Anonymous hat sich in die US-Debatte um das mögliche Aus für "Roe v. Wade" eingeschalten.

Foto: Unsplash/Mohammad Hoseini Rad

Seit dem Leak eines Entscheidungsentwurf aus dem US Supreme Court gehen nicht nur in den USA die Wogen hoch. Das mehrheitlich mit konservativen Richtern besetzte Gremium könnte sich dazu entscheiden, seine eigene Grundsatzentscheidung aus dem Jahr 1973 umzustoßen. Mit seinem Urteil im Fall "Jane Roe versus Henry Wade" definierte das Höchstgericht damals ein bundesweites Recht auf Schwangerschaftsabbrüche.

Mit Unterstützung der "Originalisten" in der Riege der Richter – sie sehen die ursprüngliche Version der US-Verfassung als einzig wahre Interpretationsgrundlage für ihre Urteile an – droht damit wieder die vollständige Kriminalisierung von Abtreibungen. Mit Gesetzgebung wie dem texanischen "Heartbeat Act" war das Abtreibungsrecht in einigen Bundesstaaten ohnehin bereits deutlich ausgehöhlt worden. Das drohende Aus für "Roe v. Wade" ruft nun auch das Hackerkollektiv Anonymous auf den Plan. Es hat eine Drohung an den Supreme Court ausgesprochen.

Drohung von Anonymous

"'Roe v. Wade' aufzuheben wird nicht so funktionieren, wie das Höchstgericht oder die Republikanische Partei sich das vorstellen", schreibt Anonymous auf einem dem Kollektiv zugeordneten Twitter-Account. "Spielt mit Feuer und verbrennt euch. Sagt nicht, wir hätten euch nicht gewarnt. Rechnet mit uns." Anonymous mischt immer wieder bei aktuellen Auseinandersetzungen mit und tritt im Rahmen des Ukraine-Kriegs als Gegner des russischen Regimes auf.

In dem durchgesickerten Dokument des Supreme Court, verfasst vom konservativen Richter Samuel Alito, heißt es, dass die Entscheidung von 1973 von Beginn an "ungeheuerlich falsch" gewesen sei. "Es ist an der Zeit, der Verfassung Tribut zu zollen und die Entscheidung über Abtreibungen den gewählten Repräsentanten des Volkes zurückzugeben."

Neueren Umfragen zufolge ist die US-Bevölkerung mehrheitlich für die Beibehaltung des Abtreibungsrechts. Frauenrechtlerinnen und Mediziner warnen, dass die Kriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen nicht dazu führt, dass diese nicht mehr durchgeführt werden. Frauen würden sich aus guten Gründen zu einem solch schweren Schritt entscheiden und Abtreibungen dann schlicht illegal und unter potenziell riskanten Bedingungen vornehmen lassen.

Datenhändler in der Kritik

Die Diskussion über den Leak erweiterte sich schnell auch auf eine andere Problematik: dubiosen Datenhandel. Zahlreiche Firmen in den USA verdienen ihr Geld unter anderem mit Verkauf und Vermarktung von Ortsdaten, darunter auch Auswertungen, die zeigen können, wer wann Abtreibungsanbieter besucht hat.

In die Kritik gelangte etwa die 2016 gegründete Firma Safegraph. Deren CEO Auren Hoffman machte schon in der Vergangenheit Schlagzeilen. 2006 wurde er der Manipulation des Wikipedia-Eintrags über ihn überführt. Seine ehemalige Firma Rapleaf übermittelte Informationen an andere Firmen, die die Identifikation von Internetnutzern ermöglichten, weswegen Facebook den Datenzugriff für das Unternehmen massiv einschränkte.

Safegraph wiederum erhielt 2017 ein 16 Millionen Dollar schweres Investment vom ehemaligen Chef des saudischen Geheimdiensts. Zu den Investoren gehört auch der libertäre Milliardär Peter Thiel. Der Arbeitgeber von Ex-Kanzler Sebastian Kurz hat sich immer wieder für republikanische Belange starkgemacht und zählt auch zu den Unterstützern von Donald Trump. 2021 warf Google das Werbeunternehmen hinaus, da es illegal Daten über die Services des Konzerns gesammelt hatte. Konkret hatte Safegraph Entwickler dafür bezahlt, entsprechenden Code in ihre Apps einzubauen, der die Smartphones der Nutzer ohne deren Einwilligung nachverfolgte.

Die Praktiken der Firma wurden nun erneut öffentlich thematisiert und lösten eine Welle der Kritik aus. Nandini Jammi, Gründerin des Adtech-Watchdogs "Check my Ads", stellte Hoffman und andere Safegraph-Beteiligte im Kontext der drohenden Abschaffung des Rechts auf Abtreibung via Twitter an den Pranger und warf ihnen vor, sich künftig daran bereichern zu wollen, Daten über Frauen, die Abtreibungsdienstleister besuchen, an die Behörden zu verkaufen.

Das Magazin "Vice" stellte in einem Artikel zudem die Möglichkeit in den Raum, dass Safegraph von Abtreibungsgegnern gekauft werden und als Waffe gegen betroffene Frauen, Ärzte und Kliniken eingesetzt werden könnte. Testweise hatte man zudem um gerade einmal 160 Dollar Informationen über 600 "Planned Parenthood"-Dienstleister, darunter auch Abtreibungskliniken, von der Firma erworben. Diese zeigten, woher in Gruppen gegliederte Menschen, die diese Anbieter besuchten, kamen, wie lange ihr Besuch dauerte und wohin sie sich anschließend begaben.

Der Adtech-Anbieter reagierte nun auf den öffentlichen Druck, berichtet CNBC. Man hat nach eigenen Angaben den Verkauf von Daten über Abtreibungskliniken ab sofort eingestellt. Weiterhin abrufbar bleiben allerdings Adressen und Öffnungszeiten von Beratungsstellen des "Planned Parenthood"-Programms.

Unternehmerin rät zur Deinstallation von Menstruationstrackern

Allerdings betont man auch, dass die Informationen anonymisiert gewesen seien und es nicht um Einzelpersonen gehe, sondern darum, wie Gruppen von Menschen mit realen Orten interagieren. In einem Blogartikel schreibt man, dass man noch von keinem Fall gehört habe, in dem Safegraph-Daten missbraucht worden wären. Im Gegenteil, diese seien sogar im Rahmen der Bekämpfung der Covid-Pandemie zum Einsatz gekommen. Aber es gebe "extrem hypothetische Ausnahmefälle", deren Prävention man für notwendig halte.

Problematisches Tracking, das sich in Zukunft als Waffe gegen Frauen und Abtreibungsanbieter einsetzen lässt, ist potenziell in einer Reihe von Apps zu finden. Besonders heikel in diesem Kontext sind freilich Gesundheitstracking-Tools, insbesondere Menstruationskalender. In diesem Kontext ruft Elizabeth McLaughlin, Autorin und CEO der Beratungsfirma Gaia Project Consulting, dazu auf, diese sofort zu deinstallieren und gespeicherte Daten zu löschen. (gpi, 5.5.2022)