Was es bei nicht einvernehmlichen Scheidungen zu beachten gibt, weiß die Juristin Theresa Kamp im Gastblog.

Wirft man einen Blick auf Österreichs Scheidungsstatistik, ist erkennbar, dass die meisten Scheidungen einvernehmlich über die Bühne gehen. Im Jahr 2020 erfolgten 87,1 Prozent aller Ehescheidungen einvernehmlich. Einvernehmlich heißt nicht unbedingt friedlich. Was die Statistik nicht zeigt ist, dass nicht alle bereits mit einer fixfertigen Vereinbarung zur Scheidungsrichterin oder zum Scheidungsrichter kommen. Teilweise gehen einer einvernehmlichen Scheidung lange Verfahren voraus, bis es schließlich doch eine Einigung gibt.

Die Ehe ist ein auflösungsfeindlicher Vertrag.
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Für eine einvernehmliche Scheidung braucht es eine Einigung über die wesentlichen Scheidungsfolgen. Man muss sich zum Beispiel darüber einig sein, wie das gemeinsame Vermögen, die gemeinsamen Schulden aufgeteilt werden sollen oder wie es mit etwaigem nachehelichem Unterhalt aussieht. Wenn es Kinder gibt, muss man sich auch noch über Kindesunterhalt, Obsorge und die Kontakte einig werden. Gibt es darüber keine Einigung, scheidet eine einvernehmliche Scheidung aus. Gerade in Krisensituationen kann es, gelinde gesagt, herausfordernd sein über all diese Punkte eine Einigung zu erzielen.

Wollen beide eine Scheidung?

Vor der Einigung auf die Scheidungsfolgen, ist als erster Schritt herauszufinden, ob beide Ehegatten eine Scheidung wollen. Möchte sich nur eine Person scheiden lassen, kann sich die andere, umgangssprachlich ausgedrückt, brausen gehen. Die Möglichkeiten sich zeitnah und unkompliziert scheiden zu lassen, wenn der oder die Partnerin das nicht möchte, sind begrenzt. Man könnte auch sagen, die Ehe ist ein auflösungsfeindlicher Vertrag.

Kommt eine einvernehmliche Scheidung nicht in Betracht, kann der oder die Scheidungswillige die andere Person auf Scheidung klagen. Das vor allem dann, wenn die andere Person, so schwere Eheverfehlung gesetzt hat, dass dadurch die Beziehung zerstört wurde. Eheverfehlungen sind zum Beispiel Ehebruch, Gewalt, seelische Grausamkeiten, etc. Hat sich die Person, die sich nicht scheiden lassen möchte, nichts zuschulden kommen lassen, bleibt der scheidungswilligen Person zum Beispiel die Möglichkeit abzuwarten und, drei Jahre nach Auflösung der (häuslichen) Gemeinschaft, auf Scheidung zu klagen. Jedoch stellt der Auszug aus der Ehewohnung eine schwere Eheverfehlung dar – dies sollte im Hinblick auf ein späteres Verfahren mitbedacht werden.

In Österreich gibt es seit einigen Jahren immer wieder Diskussionen und Bestrebungen, das Verschuldensprinzip abzuschaffen. Die Überprüfung des Verschuldensprinzips wurde, unter anderem, in das Regierungsprogramm 2020 bis 2024 aufgenommen. Verschuldensprinzip heißt verkürzt, dass die Person, die allein oder überwiegend schuld ist am Scheitern der Ehe, finanzielle Nachteile hat. Die unter anderem berechtigte Kritik lautet, dass das Waschen von privater Schmutzwäsche vor Gericht entbehrlich ist. Es gibt aber auch gewichtige Stimmen, die sich einer Abschaffung des Verschuldensprinzips gegenüber kritisch zeigen.

Männer sind öfter schuld

Strittige Scheidungsverfahren werden zu einem höheren Prozentsatz von Frauen gewonnen. Bei den im Jahr 2020 insgesamt 1.719 strittig geschiedenen Ehen war zu 48 Prozent der Mann schuld und nur zu 9,5 Prozent die Frau. In 29,7 Prozent waren beide schuld und in 12,9 Prozent der Fälle keiner von beiden. Nachehelicher Unterhalt ist häufig an einen "Sieg" vor Gericht geknüpft. Es sind in Österreich, nach wie vor Frauen, die sich unbezahlter Care-Work, wie zum Beispiel Kinderbetreuung oder Pflege von Angehörigen, widmen. Oft sind deshalb Frauen mehr auf nachehelichen Unterhalt angewiesen als Männer.

Wenn nun also eine Abschaffung des Verschuldensprinzips diskutiert wird oder angedacht ist, so muss dieser Umstand unbedingt mitbedacht werden, beziehungsweise ein anderes Modell bezüglich des nachehelichen Unterhaltes gefunden werden, das Frauen nicht benachteiligt.

Einer einvernehmlichen Scheidung ist im Regelfall der Vorzug vor einem langwierigen, teuren und emotional aufwendigen strittigen Verfahren zu geben. Aber: Die Einigung sollte keinem Verzicht gleichkommen, sondern sich für beide auszahlen. Nur aus Angst vor einem streitigen Scheidungsverfahren auf alles zu verzichten, rechnet sich nicht. (Theresa Kamp, 10.5.2022)