Paddeln, um den Neusiedler See zu retten. Das ist der Plan der "Lakemania '22 – SOS Neusiedler See". Dahinter steht das Team von "24 Stunden Burgenland extrem", das sich damit einen Namen gemacht haben, jedes Jahr im Winter eine 120 Kilometer lange Wanderung rund um den Neusiedler See zu veranstalten. Es ist wohl der härteste Spaziergang, den es in Österreich regelmäßig gibt. Heuer will das Team am 5. Juni, mit Kanadiern und Kajaks, von Rust aus, 37 Kilometer nach Mörbisch, Illmitz, Podersdorf und retour paddeln und rudern, um eine breite Unterstützung für die Rettung des Sees zu bekommen. "Wir brauchen den See, und der See braucht jetzt unsere ganze Unterstützung und Aufmerksamkeit, denn er ist Teil unserer Kultur", sagt Michael Oberhauser vom Team 24 Stunden Burgenland extrem. "Der Wasserstand sinkt, und der See braucht Wasser."

Die Initiatoren der Lakemania und die Politiker dazu. Von links nach rechts sehen wir Tobias Monte, Josef Burkhard, beide vom Team 24-Stunden-Burgenland-Extrem, dann den Bürgermeister von Rust, Gerold Stangl, Christian Sailer von der Task-Force, Infrastrukturlandesrat Heinrich Dorner und Michael Oberhauser.
Foto: Landesmedienservice Burgenland

Wassermangel ist inzwischen kein Problem mehr, das nur den Neusiedler See betrifft. Die Salzlacken im Seewinkel sind zum Teil komplett ausgetrocknet. In der Gegend um Wiener Neustadt schauen Menschen, die sich um teuer Geld ein Haus an einem idyllischen See errichtet haben, derzeit in ein Schotterbecken. Weil der Grundwasserspiegel um bis zu zehn Meter gesunken ist, liegen dort nun die Tretboote auf Steinen, und die Treppen, die einst ins Wasser führten, sind eine sinnlose Verbindung zwischen Schotter und Wiese geworden. Ähnliche Probleme hat man in Wien in der Unteren Lobau. Dort will man, um den Wasserstand zu heben, Donauwasser einleiten. Es ist dies ein Plan, den man so ähnlich auch im Burgenland verfolgt, um den Neusiedler See vor dem Austrocknen zu bewahren.

Taskforce Neusiedler See

Darum hat die Landesregierung vor rund zwei Jahren eine Taskforce zur Rettung des Neusiedler Sees eingerichtet. "Ziel war und ist es, einer drohenden Austrocknung des Sees entgegenwirken, das sensible Ökosystem der gesamten Region langfristig abzusichern, den fehlenden Teil der Wasserbilanz durch die Zufuhr von Wasser aus anderen Einzugsgebieten auszugleichen, um auch in Zukunft einen qualitativ und quantitativ guten Zustand zu gewährleisten", sagte Christian Sailer, Leiter der Taskforce Neusiedler See.

Eigentlich ist schon alles so weit am Weg, dass auch bereits um EU-Förderungen angesucht wurde, wie Infrastrukturlandesrat Heinrich Dorner (SPÖ) bestätigt. "Hier hoffen wir auf eine baldige Entscheidung. In anderen Bereichen – Stichwort Zuleitung – sind wir mit unseren Nachbarn auf ungarischer Seite in einem guten Kontakt und werden das Thema bei geplanten Abstimmungsgesprächen in Budapest auch politisch aufgreifen." Ungarn ist deshalb in die Gespräche eingebunden, weil das Wasser, das zugeleitet werden soll, aus einem Arm der Donau in Ungarn, der Moson-Donau, stammen soll. 30 Millionen Kubikmeter Donauwasser – das ist etwa so viel, wie auch aus der Wulka zufließt – sollen den Pegel des Sees jedes Jahr um rund zehn Zentimeter heben. Derzeit liegen wir auf einem Stand von 115,22 Metern über der Adria – einem Tiefstand seit Beginn der modernen Messung in Jahr 1965.

In der Purbacher Bucht schaut der einst ausgebaggerte Schlamm bereits aus dem Wasser.
Foto: Guido Gluschitsch

Neben der Zuleitung von Donauwasser direkt in den See und/oder ins Grundwasser im Seewinkel denkt die Taskforce auch ein Schlamm- und Schilfmanagement an und will die Bauern im Seewinkel dazu bringen, ihre Landwirtschaft zu überdenken. "In Zukunft wollen wir groß denken und komplette und nachhaltige Lösungen finden", sagt Heinrich Dorner. Umgesetzt werden soll das alles von einer landeseigenen Seemanagement Burgenland GmbH. "Hauptaufgaben sind die Bewirtschaftung des Schilfgürtels und die Entfernung des sich auf natürliche Weise laufend bildenden Schlamms aus den Seebuchten." Eine Million Kubikmeter Schlamm soll in den nächsten zehn Jahren aus dem See geholt werden, neue Kanäle den Wasseraustausch im Schilf garantieren. "Gespräche mit allen Seeanrainergemeinden und den Esterhazy-Betrieben wurden bereits im letzten Jahr geführt. Einhellige Meinung ist, dass wir die Schlamm- und Schilfbeseitigung in der vom Land vorgeschlagenen Form durchführen sollen."

Geld oder Leben

Doch es sind nicht alle für diese Umsetzung, wie Heinrich Dorner das gerne verstanden haben möchte. Die Gegner der Nutznießer des florierenden Tourismus am zu erhaltenden Neusiedler See, und damit die Feinde jener, die am See ihr Geld verdienen, sind die "Ümitzer" – gemeint sind damit unter anderem die Mitarbeiter der Biologischen Station Neusiedler See in Illmitz. "Fragt nicht immer nur den Sailer", beschwert sich etwa ein Umweltschützer, "sondern auch die Menschen, die im Naturschutz arbeiten." Er selbst traut sich aber nichts zu sagen. Thomas Zechmeister, Leiter der Biologischen Station, verweist auf unsere Anfrage überhaupt gleich an Christian Sailer, den Sprecher der Taskforce, der die geplanten Aktionen mit einer Machbarkeitsstudie rechtfertigt.

In Mörbisch liegen die Boote eine Etage tiefer. Und einige Segler warten noch damit, ihre Yachten ins Wasser heben zu lassen.
Foto: Guido Gluschitsch

"Über diese Machbarkeitsstudie können wir nur schwer reden", sagt Bernhard Kohler, beim WWF für das Programm für Arten und Lebensräume zuständig, "weil sie nie öffentlich gemacht wurde." Aber er hat eine klare Meinung zu den Maßnahmen, und er traut sich auch, diese öffentlich zu vertreten: "Um den See zu erhalten, wird man damit leben müssen, dass er zwischendurch austrocknet. Machen wir aus dem See" – durch das Einleiten von Donauwasser – "eine Badewanne, wird er sicher kaputt. Darum schlagen wir vor, den See sich selbst zu überlassen."

Staubstürme statt Donauwasser

Das Austrocknen sei für einen Steppensee wie den Neusiedler See nicht nur normal, sondern auch wichtig, erklärt er. Mit Ausnahme des 20. dürfte der See ein- bis zweimal pro Jahrhundert ausgetrocknet sein. Und das sei auch der Grund, warum der See nicht verlande, sich nicht wie jeder andere, ständig wasserführende See so lange mit Sedimenten von unten her fülle, bis er eben verschwindet oder zum Moor wird. "Beim Neusiedler See passiert das nicht, weil in der Austrocknungszeit der organische Anteil des Schlamms, wenn Sauerstoff dazukommt, durch Bakterien zersetzt und der mineralische Anteil vom Wind ausgeblasen wird", erklärt Bernhard Kohler und erinnert an die starken Staubstürme während der letzten Austrocknung zwischen 1865 bis 1868. Doch nicht nur Phasen, in welchen der See austrocknet, seien wichtig.

Hinter der Bühne der Seefestspiele in Mörbisch.
Foto: Guido Gluschitsch

Entscheidend für den See sind der Salzgehalt und die Wassertrübe, die direkt zusammenhängen. Der Sodagehalt des Sees hält nämlich jene kleinen Quarzkristalle, welche die Trübung verursachen, in Schwebe. Die Trübung sorgt dafür, dass es wegen des fehlenden Lichts im Wasser keine Algen gibt, obwohl der See nährstoffreich und gut durchlüftet ist. "Auf den Trübepartikeln sitzen winzige Bakterienrasen. Jeder Kleinkrebs, der abstirbt, muss beim Absinken an Abermillionen solcher Bakterien vorbei und wird zersetzt." Das ist der Grund, warum sich im Neusiedler See weniger Schlamm absetzt als in anderen Gewässern. Darum ist der See auch noch nicht verlandet, obwohl er 13.000 Jahre alt und sein Becken nur drei Meter tief ist. "Würde man Donauwasser in größeren Mengen in den See leiten", ist Bernhard Kohler überzeugt, "kommt es zu einer chemischen Reaktion, diese Trübepartikel sinken ab, und der See wird mit einem Schlag zu einem normalen Süßwassersee", allerdings mit einer sehr starken Algenproduktion. Ähnliches würde passieren, wenn man zu oft Wasser aus dem See über den Einserkanal ablässt.

Wenn dann der Regen kommt

Und das kann durchaus passieren, etwa nach (klimawandelbedingten) Starkregenereignissen, um Überschwemmungen zu verhindern. Kurz nach der Austrocknung, 1879, war der Neusiedler See drei Meter tief, erklärt Bernhard Kohler und weite Teile des Umlandes überschwemmt. Darum begann man damals damit, Wasser abzuleiten. Dabei gehen aber jedes Mal auch Salze aus dem See verloren. Seit mit der Ableitung des Wassers begonnen wurde – bis in die 1960er-Jahre wollte man den See ja ganz trockenlegen –, seien riesige Mengen an Salz ausgeschwemmt worden. Hatte der See einst einen Salzgehalt von etwa 15 Gramm pro Liter – was in etwa die Hälfte des Salzgehaltes von Meerwasser ist –, sind es jetzt nur noch ein bis zwei Gramm, erklärt der Experte vom WWF. "Wenn man nun Wasser zuleitet, steigt die Gefahr, dass das Wehr nach einem Regen wieder aufgemacht werden muss und wieder Salz abfließt. Wenn man den See ruinieren will, schwemmt man einfach das Salz aus."

Sie schaut recht bizarr aus, die Steglandschaft, die in Rust aus dem Wasser ragt.
Foto: Guido Gluschitsch

Der Idee, Donauwasser in den See einzuleiten, kann er auch touristisch nichts abgewinnen. "Was sollen die paar Zentimeter bringen?", fragt er. "Man hat dann zwar die schädlichen Effekte, mit dem Boot fahren kann man dann aber trotzdem noch nicht. Die Wahrscheinlichkeit, dass das schiefgeht, ist extrem hoch." Worüber man diskutieren könne, das wäre die Idee, Donauwasser im Seewinkel ins Grundwasser zu leiten, was über Umwege den Lacken helfen könnte. Deutlich lieber wäre ihm allerdings, wenn man die Bauern der Region dazu brächte, weniger wasserintensive Pflanzen anzubauen, man ihnen das Donauwasser direkt zum Bewässern zur Verfügung stellte und die Ableitungen des Grundwassers stoppte. So könnte sich das gesamte System erholen, hofft er. Und wenn man es zulasse, dass der See austrockne, brauche man sich auch nicht um das Schilf zu kümmern, denn auch das würde sich wie gewünscht erholen.

Bernhard Kohler empfiehlt, dass wir, ob des Klimawandels, unsere Wassernutzungswirtschaft generell überdenken. Weg davon, Wasser immer schnell wegleiten zu wollen – was gewachsen ist, weil es bei uns immer zu viel Wasser gab –, hin zu einer mediterranen Art der Nutzung, bei der möglichst viel Wasser zurückgehalten und gesammelt wird. Das würde auch den anderen Seen im Land, die unter Wassermangel leiden, helfen. Und sollte Bernhard Kohler mit seinen Befürchtungen recht haben, könnte der große Paddelevent am 5. Juni in Rust eher der erste Schlag ins Wasser für das Ende des Sees als dessen Rettung sein. (Guido Gluschitsch, 7.5.2022)