Muttertagsgedicht
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Pro

von Ronald Pohl

Lieb Mütterlein, Du hast es fein: Kaum hebst Du morgens früh dein Lockenköpfchen, gewahrst du wundermild zwei hold' Geschöpfchen! Sie plagen ihrer Zungen süße Schlecker, sind Dir des Frühstückstisches liebe Decker. Das eine schneidet Brot länglich in Quader, es ritzt den Finger sich, dass aus der Ader ihm dicke Tropfen hervorschießen: Sie tröpfeln auf der Küche neue Fliesen, dass Wehgeschrei von Einbaukästen hallt! Ein anderes gart die Eier dergestalt, dass kochend Wasser schaumig überfließe, Du ahnst es schon: auf Küches neue Bodenfliese! Vergessen scheint der Verse süße Klage, du mögest heut, an Deinem Ehrentage, wenigstens von des Haushalts Müh'n entbunden mit Papa lieb sein und sein Herz erkunden, statt an der Küche weißer Einbauleiste, die Papa Dir gekauft: die lang verheißte! – den Brotbelag mit Gurkerln abzurunden ... So weit das Lied: Du weißt jetzt schon das meiste! Lieb Mütterlein, Du hast es fein: Jetzt wickle mir den Finger ein! Sonst müssen wir den Muttertag ganz streichen. Er ist von Übel, und er zeitigt Leichen.

Kontra

von Sigi Lützow

Seit Jahren schon will ich Dir sagen;
Ich habe Angst vor Muttertagen;
Du fragst warum? Gemach! Gemach!
Hör mir nur zu, sprich erst danach;
Vor Dir aufstehen, Frühstück machen;
Das schreckt mich nicht;
Da muss ich lachen;
Die Wahl der Blumen fällt mir leicht;
Für eine, die der Rose gleicht;
Auch weiß ich stets;
Was ich Dir schenke;
Ich kenn Dein Faible für Getränke;
Wohin zu Mittag? 's ist keine Frage;
Solang ich nicht die Rechnung trage;
Und niemals muss ich suchen;
Für hernach den Kuchen;
Alle Jahre wieder,
Bäckt ihn die Aida.
(Weil, was ich kauf beim Felber,
das ess ich lieber selber!)
Naht der Abend dann geschwind;
Bricht es auf, dein einz'ges Kind;
Stumm wie Fisch;
Verlässt's den Tisch;
Denn was ihm nicht gelingen mag;
Ist ein Gedicht, das Deiner;
Äh, würdig ist. (RONDO, 5.5.2022)