Am Vorabend des 77. Jahrestags der Befreiung fand erstmals auch ein Gedenkakt im neu angekauften und adaptierten Konzentrationslager Gusen statt.

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Linz – Die Topografie des Terrors ist heute eine ländliche Idylle. Schmucke Einfamilienhäuser reihen sich in Gusen in der kleinen oberösterreichischen Gemeinde Langenstein aneinander. In den einen Gärten spielen Kinder, in den anderen wird das Grün frühlingsfit getrimmt. Nichts deutet an diesem lauen Abend darauf hin, dass dieser Boden blutgetränkt ist. Und doch lebt man hier auf geschichtlich schwer belastetem Terrain.

Ein Video des Gedenkens am Areal des früheren KZ Gusen.
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Zentrale Teile des ehemaligen KZs Gusen befanden sich dort, wo heute Wohnsiedlungen stehen. Mit einer deutlichen Verspätung kommt die Republik nun mit dem Ankauf zentraler Teile des ehemaligen Lagers – des Appellplatzes, des Schotterbrechers und zweier SS-Verwaltungsgebäude – ihrer historischen Verantwortung nach. Am Mittwochabend, dem Vorabend des 77. Jahrestags der Befreiung, fand nun erstmals auf dem Gelände ein Gedenkakt mit der versammelten Staatsspitze statt.

Enormer Blutzoll

Es ist ein Ort, der sinnbildlich für den Umgang Österreichs mit den dunkelsten Kapiteln der eigenen Geschichte steht: verdrängen, vergessen – sprichwörtlich Gras über die Sache wachsen lassen. Im Ort gibt es aktuell zwar eine Gedenkstätte, die aber dem Grauen nicht gerecht wird. Allein im KZ Gusen wurden 71.000 Menschen aus fast 30 Nationen gefangen gehalten. Sie mussten dort unter enormem Blutzoll eine unterirdische Stollenanlage errichten, in der die Nazis unter dem Decknamen "Bergkristall" eine geheime Rüstungsproduktion betrieben. Mehr als die Hälfte überlebte die Haft nicht.

Keine Aufklärung vor Ort

Wer die Geschichte nicht kennt, wird derzeit auch vor Ort nicht aufgeklärt. Die schmale Seitenstraße führt auf einen großen Schotterparkplatz. Zwei hölzerne Baracken grenzen den Platz längsseitig ein, eine große weiße Villa sticht dem unbedarften Betrachter ins Auge. Bei den Holzbaracken handelt es sich um die nun von der Republik angekauften ehemaligen SS-Verwaltungsgebäude, die Villa in Privathand ist das einstige "Jourhaus": der Eingang zum Lagerkomplex Gusen I – das Tor zur "Hölle der Höllen".

Das Ende des Verdrängens

Der Weg führt vorbei an einer großen steinernen Wand hin zum ehemaligen Appellplatz. Ein Teil davon wurde bereits von Schutt und Sträuchern gesäubert. Die Zeiten des Verdrängens scheinen vorbei. Jahrzehntelang hat man das Gras über das Unfassbare wachsen lassen, ist den vielen Opfern und deren Angehörigen ein würdiges Gedenken schuldig geblieben. Doch jetzt wird schonungslos abgemäht.

Unmittelbar neben dem ehemaligen Appellplatz steht ein weiteres Relikt der NS-Tötungsmaschinerie: Eine Trutzburg aus Beton ist der Schotterbrecher des Steinbruchs, gleich neben einem Lagerplatz eines Granitwerks, das heute noch in Betrieb ist.

Im Licht der Öffentlichkeit

Der Ort der Finsternis wurde am Mittwochabend hell ausgeleuchtet, der Platz des Vergessens ins Licht der Öffentlichkeit gerückt. "Gusen war in unserer Gedenkkultur nicht so gegenwärtig, wie es hätte sein müssen", räumte Bundespräsident Alexander Van der Bellen ein. Dieser Missstand werde nun behoben. Er sichere den Opferländern zu, dass Österreich alles tun werde, um das Areal zu einem Ort zu machen, "der des Gedenkens aller Opfer würdig ist".

"Gusen war ein Ort der Vernichtung", gedachte der Bundespräsident der zigtausenden Opfer. Er erinnerte daran, dass das 1965 eingeweihte Memorial von Gusen "von internationalen Überlebendenverbänden finanziert und errichtet wurde, auf privater Basis. Erst 1997 übernahm die Republik Österreich die Verantwortung für das Memorial und errichtete 2004 ein Besucherzentrum mit Dauerausstellung." Nun sei der Grundstein gelegt, um "der Würde und der Bedeutung des Ortes angemessen" zu gedenken.

Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) merkte an, dass Gusen ein Spiegelbild dafür sei, wie Österreich nach 1945 mit seiner Geschichte umgegangen sei. "Nur durch die Initiative vieler, die sich um diesen Ort verdient gemacht haben", sei es möglich geworden, sich dieser Geschichte zu stellen. "Die Gedenkkultur hat sich in unserem Land Gott sei Dank in den letzten Jahren stark verändert."

Bevölkerung "nicht verantwortlich machen"

Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) ging auf einen weiteren Aspekt der Nachkriegsgeschichte der Gegend ein, als hier Einfamilienhäuser und Wirtschaftsbetriebe errichtet wurden. "Die Leute, die hier leben, die darf man nicht dafür verantwortlich machen. Die Republik hat sich dazu entschieden, Mauthausen zum Ort des Gedenkens zu machen und Gusen aufzugeben. Und heute haben wir dazu einen anderen Zugang", betonte er. Für Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) "zeigt dieser Ort ganz besonders die Verdrängungskultur der jungen Zweiten Republik", als ehemalige Lagergründe parzelliert und billig verkauft wurden. Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) betonte, dass mit dem Kauf des Areals nun auch in Gusen ein würdiges Gedenken möglich gemacht werde. "Gedenkarbeit ist wichtig, weil die Zeitzeugen leiser werden, weniger werden, verstummen."

Das feierliche Gedenken, zu dem auch zahlreiche weitere Regierungsmitglieder, Vertreter der Klubs von ÖVP, SPÖ, Grünen und Neos, mehrerer Botschaften sowie von Religionsgemeinschaften und Opferverbänden gekommen waren, hatte am frühen Abend in der Gedenkstätte Mauthausen begonnen, wo die Ehrengäste am Sarkophag Blumen niederlegten und Biografien von Opfern vorlasen. Fortgesetzt wurden die Feierlichkeiten dann auf dem ehemaligen Appellplatz von Gusen. Nach Einbruch der Dunkelheit projizierte die Lichtinstallation #eachnamematters in Zusammenarbeit mit dem Linzer Ars Electronica Center die Namen der Opfer an die Außenmauer des Memorials Gusen. (Markus Rohrhofer, 5.5.2022)