Ein Dirigent, der sich verbal nicht von Putin distanziert, Sponsorengelder, deren Herkunft unsauber erscheint: Markus Hinterhäuser fordert eine differenzierte Betrachtung ein.

Foto: Lydia Gorges

So nervös hat man Markus Hinterhäuser selten erlebt: Seit Wochen sehen sich die Salzburger Festspiele mit einer ganzen Reihe an Vorwürfen konfrontiert. Da sind zum einen Sponsoren, deren Rechtschaffenheit infrage gestellt wird, zum anderen ein Dirigent, dessen Orchester und Chor sich von Putins "Privatbank" sponsern lassen. Teodor Currentzis verantwortet nach "La clemenza di Tito" und "Don Giovanni" auch das heurige Vorzeigeprojekt, eine Inszenierung zweier Einakter von Béla Bartòk und Carl Orff. Regie führt wieder Romeo Castellucci. In Wien, München oder Paris wurden in den vergangenen zwei Monaten Currentzis-Abende abgesagt bzw. verschoben. In Salzburg kündigte man dagegen bereits vor Wochen an, in aller Ruhe eine Entscheidung treffen zu wollen. Jetzt ist es so weit: Man hält an Currentzis fest.

STANDARD: Sie haben vor Wochen angekündigt, dass Sie im Fall Currentzis "agieren und nicht reagieren wollen". Bisher haben Sie weder das eine noch das andere gemacht. Warum?

Hinterhäuser: Ich kann gerne eine klare Aussage machen: Wir arbeiten nicht an Alternativen. An unserer Einschätzung zu dem von Ihnen so apostrophierten "Fall Currentzis" hat sich in den letzten Wochen nichts geändert.

STANDARD: Sie halten an Teodor Currentzis fest, obwohl er und sein Orchester von der Bank VTB finanziert werden?

Hinterhäuser: Currentzis hat nie auch nur im Ansatz für Putin Partei ergriffen. Er war eine der prominentesten Stimmen für den unter Hausarrest gestellten Regisseur Kirill Serebrennikow, er war eine der Hauptfiguren im "Dau"-Film von Ilja Chrschanowski, einer harten Abrechnung mit dem sowjetischen Totalitarismus, dessen Ausstrahlung in Russland verboten wurde. Currentzis hat Programmänderungen in seinen Konzerten vorgenommen, die als deutliche Zeichen gegen Putin gesehen werden können und auch gesehen werden sollten. Und er wollte in Wien ein Benefizkonzert für ukrainische Flüchtlinge geben.

STANDARD: Serebrennikow und der "Dau"-Film datieren auf die Zeit vor Currentzis' Übersiedlung von Perm nach Sankt Petersburg. Damit begann die Abhängigkeit von VTB. Seitdem gibt es keine politischen Aussagen mehr von ihm. Warum ergreift er nicht mehr das Wort gegen Putin?

Hinterhäuser: Es gab in der Vergangenheit auch kein Gesetz in Russland, das 15 Jahre Gefängnis bedeuten kann allein für die Verwendung des Wortes Krieg. Currentzis’ Musiker sind nicht Mitglieder eines staatlichen Orchesters. Diese Sicherheit haben sie nicht. Am Beginn war das Orchester von Teodor Currentzis in Nowosibirsk und Perm an die dortigen staatlichen Opernhäuser angedockt. In Sankt Petersburg ist das nicht der Fall. Currentzis wollte von Perm mit seinem Orchester ursprünglich nach Paris gehen, er hat sich auch für das Theater an der Wien beworben, mit dem Gedanken, dass Wien vielleicht bereit wäre, diesem Orchester und Chor eine Heimat zu geben. Diese Versuche sind gescheitert. Auch das sollten wir bedenken, bevor man hier Scharfrichter spielt.

STANDARD: Die VTB-Bank befindet sich auf der Sanktionsliste, sie ist zu 60 Prozent im Besitz der Regierung, ihr Chef wird von Putin selbst ernannt. Ist eine Finanzierung durch "Putins Hausbank" nicht ein No-Go?

Hinterhäuser: Erklären Sie mir mal, wie man in Russland ein Orchester ohne staatliche beziehungsweise teilstaatliche Unterstützung gründen und finanzieren will? Jahrelang hatte niemand Probleme mit diversen Verbindungen nach Russland. Jetzt tut man so, als hätte man alles wissen können und wissen müssen.

STANDARD: Angesichts von Waleri Gergijew, der hunderte Millionen Immobilienvermögen besitzt und über undurchsichtige Stiftungskonstruktionen ein Luxusleben finanziert, müssen Nachfragen auch bei anderen Künstlern erlaubt sein.

Hinterhäuser: Selbstverständlich sind sie erlaubt, sie sind auch notwendig. Aber genauso notwendig ist eine differenzierte Betrachtung. Der Fall Gergijew und seine Nähe zu Putin sind klar. Auch die Fragestellungen bei Currentzis sind verständlich. Aber was wir im Moment erleben, ist eine Kampagne, die mit journalistischer Ethik überhaupt nichts mehr zu tun hat. Es gibt einen Journalisten, der sich in dieser Kampagne als Sprengmeister geriert. Das ist – und da stimme ich mit Bogdan Rošcic (Direktor der Wiener Staatsoper, Anm.) überein – nicht mehr als das so zynische wie durchschaubare Begleichen alter Rechnungen unter dem Deckmantel der Moral.

STANDARD: Sie sprechen Axel Brüggemann an, der auch in unserer Zeitung einen größeren Text geschrieben hat. Aber bleiben wir bei den Fakten: Alle Currentzis-Projekte bei den Festspielen wurden in der Vergangenheit von der russischen Stiftung V-A-C des Oligarchen Leonid Michelson mitfinanziert. In Kanada und in Großbritannien befindet er sich auf der Sanktionsliste, in der EU und den USA nicht. Werden Sie die 400.000 auch heuer wieder nehmen?

Hinterhäuser: Das Sponsoring der V-A-C-Stiftung erfolgte aufgrund der großen Bewunderung für den Regisseur Romeo Castellucci, nicht wegen Currentzis. Weder Leonid Michelson noch die V-A-C-Stiftung sind auf der Sanktionsliste der EU. Sollte sich daran etwas ändern, werden wir selbstverständlich die Verbindung zur Stiftung beenden.

STANDARD: Hat man als Kulturinstitution nicht eine besondere moralische Verantwortung?

Hinterhäuser: Das ist schon so. Aber die Kulturinstitutionen durch Folgsamkeitsrituale als Korrektiv für Entwicklungen zur Verantwortung zu ziehen, die nicht in ihrer Einflusssphäre liegen, ist etwas viel verlangt. Hätten wir wirklich wissender und vorausschauender sein können als die Politik? Wir werden derzeit in eine Art Schmuddelecke gestellt. Es wird so getan, als ob sich Klassikfestivals ausschließlich von toxischem Geld sponsern lassen, dass die Klassikwelt ein Schattenreich Putins wäre. Das ist so lächerlich wie unwahr.

STANDARD: Die Klassik hat in Russland eine enorme Bedeutung. Wäre es nicht nachvollziehbar, dass Putin diese Soft Power dazu benutzt, um politische und wirtschaftliche Interessen im Westen zu verfolgen? Im Brucknerhaus ist das eindeutig erfolgt.

Hinterhäuser: Die Vorgänge in Linz kann und will ich nicht kommentieren. Es gibt Künstlerinnen und Künstler wie Gergijew und Netrebko, die aus ihrer deutlichen, manchmal überdeutlichen Nähe zu Putin kein Geheimnis gemacht haben. Aber wollen wir alle russischen Künstlerinnen und Künstler einer Pauschalverdächtigung aussetzen? Das wäre nichts anderes als eine große Verschwörungstheorie.

STANDARD: Zurück zu den Festspielen. Dort häufen sich die Probleme mit Sponsoren: 2019 der Vertrag mit Gazprom, jetzt die Fragestellungen rund um Currentzis und V-A-C. Zudem steht Ihr Sponsor, das Bergbauunternehmen Solway, in heftiger Kritik. Da ist es doch verständlich, dass eine schiefe Optik entsteht.

Hinterhäuser: Wir sind über Jahre von der Politik aufgerufen worden, einen Teil der Produktionen über Sponsorengelder zu finanzieren. Sponsorenverträge werden in der Regel auf drei bis fünf Jahre geschlossen. In dieser Zeit kann vieles passieren. Solway unterstützt das Kinder- und Jugendprogramm mit 150.000 Euro. Es findet jetzt eine interne und externe Untersuchung der Vorwürfe statt. Wenn aber jemand angeklagt ist, hat er auch das Recht, sich zu verteidigen. Ich möchte das Ergebnis dieser Untersuchung abwarten. Wenn dieses für die Festspiele nicht akzeptabel ist, werden wir selbstverständlich auf das Solway-Sponsoring verzichten.

STANDARD: Zeigt diese Akkumulation fragwürdiger Sponsoren bei den Festspielen nicht, dass es hoch an der Zeit wäre, Ethikkriterien für Kultursponsoren zu formulieren?

Hinterhäuser: Ich sehe keine Akkumulation: VTB finanziert nicht die Festspiele, sondern ein Orchester, V-A-C ist nicht auf der Sanktionsliste, Solway wird untersucht. Der Deal mit Gazprom war rückblickend gesehen ein Fehler. Im Übrigen war das ein Gemeinschaftssponsoring von Gazprom und OMV, die jeweils 200.000 Euro gegeben haben. Wir haben alles zurückgezahlt. Es hat zu Gazprom wie auch zu OMV seit damals nie wieder eine Annäherung gegeben.

STANDARD: Akkumulation oder nicht: Warum kein Ethikkatalog für Sponsoren, wie in anderen Ländern üblich?

Hinterhäuser: Gegen Kriterien für das Sponsoring ist überhaupt nichts einzuwenden, aber das wird man in einem größeren politischen Rahmen diskutieren müssen. Ich warne nur davor, zu glauben, dass dann alle Probleme gelöst sind. Viele Dinge sind schwer zu durchschauen, manche Tatsachen kommen erst später ans Licht. Die Festspiele sind alles andere als ein hochsubventioniertes Festival, wie oft angenommen. Wir müssen 75 Prozent unseres Gesamtbudgets selbst erwirtschaften, das geht gar nicht ohne Sponsoren. Vielleicht wird die Frage der Finanzierung der Festspiele und anderer Kulturinstitutionen perspektivisch neu gestellt werden müssen. (Stephan Hilpold, 6.5.2022)