Das Erinnern dürfe nicht zur "formelhaften Pflichtübung" werden, sagte Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka.

Foto: APA / Georg Hochmuth

Wien – Die parlamentarische Gedenkveranstaltung gegen Gewalt und Rassismus ist heuer vom russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine mitgeprägt worden. Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) forderte, die Ukraine mit allen verfassungsrechtlich möglichen Mitteln zu unterstützen. Bundesratspräsidentin Christine Schwarz-Fuchs (ÖVP) meinte, man dürfe dem russischen Angriff nicht tatenlos gegenüberstehen.

Die Gedenkveranstaltung am Jahrestag der Befreiung des ehemaligen Konzentrationslagers Mauthausen wurde heuer wieder mit größerem Auditorium in der Wiener Hofburg durchgeführt. Zu den Gästen zählte Bundespräsident Alexander Van der Bellen ebenso wie Repräsentanten aller Parlamentsparteien. Musikalische Begleitung gab es auf der Violine durch den Ukrainer Viktor Andriichenko und den in Moskau geborenen Aliosha Biz.

Sobotka: Nachkriegszeit hat viele blinde Flecken

Schwerpunktthema des Gedenkens war der Zukauf von Arealen am ehemaligen Konzentrationslager Gusen, der von Sobotka auch gewürdigt wurde. Gleichzeitig betonte der Nationalratspräsident jedoch, dass die Zeit nach 1945 viele blinde Flecken habe, die Aufarbeitung bräuchten – etwa bezüglich Nachkriegsjustiz oder Umgang mit weiteren Opfergruppen wie Roma, Homosexuellen und Zeugen Jehovas. Auch rechtlich gebe es Relevantes, beispielsweise ob die Restitution von gestohlenem Besitz abgeschlossen sei.

Sobotka meinte, bleibe Erinnern nur in der Vergangenheit verhaftet, drohe es meist, zur formelhaften Pflichtübung zu werden: "Über die Mörder ist heute leicht und furchtlos zu urteilen. Sie können einem nichts anhaben." Anders verhalte es sich in der Gegenwart. Hier habe moralisch zu handeln einen Preis und sei mit Risiko verbunden.

Nunmehr sei man in der unbequemen, unausweichbaren Unmittelbarkeit angelangt: "Da sind wir gefordert, Stellung zu beziehen, hier und jetzt." Der Angriff auf die Ukraine müsse aufs Schärfste verurteilt werden, das Land mit allen verfassungsrechtlich möglichen Mitteln unterstützt werden, und es müsse jede Möglichkeit ergriffen werden, die zu Dialog und Waffenstillstand führe.

Schwarz-Friesel: Antijüdisches Ressentiment wurde "selbstverständlicher"

In ihrem Referat hatte die Antisemitismusforscherin und Professorin an der Technischen Universität Berlin, Monika Schwarz-Friesel, davor gewarnt, dass der Judenhass in der ganzen Welt höchst präsent sei. Das antijüdische Ressentiment sei in den vergangenen Jahren sogar offener und selbstverständlicher geworden.

Manchmal entstehe der Eindruck, dass die toten Juden geehrt, die lebenden aber verunglimpft würden, so Schwarz-Friesel mit Bezug auf manche Kritik an Israel. Der Antisemitismus lebe, und er nähre sich vom Dulden, vom Wegschauen und vom Leichtnehmen. Dabei sei die Judenfeindschaft ein gesamtgesellschaftliches Phänomen, auch in gebildeten Kreisen. In den USA habe sich an Hochschulen gar ein Campusantisemitismus gebildet.

Bundesratspräsidentin Schwarz-Fuchs betonte, "unsere Leidenschaft" für Gerechtigkeit, Gewaltlosigkeit und Frieden bedeute Verantwortung für Menschen, die aus der Ukraine geflohen seien. Die Gegenwart erinnere an die dunkle Zeit des Zweiten Weltkriegs. Hier gelte es, jeder Art von Gewalt entgegenzutreten und nicht wegzusehen, wenn Menschen erniedrigt, misshandelt oder ermordet würden. (APA, red, 5.5.2022)