Ob ehemalige Politiker oder Kulturprominenz: Wenn sie ihm nützlich erschienen, fand Putin stets einen Platz für sie. Elite Capture nennt man diese Strategie.

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Die politische Strahlkraft im eigenen Land mag längst erloschen sein, doch für einen Job in Ländern von fragwürdiger politischer Integrität reicht es noch. Russland war lange ein populärer Hafen, um den Pensionsschock von Ex-Politikerinnen und Ex-Politikern mit lukrativen Posten abzumildern.

Ex-Finanzminister Hans Jörg Schelling (ÖVP) war Berater des Gazprom-Projekts Nord Stream 2, Ex-Kanzler Wolfgang Schüssel (ÖVP) saß im Aufsichtsrat des russischen Mineralölkonzerns Lukoil, die frühere FPÖ-Außenministerin Karin Kneissl, die Dame mit dem Knicks vor Wladimir Putin, sitzt im Aufsichtsrat des russischen Ölkonzerns Rosneft, Christian Kern (SPÖ) in jenem der russischen Staatsbahn RZD.

Der Wille des Machthabers geschehe

Wie hoch der Bedarf nach deren Expertise war und ist, lässt sich schwer beurteilen, zu den Vorteilen autokratischer Systeme wie dem in Russland zählt, dass sich derlei Umworbene darüber nicht den Kopf zu zerbrechen brauchen: Der Wille des Machthabers geschehe.

Damit hat jemand wie Wladimir Putin gleich mehrere Dinge erreicht, selbst wenn sie widersprüchlich sind. Denn Putin lebt seit Jahren vor, dass die liberale internationale Ordnung für ihn weitgehend obsolet geworden ist. In seiner Weltsicht gibt es nur noch einen sehr begrenzten Platz für eine aktive Zivilgesellschaft und Errungenschaften wie die Menschenrechte. Seinen Umgang damit führt er der Welt schon länger vor, der Überfall auf die Ukraine ist der traurige Höhepunkt.

Demokratische Aura

Doch selbst in Friedenszeiten geht von so einer Haltung Gefahr aus. Denn um mühsame, widerstandsanfällige demokratische Regeln zu umgehen, setzte er unter anderem auf Beziehungen zu ausgemusterten Führungskräften – und band sie an sein weitverästeltes System.

Dafür gibt es den englischen Begriff "Elite Capture". Das bedeutet so viel wie die Gefangennahme einer Elite, wobei es sich vordergründig um eine freundliche Übernahme handelt. Schließlich werden die Vertreterinnen und Vertreter dieser vermeintlichen Eliten gut bezahlt. Besonders gefragt waren Ex-Politiker aus europäischen Demokratien, die für Putin zweierlei Zweck erfüllten.

Mag sein, dass ihre Expertise zum Wohl des Fortkommens im Lande diente, das wäre ein Kollateralsegen gewesen. Auf jeden Fall fungierten diese Personen als Feigenblätter des Systems. In ihrer demokratischen Aura badete der Autokrat und vermittelte demokratische Legitimation. Das Signal war: So schlimm ist der gar nicht. Weshalb Kritiker dieser Praktik gerne das Wort vom nützlichen Idioten für derlei abgeschöpfte Elitedarsteller bemühen.

Eine Form der Korruption

Manche Politikwissenschaftler sehen in dieser strategischen Eingemeindung elitärer Gestalten eine Form der Korruption. Sie sagen, die für diese Personen aufgewendeten Mittel fehlten dem Staat an jenen Stellen, an denen er für das Wohl seiner Bürger sorgen sollte — wiewohl er es so darstellt, als heuere er die Prominenz nur deshalb an. Die angeheuerten Personen legitimieren scheindemokratische Handlungen, indem sie solche Jobs annehmen. Das Ausmaß der Schuld, wenn man so moralisch sein möchte, die sie damit auf sich nehmen, mag variieren. Spätestens seit der Annexion der Krim 2014 ist es mit den Ausreden für in Russland andockende Ex-Politiker schwer geworden.

Oft sind diese Jobs in irgendwelchen Boards und Vorständen ohnehin nur Wirtschaftsdiplomatie, deren Grenze zum Lobbying fließend ist. Der Überfall auf die Ukraine hat diese Strategie und die daran hängenden Personen in den letzten beiden Monaten wieder ans Licht gebracht, und es ist kein günstiges. Es zeigt einen Rückfall in ein politisches Modell vergangener Epochen, die nicht durch internationale Standards für Politik und Menschenrechte belastet waren.

Käufliche Popstars

Auf niederschwellige Art machten sich Kulturschaffende ebenfalls zu Handlangern dieser Strategie. Der steuerflüchtige französische Schauspieler Gérard Depardieu nahm 2013 medial laut polternd sowie mit Einladung Putins und dessen persönlicher Protektion die russische Staatsbürgerschaft an. Daneben gab es eine Reihe von Popstars, die für viel Geld dem Ruf staatsnaher Oligarchen gefolgt waren, um zu deren Zerstreuung von der vielen schweren Arbeit private Konzerte zu geben. Solche Oligarchen-Shows gaben unter anderem Acts wie Amy Winehouse, Elton John, George Michael, Rihanna, Christina Aguilera, Jennifer Lopez, Maria Carey oder Robbie Williams. (Karl Fluch, 9.5.2022)