Die Wahl galt als Stimmungstest für den konservativen Premier Boris Johnson.

Foto: EPA / Neil Hall

"Schwierig" seien die Kommunalwahlen gewesen für seine Konservativen, räumte Boris Johnson Freitagmittag ein. Doch ehe die Journalisten nach möglichen Ursachen, beispielsweise den zahlreichen Lockdown-Partys in der Downing Street, fragen konnten, fügte der sichtlich erleichterte Premierminister eilig hinzu: "Aber es gab doch auch einige erstaunliche Zugewinne." Sprach’s und verschwand ins Wochenende, wo sich der 57-Jährige mit seinen engsten Beratern über die Details des kommende Woche anstehenden Regierungsprogramms für die neue Parlamentsperiode berät.

Tatsächlich gaben die Briten weder im weitaus größten Landesteil England noch in Schottland und Wales klare Hinweise darauf, wenn sie bei der spätestens 2024 anstehenden Unterhauswahl an der Spitze der Regierung sehen wollen. Zwar fiel der Stimmenanteil der Konservativen gegenüber dem vergleichbaren kommunalen Urnengang landesweit (Stand: Freitagnachmittag) um fünf Punkte auf rund 30 Prozent, während die größte Oppositionspartei Labour ihre Marke von 2018 (35) halten konnte, die Liberaldemokraten sogar auf 19 Prozent zulegten. Eine nominelle Mehrheit für eine linksliberale Regierung, gewiss – wenn man das Mehrheitswahlrecht ebenso außer Acht lässt wie die Gewohnheit der Briten, der jeweiligen Regierungspartei in der Mitte der Legislaturperiode einen Nasenstüber zu versetzen.

"Wendepunkt"

Unbeirrt sprach Labour-Oppositionschef Keir Starmer von einem "Wendepunkt", freute sich vor allem an der Übernahme langjähriger Tory-Bezirke in London wie Westminster, Wandsworth und Barnet. Von einem Durchbruch aber könne nur sprechen, analysierte Professor John Curtice von der Glasgower Strathclyde-Universität, wer die Ergebnisse mit der verheerend verlorenen Unterhauswahl von 2019 vergleiche. "Im Vergleich zu 2018 ging Labours Stimmanteil außerhalb Londons sogar ein wenig zurück."

Tatsächlich hielten im englischen Norden die Menschen überwiegend dem Brexit-Vormann Johnson, der den umstrittenen EU-Austritt durchsetzen konnte, die Treue – vor allem in jenen Bezirken, die Jahrzehnte lang treu Labour gewählt hatten, bei der Brexit-Wahl 2019 aber zu den Torys überliefen. In dieser "Red Wall" werden die Leute, so scheint es, nicht warm mit dem stets etwas hölzern wirkenden früheren Kronanwalt Starmer, der einen Londoner Wahlkreis im Unterhaus vertritt. Oder sie leiden, wie der frühere Tory-Justizminister Robert Buckland in Analogie zu Long Covid spottet, an "Long Corbyn": Nach den vier Jahren unter dem linkssozialistischen Ex-Chef Jeremy Corbyn trauen sie der alten Arbeiterpartei einen pragmatischen Regierungskurs (noch?) nicht zu.

Hoffnung im Norden

Immerhin bahnt sich in Schottland, der einstigen, von den Nationalisten gründlich geschliffenen Hochburg, eine kleine Renaissance an. Mit ihrem jugendlich wirkenden Regionalchef Anas Sarwar belegte Labour vor den Torys Platz zwei, wenn auch deutlich abgeschlagen hinter der Nationalpartei SNP unter der Edinburgher Ministerpräsidentin Nicola Sturgeon.

Einen Dämpfer erlitt Labours Stimmung allerdings am Tag nach der Wahl. Nach tagelangem Drängen durch die Konservativen sowie die Medien, angeführt von der "Daily Mail", kündigte die Polizei der nordenglischen Grafschaft Durham die neuerliche Prüfung einer angeblichen Corona-Party mit Keir Starmer an. Der Parteichef hatte vor Jahresfrist im Wahlkampf abends mit Getreuen Pizza gegessen und Bier getrunken. Damals waren soziale Zusammenkünfte verboten, höchstens Arbeitstreffen erlaubt. Es habe "keinen Verstoß gegen die Vorschriften gegeben", sagte ein Parteisprecher.

Die völlig hemmungslose Saufkultur in Johnsons Downing Street dürfte kommende Woche wieder ins Blickfeld geraten, wenn Scotland Yard weitere Bußgelder verhängt oder die Spitzenbeamtin Sue Gray ihren längst erwarteten Bericht über die Vorgänge veröffentlicht. Selbst innerparteiliche Gegner aber schreckten am Freitag vor neuerlichen Rücktrittsforderungen an Johnson zurück. Die Konservativen, analysiert der Professor und Labour-Lord Stewart Wood, könnten 2024 nur gewinnen, "wenn sie das Brexit-Thema weiterhin hochkochen. Und deshalb halten sie an Johnson fest." (Sebastian Borger aus London, 6.5.2022)