Warum es in unseren Städten und auf dem Land nicht so weitergehen kann, schreibt die Architektin Sabine Pollak im Gastblog.

Ja, mach nur einen Plan!
Sei nur ein großes Licht!
Und mach dann noch’nen zweiten Plan
Gehn tun sie beide nicht.
Denn für dieses Leben
Ist der Mensch nicht schlecht genug.
Doch sein höhres Streben
Ist ein schöner Zug.

Als Bert Brecht 1928 die Ballade von der Unzulänglichkeit des menschlichen Planens schrieb, dachte er wohl eher nicht an das Zeichnen von städtebaulichen Plänen. In der Dreigroschenoper singt der Bettlerkönig Peachum das Lied. Seit der ersten Inszenierung der Oper beginnt meist vorerst die Melodie des Liedes zu spielen, und der Polizeichef fragt Peachum, was denn das sei. Daraufhin antwortet der Bettlerkönig: "Das ist die Ballade von der Unzulänglichkeit des menschlichen Planens. Da können Sie was lernen."

Das Lied sollte verdeutlichen, dass man in der Welt ganz allgemein und vor allem im damaligen Zustand von Welt mit der Vernunft alleine nicht weit kommen würde. Nun sind fast hundert Jahre seit der Uraufführung der Dreigroschenoper vergangen. Man muss weder Bettlerkönig noch Polizeichef sein, um zu erkennen: die Moral der Ballade gilt auch heute noch. Je mehr Pläne wir machen, desto eher werden wir scheitern, Vernunft bringt uns heute nicht unbedingt weiter, und Pläne an sich, also architektonische oder städtebauliche Pläne, sind sowieso veraltet. Dann können wir es doch auch gleich sein lassen mit dem großen Plan. Ein Hoch also der Unzulänglichkeit!

Le Corbusier und sein wahnwitziger Plan für Paris. Die Zeit des großen Planens ist vorbei!
Grafik: Costanza Coletti

Ein Hoch der Unzulänglichkeit

Ich mag das Wort Unzulänglichkeit. Es ist so schön kompliziert und uneindeutig. Es bedeutet nicht, dass man etwas nicht kann, sondern eher, dass man bestimmten Anforderungen nicht ausreichend genügt. Aber wer bestimmt denn die Anforderungen? Wer sagt denn, wie wir leben, wohnen, bauen oder lieben sollen? In Wien würde man vielleicht von einer Malaise oder einer Kalamität sprechen. Das sind auch schöne Begriffe, aber Unzulänglichkeit ist besser. Ich erachte es gerade jetzt, in diesem Moment der Geschichte, für wichtig, sich eine Unzulänglichkeit einzugestehen. Auch im Zusammenhang mit Architektur und Planung. Unzulänglichkeit ist wichtig, weil das, was wir (Architektinnen, Planende, Studierende) gelernt haben, uns momentan kein Stückchen weiterhilft. Die klassische Architektur- oder Städtebauausbildung macht uns nicht zu besseren Menschen, löst keine sozialen Unterschiede, beschleunigt den Klimawandel eher als dass sie ihn bremst und wird uns nicht helfen, die Liebe unseres Lebens zu finden. Im Gegenteil. Ich vermute, dass es kaum wo so viele Singles gibt wie unter Architekten und Architektinnen. 

Alternativen zur klassischen Architekturausbildung, Strategien für den öffentlichem Raum.
Foto: raum&designstrategien

So schlecht ist das alles nicht, oder?

Die letzten zwei Jahre waren nicht einfach, und anstelle von Entspannung trat das Entsetzen über einen Krieg ein. Da ist man froh, wenn alles halbwegs gut läuft bei uns. Ja eh, wie man in Wien sagt, oder moldu (das vorarlbergerische isn’t it). Genau das ist unser Problem. Wir in Österreich neigen schnell dazu, das Gegebene als Standard hinzunehmen. Und wenn Veränderung passiert, dann sollte sie bloß nicht zu arg ausfallen, also von vornherein eher abgeschwächt sein, damit auch alle dann ein bisschen zufrieden sind damit. Bettenobergrenze gegen Overtourismus? Ja eh, aber bitte so hoch ansetzen, dass genug Luft nach oben bleibt für Großhotels. Mit dem Fahrrad gegen die Einbahn? Moldu! Aber das Maßband nicht vergessen, denn die Einbahn muss vier Meter breit sein. Ob da wohl die dicken geparkten Autos dazuzählen? Wahrscheinlich nicht, denn sonst könnten wir überall radeln, wo kämen wir da hin.

Ein Forschungsmobil, temporär im Stadtraum aufgestellt anstelle von klassischen Plänen.
Foto: Lars Moritz & Institut für Alltagsforschung

Nur nicht anecken

Österreich ist das Land des Drunter- und Drüberwurschtelns. Alles ist hier weich wie ein Kaiserschmarren. Nur nicht anecken, vor allem nicht da draußen, wo es alle sehen, im öffentlichen Raum. Wer Architektur, Landschafts- oder Stadtplanung studiert hat weiß, die drei Disziplinen sind sehr, sehr langatmig. In diesem Sinn sind sie auch sehr österreichisch. Bis ein größeres Haus gebaut ist, dauert es Jahre (ist oft auch nicht so schlecht). Quartiersentwicklungen haben die Anmutung von generationenübergreifenden Vorhaben. Und Städtebau? Meine persönliche Wahrnehmung ist, dass es Städtebau bei uns gar nicht gibt. Es gibt Studien, aber wer diese Studien wie macht, bleibt oft sehr unklar. Und in Nullkommanichts liegt ein Widmungs- und Bebauungsplan am Tisch. Was dann folgt, ist meist braves Erfüllen von Vorgaben – Wände hochziehen, asphaltieren, Bäume pflanzen, aber nicht zu groß und nicht zu nahe am Haus, denn das könnte stören.

Wünsche und Beschwerden von Kindern und Jugendlichen werden gesammelt.
Foto: Lars Moritz & Institut für Alltagsforschung

Wir werden Mut benötigen, um aufzustehen

Und all das dauert. Das tut es auch in anderen Ländern, aber bei uns dauert es besonders lang. Man könnte auf Wienerisch sagen, die Planung hatscht. Wahrscheinlich gibt es eine ganze Reihe an Gründen, warum alles so langsam geht, und nicht alles ist mentalitätsbedingt. Globale Lieferketten sind schuld (wo kriegt man gerade Fertigteiltreppen? Wer weiß bitte melden), galoppierenden Baupreise (Angebot gilt bis übermorgen), Bürokratie (Erkerberechnung in Wien - ein Dissertationsvorhaben), Tradition (bei uns sicher nicht) oder einfach fehlender Mut. An letzterem könnten wir arbeiten, finde ich.

Wenn alternative Nutzungen von städtischen und ländlichen Räumen gefragt sind, werden wir den Mut benötigen, um aufzustehen, rauszugehen und etwas zu tun. Studierende können dies eher als ältere Architekten und Architektinnen. Man sollte daher die Universitäten frei von dem Kontakt mit den späteren Hindernissen halten. Oder es Studierenden freistellen, ob sie sich mit Bürokratie und dem Druck von Investoren und Bauindustrie auseinandersetzen wollen. Dafür sollte jedoch zentraler Bestandteil jeder Ausbildung sein, alles prinzipiell infrage zu stellen. Das Projekt, die Anforderungen, das Thema, aber auch die Universität als solche, die Disziplin und das Leben an sich.

Was sich Jugendliche wünschen und was sie stört.
Foto: Lars Moritz & Institut für Alltagsforschung

Die Melodie läuft

Tatjana Schneider, eine enthusiastische Architektin und Lehrende an der Technischen Universität in Braunschweig, schrieb einmal ein Manifest für eine zukünftige (Nicht-)Ausbildung von Architekturstudierenden. Architekturschulen sollten sich auflösen, solange sie nicht jegliches Mono-Denken überwunden hätten. Sie plädiert für eine radikale Öffnung der Disziplinen und für eine Kreuzung von Architektur mit anderen Fächern wie Bauingenieurwesen, Land- und Forstwirtschaft, Politikwissenschaft, Aktivismus, Geographie, Psychologie, Soziologie und vieles mehr. Denn Architektur sei ein Amalgam von all dem. Alle in der Lehre und Planung Tätigen wissen das. Wir sind ständig mit Fragen aus allen Richtungen konfrontiert, und nicht immer ist eine Expertin oder ein Experte zur Hand, um sie zu beantworten. Eine radikale Mischung von Architektur mit anderen Disziplinen könnte da helfen.

Ich weiß, da sind Anforderungen, das muss mit der Kammer abgesprochen werden, und wer später einmal etwas baut, muss doch eine Statikprüfung ablegen, oder nicht? Wenn wir Pläne zeichnende Erfüllende von Vorgaben wollen, auf jeden Fall. Wenn die jetzt jungen Studierenden in ihrer Generation jedoch noch etwas ändern wollen, sollten wir ihnen alle Freiheit der Welt geben, um zu erforschen, auszutesten und vielversprechende Alternativen zu entwickeln. Und vielleicht ist ein Praktikum in einem Altersheim zielführender als eine Statikprüfung. So, wie es jetzt läuft in unseren Städten und auf dem Land, kann es nicht weitergehen. Es gibt schon einen Plan für eine bessere Welt? Ok. Aber Vorsicht, im Hintergrund läuft schon die Melodie. Ja mach nur einen Plan. (Sabine Pollak, 9.5.2022)

Das Studium raum&designstrategien an der Kunstuniversität Linz bietet eine Disziplinen-übergreifende Ausbildung zwischen Architektur, Design und Kunst. Informationen und Anmeldungen unter www.strategies.ufg.at.

Link

Making Future: Tatjana Schneider 

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