Impfnebenwirkungen und -schäden gibt es – zumindest vereinzelt.

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Schäden nach einer Corona-Impfung sind selten, aber es gibt sie. 0,02 Prozent der Impfungen sind "Verdachtsfälle zu schwerwiegenden Nebenwirkungen", gibt das deutsche Paul-Ehrlich-Institut an. Die meisten Erhebungen bewegen sich in einem ähnlichen Prozentbereich – bis auf eine: Ein Mediziner an der Berliner Charité will jetzt nachgewiesen haben, dass 0,8 Prozent und damit 40-mal so viele betroffen sind. Einer von 125 Geimpften hätte Nebenwirkungen, berichtet Harald Matthes von Ergebnissen seiner laufenden Impf-Surv-Studie. Die Studie ist allerdings noch nicht abgeschlossen, online wird nach weiteren Teilnehmerinnen und Teilnehmern gesucht.

Matthes ist Präsident der Deutschen Akademie für Homöopathie und Naturheilkunde und seit 2017 Professor an der Berliner Charité – allerdings nicht auf einer ordentlichen Professur, sondern auf einer Stiftungsprofessur für "Integrative und Anthroposophische Medizin". Solche Stellen werden von Firmen oder Stiftungen finanziert, oft mit dem Interesse, bestimmte Forschungsgebiete, in dem Fall die traditionell eher impfkritische Anthroposophische Medizin, zu fördern.

Der mögliche Interessenskonflikt ist allerdings nicht die einzige Kritik an den noch unveröffentlichten Erkenntnissen: Bisher findet man keine Angaben zu Methode oder Ergebnissen. Fachleute aus der Wissenschaft können die Studie daher noch nicht diskutieren und peer-reviewen, wie das bei Studien dieser Art üblich wäre, bevor neue Erkenntnisse öffentlich verkündet werden.

Fehlende Kontrollgruppe

Die 0,8 Prozent, die laut Impf-Surv-Studie von Impfschäden betroffen sind, seien auch deshalb fragwürdig, weil die Kontrollgruppe fehle, kritisieren Fachleute. Wie wichtig ebensolche Kontrollgruppen sind, zeigen diverse Zulassungsstudien. Pfizer meldet, dass es in 0,6 Prozent der Fälle nach der Impfung zu "schweren unerwünschten Ereignissen" kommt, aber auch bei 0,5 Prozent in der Placebogruppe: Jene Teilnehmerinnen und Teilnehmer hatten nach der Injektion einer Kochsalzlösung "schwere unerwünschte Ereignisse".

Eine Studie erfasst ohne Placebogruppe nur mögliche Nebenwirkungen – ohne Hinweis darauf, wie viele tatsächlich auf die Impfung zurückzuführen sind. Erst durch den Vergleich mit einer Kontrollgruppe zeigt sich die Anzahl der tatsächlichen Nebenwirkungen.

Unterschiedliche Definitionen von Nebenwirkungen

Dazu kommen unterschiedliche Definitionen zu "schwerwiegenden Nebenwirkungen": Die Arzneimittelbehörden EMA und FDA verstehen darunter Erkrankungen, die tödlich oder lebensbedrohlich sind oder zu einer Krankenhauseinweisung oder bleibenden Schäden führen. Harald Matthes hingegen hat andere Kriterien, wie er gegenüber "Welt" erklärt: In seiner Studie sind Nebenwirkungen "schwerwiegend", wenn ein Patient oder eine Patientin von einem Arzt oder einer Ärztin für mindestens drei Tage krankgeschrieben wird. Ein zeitlicher Zusammenhang zur Impfung ist nicht nötig.

Die Erfassung der Rate an betroffenen Menschen mit Nebenwirkungen bleibt aber in der Praxis auch mit wissenschaftlich einheitlich und sorgfältig durchgeführten Erhebungen eine Herausforderung – nicht nur bei der Corona-Impfung: Viele Ärztinnen und Ärzte empfinden es als zu großen Aufwand, Nebenwirkungen zu melden. Oft treten Schäden zudem erst lange nach Einnahme eines Arzneimittels oder Injektion einer Impfung auf, sodass die Beschwerden von manchen Fachleuten nicht mehr damit in Verbindung gebracht werden.

Ähnliche Symptome wie Long Covid

Nichtsdestotrotz: Impfnebenwirkungen und Schäden gibt es – zumindest vereinzelt. Betroffene dürfen nicht alleingelassen werden, Harald Matthes fordert mehr Anlaufstellen. Die Symptome sind vielfältig, das Krankheitsbild ähnelt jenem von Long Covid: Kopfschmerzen, Müdigkeit, Kurzatmigkeit, Herzrhythmusstörungen.

"Menschen mit diesen Impfnebenwirkungen sind einem noch stärkeren Gaslighting ausgesetzt als jene mit Long Covid und haben noch weniger Anlaufstellen", sagt Neurologe Michael Stingl, der viele Long-Covid-Betroffene betreut. Er appelliert für mehr Forschung, auch im Bereich von Impfschäden: "Wenn man noch nicht genau weiß, warum es passiert und was man therapeutisch machen soll, muss man daran arbeiten, es zu verstehen. Die Impfung hat seltene Nebenwirkungen, die man ernst nehmen und beforschen muss. Das individuelle Risiko dafür ist aber um ein Vielfaches geringer als das Risiko durch Infektion." (Magdalena Pötsch, 7.5.2022)