Demnächst will die noch türkise Volkspartei in Graz ein Kunststück besonderer Art wagen, nämlich den Versuch, sich am eigenen Zopf aus der "toxischen Suppe" (Die Presse) zu ziehen, die sie sich von Sebastian Kurz einbrocken ließ. Da von diesem Versuch nicht nur vieles für die Partei, sondern auch einiges für die nächste Zukunft Österreichs abhängt, ist ihm möglichst gutes Gelingen zu wünschen. Die Voraussetzungen dafür stehen allerdings nicht zum Besten, deutet doch schon die angepeilte Kürze der Veranstaltung darauf hin, dass die Öffentlichkeit nicht viel mehr erleben wird als das Auftauen eines eingefrorenen Posthorntons, nämlich die Erhebung eines designierten Parteiobmanns auf den Schleudersitz eines definitiven.

Die Delegierten werden eine Person zu ihrem neuen Vorsitzenden wählen, der das lebende Eingeständnis des geilomobilen Fehlers darstellt, den sie mit der Wahl seines Vorgängers gemacht haben. Es ist ja eher ungewöhnlich, einen Parteiobmann, der weder alt noch amtsmüde ist und der Partei zwei komfortable Wahlsiege beschert hat, an einen amerikanischen Fan von Donald Trump abzugeben. Wo gutes Personal doch so schwer zu kriegen ist. Nun mischt sich die Preisung seiner Verdienste mit der Reue über deren Nebenwirkungen, gegen die kein Arzt, kein Apotheker, nur die Staatsanwaltschaft hilft. Karl Nehammer ist eine davon. Dass in dieser schizophrenen Atmosphäre in Graz kein großer Aufbruch zu erwarten ist, sollte nicht überraschen.

Steckt in Nehammer mehr als man bisher sehen konnte?
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Es sei denn, in Nehammer steckt mehr, als uns seine Berater/in bisher von ihm hören und sehen ließen. Es geht das Gerücht, er beabsichtige, eine Grundsatzrede zu halten, und bei solchen Eskapaden weiß man nie, was herauskommt.

Aufrüttelungseffekt

Was man diesbezüglich bisher von ihm vernommen hat, ließ allerdings den Aufrüttelungseffekt vermissen, den seine Partei bräuchte. Einmal sieht er die ÖVP in der Mitte der Gesellschaft, dann bekennt er sich zur sozialen Marktwirtschaft oder auch zu christlich-sozialer Philosophie und Subsidiarität. Nach den Kurz-Jahren löst das vielleicht in manchen Delegierten eine ferne Erinnerung an früher aus, aber wirklich neu oder originell ist das nicht.

Dass er nichts von Korruption in der Volkspartei weiß, ist eine Form von Herrschaftsunwissen, das beim Parteitag sicher gern eingesogen wird. Da könnte ihm das laufende Antikorruptionsvolksbegehren auf die Sprünge und zu politischem Profil verhelfen, vorausgesetzt, er interpretiert das Ergebnis nicht nur nach der Zahl der Unterschriften, sondern nutzt es im Sinne der darin verpackten Forderungen zu einem Appell, statt im Hanger-Sobotka-Stil die verfolgte Unschuld zu mimen, der Verfolgung der Schuldigen nicht ständig Hindernisse in den Weg zu legen.

Mit einem starken Ergebnis des Volksbegehrens im Rücken könnte er sich profilieren als ein Parteichef, aber auch als Bundeskanzler, dem es mit der Abkehr von den vergangenen Jahren ernst ist. Dafür würden ihm die Herzen der Delegierten wohl nicht begeistert zufliegen, aber 99,5 Prozent der Stimmen zu bekommen sagt nicht alles über Qualität aus, wenn man der einzige Kandidat und kein anderer in Sicht ist, der bereit ist, für eine Partei mit schwindendem Zuspruch Kohlen aus dem Feuer zu holen. Alles, was die ÖVP will, ist doch nur: nicht mehr neu sein. (Günter Traxler, 6.5.2022)