsten Lohnverhandlungen gerade das Gegenteil. Der A&W-Blog von Arbeiterkammer und ÖGB rechnet auf Basis von Daten der Oesterreichischen Nationalbank vor: In den letzten 25 Jahren sind die kollektivvertraglichen Mindestgehälter deutlich stärker gestiegen als die Verbraucherpreise.

Weil sich diese Abschlüsse aber an der Inflation der letzten zwölf Monate orientieren, setzt die Abgeltung erst nachträglich ein. Geraten die Bürgerinnen und Bürger bis dahin nicht in Not? Wifo-Experte Baumgartner verweist darauf, dass die Österreicher in der oberen Einkommenshälfte seit der Pandemie einen deutlich größeren Anteil ihres Einkommens gespart haben als davor. Die steigenden Preise würden dazu führen, dass Menschen von der Mittelschicht aufwärts nun eben weniger Geld auf die Seite legen könnten als bisher. "Der Staat muss und soll für diese Gruppe keine Härten abfedern, weil es keine Härten gibt", sagt er. So unerfreulich Betroffene dies auch empfinden: "Wer es sich leisten kann, wird die Teuerung schlucken müssen." (Gerald John, 5.5.2022)