Wie kommt genügend Strom in die Steckdose und zu welchem Preis? Die Preisbildung über Grenzkosten steht momentan schwer in der Kritik.

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Wien – So weit wie der italienische Ministerpräsident geht die österreichische Regierung noch nicht. Mario Draghi hat Anfang Mai angekündigt, die sogenannte Windfall-Steuer auf Energiegewinne von zehn auf 25 Prozent zu erhöhen, um ein 14 Milliarden Euro schweres Hilfspaket zur Abfederung der Energiekostensteigerungen zu finanzieren.

Einen derartigen Schritt hatte Österreichs Finanzminister Magnus Brunner (ÖVP) unter Verweis auf die bereits hohe Steuer- und Abgabenquote stets abgelehnt – zuletzt im April im STANDARD-Interview. Brunners Parteifreund, Bundeskanzler Karl Nehammer, versucht es anders. Er denkt über eine gesetzliche Gewinnabschöpfung bei Unternehmen mit Staatsbeteiligung nach. Wenn teilstaatliche Betriebe große Gewinne erwirtschaften, müsse das Ziel sein, dass die Eigentümer profitieren – und das seien am Ende die Steuerzahler, sagte Nehammer der Tiroler Tageszeitung.

Österreich profitiert freilich längst – auch von allfälligen Zusatzgewinnen. An der Verbund AG hält die Republik 51 Prozent, mit weiteren 30 Prozent sind die Energieversorger EVN, Wiener Stadtwerke und Tiwag beteiligt, die mehrheitlich ebenfalls der öffentlichen Hand gehören. Allein dem Bund fließen aus diesem Titel nächste Woche 186 Millionen Euro als Dividende vom Verbund zu, 46 bekommt EVN, etwas mehr die Wiener Stadtwerke.

Aktien flogen raus

Der Verbund-Streubesitz (rund 20 Prozent) reagierte empört auf Nehammers Ankündigung, vor allem institutionelle Anleger warfen Verbund-Papiere aus ihren Depots. Der Verbund-Aktienkurs brach zeitweise um mehr als 15 Prozent auf 86,80 Euro ein. Innerhalb von fünf Minuten gab der Börsenwert um fünf Milliarden Euro nach.

Auch die Kurse anderer Energieunternehmen gaben nach Nehammers-Ansage stark nach. EVN, an der die NÖ Landes-Beteiligungsholding 51 Prozent hält, verloren bis zu 6,5 Prozent, die Aktien des Öl-, Gas- und Chemiekonzerns OMV mit 31,5 Prozent Staatsanteil verloren in der Spitze mehr als drei Prozent.

Abschöpfung, aber wie?

Wie die Abschöpfung vor sich gehen könnte, bleibt offen. "Ich habe dem Finanzminister und der Wirtschaftsministerin den Auftrag gegeben, Vorschläge vorzulegen", sagte Nehammer. Zufallsgewinne bei Unternehmen mit Staatsbeteiligung gehörten dem Volk und nicht dem Unternehmen allein. Nehammer: "Da braucht es ein neues Reglement."

Seitens des Finanzministeriums gab es auf Nachfrage keine Stellungnahme. Aus der ÖVP kamen kritische Stimmen zur Vorgangsweise, Wirtschaftsbündler reagierten bestürzt und durch die Bank negativ überrascht. Öffentlich äußern wollte sich dazu allerdings niemand.

Verbund-Chef Michael Strugl kritisierte die Überlegungen: "Die Aussagen haben zu erheblichen Verunsicherungen geführt, was sich auf die Aktie ausgewirkt hat", sagte Strugl auf Anfrage von Reuters. Der Verbund habe mit seinen Investitionen eine wichtige Aufgabe beim Ausbau Erneuerbarer Energien. "Daher sind wir gegen staatliche Eingriffe in den Markt, auch wenn das letztlich eine politische Entscheidung ist", sagte Strugl.

Ran an die Übergewinne?

Dass der Verbund sogenannte Übergewinne erwirtschaftet, davon kann man ausgehen. Denn die Erzeugung von Strom aus längst abgeschriebenen Wasserkraftwerken verursacht, anders als bei Gas- oder Kohlekraftwerken, kaum laufende Kosten. Wie hoch diese Windfall-Profits tatsächlich sind, lässt sich allerdings kaum errechnen.

Im vorigen Geschäftsjahr profitierte der Wasserkraftriese von stark gestiegenen Strompreisen im Großhandel, der Gewinn stieg um gut ein Drittel auf 873,6 Millionen. Die Aktionäre bekamen eine auf 1,05 Euro (0,75) je Aktie erhöhte Dividende. Davon profitierte vor allem der Hauptaktionär Republik Österreich.

Strompreisbildung

Nehammer stellt wie Experten und die Opposition das im EU-Binnenmarkt geltende System der Strompreisbildung infrage. Dieses basiert im Wesentlichen auf der sogenannten Grenzkosten-Preisregel. Das letzte zur Deckung der Nachfrage gerade noch nötige Kraftwerk bestimmt dabei den Preis aller anderen. Weil zunächst alle Kraftwerke ans Netz genommen werden, die günstiger Strom produzieren, ist das letzte Kraftwerk, das benötigt wird, in der Regel ein Gaskraftwerk. Vor dem Gaspreishype war es oft ein Kohlekraftwerk. Der Preis für diese Spitzenlast wird somit zur Maßeinheit, die täglich mittags an der Leipziger Strombörse ermittelt wird. Der Preis gilt für jede Kilowattstunde Spitzenlaststrom.

Alternativ könnte ein Durchschnittspreis ermittelt werden, der mit Aufschlägen versehen wird. Das mache das System aber nicht effizienter, sagen Kritiker. (Luise Ungerboeck, Günther Strobl, 5.5.2022)