Karim Benzema und Co ziehen ins Finale ein. Den einen juckt's, den anderen nicht.
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Phänomenal

Real Madrid war mausetot. Ferland Mendys sensationelle Rettungsaktion auf der Torlinie (87.) schien das Unvermeidliche nur hinauszuzögern, Manchester City war dem 2:0 deutlich näher als Real dem Ausgleich, ganz zu schweigen von dem für eine Verlängerung nötigen Doppelpack. Trotz 61.000 Fans im Rücken gab es keine Schlussoffensive, kein verzweifeltes Anrennen.

Dann schlug der Blitz ein. Er hatte die Gestalt eines 21-jährigen Brasilianers, und dieser Rodrygo bewies, dass er auch zweimal einschlagen kann. 1:1, 2:1, Ekstase. Wer vor dem Fernseher geblieben war, wurde in diesen Momenten für 85 mittelprächtige Minuten belohnt. Wer nicht geschaut hatte, dem wurde das Einschalten mit dezenten Whatsapp-Botschaften wie "OIDA FUSSBALLLLL" und "ahahahaha Pep" ans Herz gelegt. Wer im Stadion war, verzeichnete Pulsrekorde.

Real hat viele Leben

Ja, Phil Foden hätte das sensationelle Comeback noch in der Nachspielzeit demontieren können, aber es wäre schade um die Dramaturgie und die Verlängerung gewesen. Das Spiel schuldete Karim Benzema noch seinen Auftritt, der Assist zum 1:1 hätte nicht gereicht. Der alte Fuchs ergaunerte einen Elfer, verlud den Goalie und holte sich seinen Abschiedsapplaus ab.

Reals CL-Saison ist ein einziger Filibuster: Auf immer unglaubwürdigere Arten kaufen sich die Madrilenen Zeit und neues Leben. Auch wenn man es nicht mit ihnen hält: Wie das auch gegen Pep Guardiolas übermächtige "Citizens" gelang, war packend. Rodrygos Doppelschlag war ein Moment, der etwas wert ist.

Warum? Weil diese unselig kapitalverseuchte, repetitive, elitär-abgehobene Champions League etwas Besonderes ist. Wer Rodrygo das 2:1 köpfeln sah, wusste: Die halbe Welt atmet gerade ganz tief ein. Gerade in kaputten Zeiten, wie wir sie derzeit erleben, muss man sich der Zerstreuung des Sports hingeben. Man kann das als Brot und Spiele kritisieren. Man kann sich auch an einem Mittwochabend 120 Minuten lang in eine andere Welt beamen lassen, in der es nur um ein damisches Kunstleder geht.

Kein Gut gegen Böse

Die Königsklasse hat ihre Krankheiten, das kann und soll man nicht wegreden. Wer sich mit den Besitzerstrukturen und Machenschaften der Spitzenteams auskennt, weiß: Gut gegen Böse gibt es spätestens mit Ende der Gruppenphase nicht mehr. Aber Böse gegen Superschurkenböse reicht. Wer konnte sich ein Grinsen verkneifen, dass nach PSG auch der zweite mit Milliarden gefütterte Scheichklub offenbar eine Allergie gegen den Henkelpott hat? Wem ist wirklich egal, ob die Financial-Fair-Play-Akrobaten aus Manchester den größten Pokal des Klubfußballs gewinnen?

Ja, weder Real-Präsident und Super-League-Apostel Florentino Pérez noch Liverpools Fenway Group sind Sympathieträger. Doch ob aus persönlicher Fantradition, rationalen Gründen oder schierer Abneigung – ein persönlicher Favorit lässt sich meistens finden. Und das reicht doch, um in Eskalationsmomenten wie am Mittwochabend mitzufühlen, statt nur teilnahmslos zu beobachten. Wer das nicht spürt, verpasst etwas. (Martin Schauhuber, 5.5.2022)

Völlig egal

Da hat Real Madrid doch tatsächlich knapp vor Schluss den Ausgleich geschossen. Hoppla, unmittelbar danach folgt sogar das 2:1, das die Spanier in die Verlängerung bringt. Und ich? Ich wundere mich nicht über diese dramatische Partie, nicht über Real und noch weniger über Manchester City – sondern ich wundere mich nur über mich (passiert mir öfter). Denn während sich das Bernabeu-Stadion vor meinen Augen in ein Tollhaus verwandelt hat und sich der Servus-TV-Kommentator gar nicht mehr einkriegt, bin ich gelassen geblieben wie Old Shatterhand im Angesicht eines Grizzlybären. Genau jetzt, als sie ihren Höhepunkt erlebt, wird mir klar, wie egal mir diese Partie in Wahrheit ist.

Viel Kälte

Ja, eh, jetzt geht’s in die Verlängerung, und entweder reißt sich City doch noch zusammen, oder Real setzt den Lauf bis ins Finale fort. Es lässt mich kalt. Auch das 3:1 durch den wunderbaren Benzema kann mich nicht vom Sessel reißen, ich steh erst auf, als der Geschirrspüler piepst, und hab kein Problem damit, dem Fernseher beim Ausräumen aus den Augen zu lassen.

Verstehen Sie mich nicht falsch, hier sind zwei tolle Teams am Werk, gespickt mit herausragenden Fußballern. Doch sie bewegen mich nicht oder maximal vom Geschirrspüler wieder zurück auf die Couch. Ich frag mich, wie sich spanische oder englische Fans mit solchen Teams identifizieren können, die ja nicht anders als zusammengekauft zu nennen sind. Bei Real gibt es wenigstens einige, die schon richtig lange miteinander kicken, flotte Jungspunde wie die Brasilianer Vinicius Junior und Rodrygo stoßen nach. Bei City kann ich mit den jungen Einheimischen noch am meisten anfangen, mit Phil Foden, Jack Grealish und, okay, auch mit Raheem Sterling. Aber beim Verein groß geworden ist auch nur einer von ihnen, Foden.

Wenig Abwechslung

In der Champions League spielen pausenlos dieselben gegeneinander, mit dem Gefühl steh ich jedenfalls nicht allein da. Wie jede Blase in den sozialen Medien bildet auch meine nur einen kleinen Ausschnitt ab, den man nicht zu wichtig nehmen sollte. Doch zumindest da gibt es nicht wenige, die lieber Europa League oder gar Conference League schauen als Champions League. Zugegeben, das mag bei mir auch einer gewissen Routine geschuldet sein. Denn so oft haben sich zum Beispiel die Wege von Real und City in der Neuzeit auch wieder nicht gekreuzt – 2012, 2016, 2020 und nun eben 2022.

Liverpool gegen Real, die Finalpaarung am 28. Mai in Paris, spielte es etwas öfter und auch schon im Endspiel der Champions League 2018 (3:1 für Real), übrigens in Kiew, sowie im Meistercup-Finale 1981 in Paris (1:0 für Liverpool ). Insgesamt ist die Dominanz der spanischen und englischen Vereine auf die Dauer halt auch vor allem fad. Ich würde ja noch einen Schritt weiter gehen und manch erdiger Bundesligapartie den Vorzug geben. Ja, ich lobe mir Sturm Graz gegen Rapid oder das Wiener Derby, Fehlpässe hin, Fehlpässe her. Die Bilder, die mich am Mittwochabend wirklich beeindruckten, kamen jedenfalls nicht aus dem Bernabeu, sondern aus dem Grazer Stadion, wo sich tausende Fans von Ivica Osim verabschiedeten. (Fritz Neumann, 5.5.2022)