Der Präsident gibt sich kämpferisch. "Wir werden vorbereitet sein, wenn das Urteil veröffentlicht wird", kündigte Joe Biden zur drohenden Aufhebung des seit fünf Jahrzehnten geltenden Abtreibungsrechts durch das oberste US-Gericht an. Führende Politiker der Demokraten halten derzeit markige Reden, in denen sie ein Bundesgesetz, die Aufhebung der Filibuster-Regelung im Senat oder die Aufstockung des Supreme Court bis zu einer linken Mehrheit ankündigen. Doch keine dieser Ideen hat kurzfristig eine Realisierungschance.

"My Body – My Choice": Die Demonstrationen vor dem Supreme Court in Washington werden fortgesetzt.
Foto: Imago/NurPhoto

Umso engagierter bereiten sich derzeit die Bundesstaaten und zunehmend auch die Wirtschaft auf den Ende Juni oder Anfang Juli erwarteten Tag der höchstrichterlichen Entscheidung vor. Unmittelbar danach dürften vor allem im Süden und Mittleren Westen der USA Schwangerschaftsabbrüche drastisch eingeschränkt oder ganz verboten werden. 22 Bundesstaaten haben bereits entsprechende Vorratsbeschlüsse gefasst. Für die dort lebenden Frauen bleibt dann nur die Reise zu einer Klinik in einem anderen Landesteil, wo die Abtreibung noch erlaubt ist.

Unternehmen reagieren

Während demokratisch regierte Bundesstaaten nun daran arbeiten, das bei ihnen geltende liberale Recht zu zementieren, wächst der Druck auf große Unternehmen, ihren Beschäftigten in einer möglichen Zwangslage beizustehen. "Viele Angestellte haben sich besorgt über die Rücknahme des Abtreibungsrechts geäußert", erklärte etwa der Jeanshersteller Levi Strauss & Co.: "Wir setzen unsere Bemühungen fort, den Beschäftigten und ihren Familienangehörigen in jeder Lebenslage beizustehen." Levi’s will künftig für Reisekosten bei Gesundheitsdienstleistungen aufkommen, die in ihrem Bundesstaat nicht angeboten werden.

Ähnliche Regelungen haben der Computerkonzern Apple und der Handelsriese Amazon eingeführt. Apple kommt in Texas, wo Abtreibungen schon jetzt nach der sechsten Schwangerschaftswoche verboten sind, für die Reisekosten seiner Beschäftigten zu Kliniken in Nachbarstaaten auf. Amazon kündigte an, dass man künftig bis zu 4000 Dollar an Reisekosten für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter übernehmen will, die woanders medizinische Eingriffe wie Abtreibungen oder Transgender-Operationen vornehmen lassen.

Was ist wann strafbar?

In den konservativen Bundesstaaten Texas und Oklahoma ist neuerdings sogar die Unterstützung von Frauen, die eine Schwangerschaft abbrechen wollen, strafbar. In Oklahoma drohen Taxifahrern, die Frauen zur Klinik fahren, Bußgelder bis zu 10.000 Dollar. Die Fahrtenvermittler Uber und Lyft haben deshalb erklärt, dass sie für sämtliche Anwaltskosten ihrer Fahrer aufkommen, falls diese verklagt werden sollten.

Das Engagement der Firmen kommt nicht von ungefähr: Viele sind auf weibliche Beschäftigte angewiesen und fürchten angesichts des Arbeitskräftemangels einen echten Standortnachteil, wenn sie in konservativen Bundesstaaten angesiedelt sind. Trotzdem möchten viele nicht öffentlich darüber reden, weil das Thema hochpolitisch ist.

Das Abtreibungsrecht sei seit 50 Jahren gesellschaftlich verankert, erklärte beispielsweise Brian Moynihan, Chef der Bank of America mit 200.000 Beschäftigten, beim Fernsehsender CBS: "Wir denken, dass jeder Zugang haben sollte." Eilig fügte er hinzu, dass er sich nicht inhaltlich äußern wolle: "Die Frage ist: Können unsere Mitarbeiter effektiv sein?" Die Bank hat noch nicht entschieden, ob sie ebenfalls die Reisekosten übernimmt.

In Verfassung verankern

Derweil bereiten sich die liberalen Bundesstaaten auf das Urteil des Verfassungsgerichts und den erwarteten Ansturm von Frauen aus Regionen vor, in denen die Abtreibung verboten wird. Die Demokraten in New York und Kalifornien wollen das Recht auf Schwangerschaftsabbruch mit Zusätzen in ihrer Landesverfassung verankern. Einen ähnlichen Plan gibt es in Vermont.

Zudem möchte der kalifornische Landessenat einen Fonds auflegen, der für die Kosten der Abtreibungen von Frauen aus anderen Bundesstaaten aufkommt. Und in Connecticut bereitet Gouverneur Ned Lamont ein Gesetz vor, das es auch nichtärztlichem Personal erlauben soll, Schwangerschaftsabbrüche mit der Absaugmethode und Medikamenten vorzunehmen. (Karl Doemens aus Washington, 6.5.2022)