Im Schuljahr 2020/21 wurden 10.484 Volksschülerinnen und Volksschüler als "außerordentlich" geführt. Das bedeutet, sie konnten der Unterrichtssprache Deutsch nicht in einem ausreichenden Maß folgen. Diese Einstufung ist für bis zu zwei Jahre möglich. Danach müssen die Schüler in allen Fächern benotet werden.

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Sie waren der Hauptgrund, dass die ehemalige ÖVP-FPÖ-Bundesregierung 2018 die Einführung eigener Deutschförderklassen umgesetzt hat: Es geht um Schülerinnen und Schüler, die aufgrund mangelnder Deutschkenntnisse dem Unterricht nicht folgen können und als "außerordentlich" klassifiziert werden. Vor allem in der Millionenmetropole Wien ist das ein großes Thema: Im Bereich der Volksschule wurde im Schuljahr 2020/21 laut den aktuellen Daten der Statistik Austria jeder siebente Schüler als außerordentlich geführt. Insgesamt erhielten 10.484 Wiener Volksschülerinnen und Volksschüler mit Deutschproblemen den außerordentlichen Status. Davon besuchten 4526 eine Deutschförderklasse.

60 Prozent in Österreich geboren

Von allen außerordentlichen Schülerinnen und Schülern in den Wiener Volksschulen haben mehr als 60 Prozent ihren Geburtsort in Österreich. Das bedeutet: Diese wuchsen hier auf, besuchten auch den Kindergarten – und hatten dennoch so große Deutschdefizite, dass sie dem Unterricht nicht folgen konnten. Die Zahl von 60 Prozent nannte Bildungsstadtrat Christoph Wiederkehr von den Neos in einer Anfragebeantwortung an die Wiener ÖVP. Der designierte türkise Landesparteichef Karl Mahrer kritisierte in diesem Zusammenhang Versäumnisse im Bildungs- und Integrationsbereich in Wien: "Da läuft etwas ganz gehörig schief."

Mahrer verwies auch darauf, dass fast ein Drittel der als außerordentlich geführten Schüler in der Hauptstadt die österreichische Staatsbürgerschaft haben – und dennoch Deutschdefizite aufwiesen. Der türkise Bildungssprecher Harald Zierfuß ergänzte: "Die Stadt darf nicht wegschauen, wenn Kinder in Deutschförderklassen durchschnittlich 2,6 Jahre im Kindergarten waren."

Um die Defizite auszumerzen, fordert die ÖVP die Reduktion der Gruppengrößen in Kindergärten sowie mehr Sprachförderkräfte in Kindergärten. Beim Kindergartenpersonal soll als Mindestanforderung für eine Anstellung von Assistenzkräften ein hohes Deutsch-Niveau nachgewiesen werden müssen. Außerdem sollen Eltern von Kindern mit Deutschdefiziten in die Pflicht genommen werden.

ÖVP fordert Broschüren der Stadt nur noch auf Deutsch

Werden diese Mängel bei der Sprachstandsfeststellung im Kindergarten festgestellt, sollen Eltern verpflichtend einen Elternkurs des Österreichischen Integrationsfonds (ÖIF) besuchen müssen – oder gleich auch einen verpflichtenden Deutschkurs. Außerdem sollen "fast alle" Broschüren und Informationen der Stadt Wien nur mehr auf Deutsch aufliegen. Caroline Hungerländer, die türkise Integrationssprecherin, fasst den Forderungskatalog so zusammen: "Ohne Deutsch kein Fortkommen in dieser Stadt."

Broschüren im Kindergarten nur noch auf Deutsch zu produzieren, lehnte Bildungsstadtrat Wiederkehr umgehend ab. Aus seinem Büro hieß es zum STANDARD: "Wir sehen es nicht wie die ÖVP als schlecht an, wenn ein Kind mehrere Sprachen spricht, sondern im Gegenteil als Gut, das unterstützt gehört." Laut Wiederkehr werden zudem die Sprachförderkräfte in Kindergärten von 300 auf 500 aufgestockt.

Weiterhin 300 Sprachförderkräfte in Wien

Dieses Ziel wurde schon im rot-pinken Regierungspakt 2020 verankert. Beim Ausbau hapert es nach STANDARD-Informationen aber gehörig: Zwar wurden im Herbst 2021 die ersten 50 neuen Sprachförderkräfte begrüßt, aktuell gibt es aber immer noch rund 300 Sprachförderkräfte. Im Büro Wiederkehr verweist man auf "Fluktuationen" im Beruf. Ab Herbst 2022 sollen aber die nächsten 50 Personen ihren Dienst aufnehmen. Eine Ausschreibung erfolgt Mitte Mai.

Eine Milliarde Euro pro Jahr im Kindergartenbereich

Wien gebe jedenfalls im Kindergartenbereich eine Milliarde Euro pro Jahr aus. Die Stadt könne aber nicht alle Herausforderungen stemmen, heißt es aus dem Stadtratsbüro. "Hier ist der Bund gefordert, die Ressourcen entsprechend aufzustocken." Stattdessen torpediere die ÖVP jegliche Integrationsbemühungen seit Jahren.

Dass die Wiener ÖVP nur Maßnahmen im Kindergartenbereich forderte, liegt politisch auf der Hand: Dafür ist die rot-pinke Stadtregierung verantwortlich. Im Bildungs- und Integrationsbereich gibt es mit Minister Martin Polaschek (Bildung) und Ministerin Susanne Raab (Integration) aber türkise Zuständigkeiten im Bund. So forderte Wiederkehr erst vergangene Woche 1000 zusätzliche Lehrerplanstellen für Wien. Wiederkehr verwies auf die Auswirkungen der Corona-Pandemie sowie auf den Betreuungsaufwand für geflüchtete Kinder und Jugendliche aus der Ukraine. Polaschek zeigte sich gesprächsbereit – meinte aber, dass Wien auch selbst Personal einstellen könne.

Anzahl der außerordentlichen Schüler nahm zuletzt ab

Zuletzt nahm die Anzahl der außerordentlichen Schülerinnen und Schüler in Wien übrigens ab. Nach den großen Flüchtlingsbewegungen 2015 und 2016 wurde im Schuljahr 2017/18 mit 16.540 außerordentlichen Schülern ein Rekordwert erreicht, im Schuljahr 2020/21 waren es noch insgesamt 11.870. Mit den schulpflichtigen Kindern und Jugendlichen aus der Ukraine, die aufgrund des Krieges flüchten mussten, dürfte die Zahl wieder steigen. (David Krutzler, 5.5.2022)