Die Band Bilderbuch beim ersten von drei ausverkauften Konzerten in der Wiener Arena: "Fucking Buwog Towers!"

Foto: Fischer

Der Himmel hielt dicht. Zwar zerdrückte er vereinzelt Tränen, doch selbst entfernte Blitze schienen mit dem Stroboskoplicht auf der Bühne eher zu flirten, als es in Gefahr zu bringen. Unterhalb des zuckenden Lichts werkte die Band Bilderbuch. Sie gab am Donnerstag das erste von drei ausverkauften Open-Air-Konzerten in der Wiener Arena. Und wenn es etwas gab, das diesen Abend in irgendeiner Form bekleckerte, so waren es die Buwog Towers.

Zwei Wohntürme, die während der letzten beiden Corona-Jahre in Wien-Erdberg errichtet wurden — zum Missvergnügen des Sängers Maurice Ernst, der sie am Ende des Abends gestisch hatte einstürzen lassen. Befürchtet er doch den Zuzug von Figuren wie Dominic Thiem und seinesgleichen, wie er sagte – einem Publikum, das mit dem Angebot der Arena wahrscheinlich wenig anzufangen wüsste, sich stattdessen über den Lärm beklagen würde. Doch nicht als Kritiker der Stadtplanung stand er auf der Bühne, er und seine Band waren gekommen, um Gutes zu tun.

"Normalität"

Als Vorwand dafür diente das vor wenigen Wochen erschienene neue Album Gelb ist das Feld. Aber mehr noch war der Abend eine Feierstunde hinsichtlich des oft strapazierten Begriffs "Normalität" – so als gäbe es eine solche. Gemeint sind damit halbwegs reguläre Alltagsbedingungen, die ein kulturelles Leben abseits von Nasenbohren, Eigenliebe und Netflix ermöglichen. Insofern war die Eröffnung der Sommersaison eine Sternstunde und die seit Jahren als Band der Stunde gehandelte Gruppe der perfekte Anlass dafür, die Normalität zu zelebrieren.

Foto: Fischer

In exzentrischer Gala, wie es sich gehört, stand die Band zu sechst da oben. Unterstützt wurde der eigentliche Vierer von Katrin Paucz (von Sharktank) an einer weitern Gitarre und Lukas König (von König Leopold …) an der zweiten Perkussion.

Progressivschlager

Angereichert um viele Titel des vergleichsweise herkömmlich ausgefallenen neuen Albums ergab das eine abwechslungsreiche Mischung über gut zwei Stunden Darbietung. Wobei die neuen Songs doch eher eine Art progressiver Schlager im Sinne der deutschen Band Blumfeld und ihres Sängers Jochen Distelmeyer sind — aber ohne den nägelbeißenden Pessimismus der Norddeutschen.

Dennoch sind diese Songs eher Dürers Feldhase als Jean-Michel Basquiat oder Keith Haring. Die Reaktion des Publikums spiegelte das deutlich, dieses nutzte derlei Liedgut dazu, sich mit der Handykamera zu beschäftigen. Ein Indiz dafür, dass die Setlist gerade unterzuckert war. Zur Wiederherstellung des Normalzustands – einer für Ekstase anfälligen Begeisterung – reichte meist ein Song aus früheren Alben.

Glam und Lagerfeuer

Doch gegen Mitte des Konzerts löste sich diese Unterscheidung auf, da wanderten Bilderbuch zwischen Glam und beschleunigtem Lagerfeuer, ohne die Stimmung zu drücken. Baba bescherte den anwesenden Monikas einen Höhepunkt, Kitsch, Checkpoint (Nie Game Over), I'm Not Gonna Lie oder Willkommen im Dschungel führten vor Augen, was Bilderbuch so außergewöhnlich macht. Sie haben eine zutiefst österreichische Spielart von Popmusik erschaffen, die ein Weltpublikum begeistern kann — was eine Tour in den USA und Kanada im letzten Herbst unterstrichen hat.

Foto: Fischer

Pflichtschuldig gehört in jeder STANDARD-Bilderbuch-Besprechung Michael Krammers extrageiles Gitarrenspiel erwähnt. Selbst die Doppelhalsklampfe, sonst meist ein Werkzeug blähungsintensiver Bands aus den 1970ern und 1980ern, wirkt bei ihm scharf und konveniert mit der extrovertierten Bilderbuch-Coolness.

Im großzügig bemessenen Zugabenblock erlaubte sich die Band einen kleinen Hänger, ein kuscheliges Gitarrenpetting zwischen Ernst und Wimmer machte aber alles wieder gut. Am Ende kam, was kommen musste: Die Weltnummer Maschin sorgte für ein Freak-out im Publikum. Großfamiliär umarmt verabschiedete sich die Band.

Die "fucking Buwog Towers" (Ernst) fielen zwar nicht, etwas Erschütterung muss das Bauwerk aber verspürt haben. Weiter so. Stetes Wummern bricht den Stein. (Karl Fluch, 6.5.2022)