Er kommt zu spät, sie zieht die Augenbraue hoch, wie nur sie es kann: Was für ein Benehmen! Zumindest das war früher besser, da ist Anneliese Rohrer sicher. Das ironische Pas de deux der Doyenne des innenpolitischen Journalismus und des ORF-Journalisten findet im nobel verwitterten Südbahnhotel am Semmering statt und bildet die Rahmenhandlung für Hanno Setteles Dok.1-Film "Früher war alles besser".
Settele beginnt mit einem ebenfalls selbstironischen Kunstkniff. "Alte weiße Männer" wie er selbst jammerten ständig, dass früher alles besser gewesen sei – davon ausgehend klopft er zahlreiche Themenbereiche auf ihren Realitätsgehalt ab. Gab’s früher "echte Kerle", fragt Settele etwa Fußballlegende Herbert Prohaska. Das bleibt irgendwie offen. Klar dagegen kann die Frage in Sachen Forschung und Entwicklung beantwortet werden. Exoskelette, die Querschnittgelähmten das Gehen ermöglichen – das macht das Heute besser als das Früher. Über den Geschmack veganer Lachsröllchen aus dem 3D-Drucker kann man wiederum streiten, über die Qualität gegenwärtiger Politik eher nicht. So geht’s rasant weiter: Vom Urlaub über die Liebe bis hin zur Zukunft schlechthin liefert Settele eine unterhaltsame Revue durch ernsthafte Themen.
Den Höhepunkt gibt Willi Resetarits, den Settele gefragt hat, ob die Musik früher besser war? "You still can add soul to the shit", formuliert der Ex-Ostbahn-Kurti elegant, und: "The best is yet to come." Herzergreifend, wie auch das auf die Dok.1 folgende Interview Setteles mit dem Musiker, 20 Tage vor seinem plötzlichen Tod. Insgesamt ein gelungener ORF-1-Hauptabend. Mehr davon würde nicht schaden. (Petra Stuiber, 5.5.2022)