Kunden können die Software künftig auch am iPad nutzen.

Foto: Capture One

Kameramarke, Objektivwahl, sogar Bearbeitungsprogramme werden schnell zum Diskussionsthema unter Enthusiasten. Jeder hat dabei bestimmte Vorlieben, immerhin gibt es kleine, aber relevante Unterschiede. Vor allem im Softwarebereich ist der Markt klar aufgeteilt. Als Platzhirsch gilt Adobe, dessen Creative Suite samt Photoshop und Lightroom auf den Computern vieler Kreativer installiert ist. Dem gegenüber steht Capture One, das als wahrscheinlich relevantester Konkurrent zur erstgenannten Software gilt.

Während Lightroom seit mehreren Jahren über eine Mobilversion verfügt und mittlerweile in fast vollständigem Funktionsumfang am iPad genutzt werden kann, war für Capture One stets ein Gang zum Computer nötig. Das soll sich nun ändern. Seit Ende April ist die Betaversion der Fotobearbeitungssoftware fürs iPad verfügbar und bietet Einblick in die kommenden Features. DER STANDARD hat sie ausprobiert, um herauszufinden, wie sie sich in der Praxis schlägt.

Dabei muss vorab gesagt werden, dass es sich nicht um die finale Fassung handelt. Es kann also nicht mit Sicherheit gesagt werden, inwiefern sich der Funktionsumfang und das User-Interface verändern werden.

Gewöhnungsbedürftig – aber angenehm

Aber zurück zum Test. Hat man die ersten Fotos aus der Galerie, der Dateien-App oder von einer SD-Karte importiert, kann man sofort mit der Bearbeitung loslegen. Wer am iPad bisher Programme wie Lightroom oder auch Snapseed verwendet hat, wird einen kurzen Moment brauchen, um sich zurechtzufinden. Die Nutzeroberfläche sieht anders aus als bei der Konkurrenz.

So sieht das User-Interface während der Bearbeitung aus.
Foto: Screenshot / Capture One

Die unterschiedlichen Bearbeitungsfunktionen, zum Beispiel der Weißabgleich oder Belichtungseinstellungen, finden sich am linken Bildschirmrand. Auf der rechten Seite liegt ein Einstellrad, das mit dem Finger oder Apple Pencil bedient werden kann. Mit der linken Hand wählt man also aus, was man bearbeiten möchte, mit der Rechten führt man die entsprechende Anpassung durch.

Nach kurzer Eingewöhnungsphase geht dies leicht von der Hand. Das relativ große Einstellrad lässt sich am Touchscreen sehr präzise bedienen und erlaubt auch kleinere Veränderungen, wenn man zum Beispiel die Farbtemperatur nur um wenige Kelvin verändern möchte. Dieselbe Präzision vermisst man in Lightroom manchmal. Gerade mit dem Apple Pencil erfordern präzisere Änderungen dort mehr Geduld. Zwar kann man die Intensität auch per Klick anpassen, dann werden jedoch Fünferschritte vorgenommen.

Begrenzte Möglichkeiten

Grundsätzlich stehen in Capture One auch am iPad die wichtigsten Bearbeitungsfunktionen zur Auswahl. Darunter die Möglichkeit den Weißabgleich anzupassen, die Belichtung samt Kontrast und Helligkeit einzustellen oder den Weiß- und Schwarzpunkt zu manipulieren. Außerdem gibt es Tools für die Rauschreduzierung, das Schärfen und zur Einstellung von Klarheit und einer Vignette. Der "Color Editor" erlaubt darüber hinaus, alle Farben einzeln zu bearbeiten. Wie von der Desktopversion bekannt, kann man somit sowohl den Farbton, dessen Sättigung als auch die Helligkeit nach Belieben anpassen.

Wer seine Bildbearbeitung manuell vornimmt, stößt hier jedoch an seine Grenzen. Im Gegensatz zu Lightroom fehlen Kurven und die Möglichkeit einer lokalen Bearbeitung des Bilds. Es gibt weder einen Pinsel noch die Möglichkeit, lineare oder radiale Verläufe einzufügen, um zum Beispiel den Himmel abzudunkeln oder aufzuhellen.

Wählt man im Menü Schwarz/Weiß aus, kann man die einzelnen Farbkanäle manipulieren, um den gewünschten Kontrast zu erzielen.
Foto: Screenshot / Capture One

Damit gleicht der Funktionsumfang kostenfreien Apps wie Googles Snapseed, das wegen seiner einfachen Bedienbarkeit bereits seit Jahren auf vielen Handys und Tablets installiert ist. Teilweise bietet die App sogar Funktionen, die in der Betaversion von Capture One derzeit noch fehlen. Darunter die Möglichkeit, die Perspektive zu ändern. Heißt: Die horizontale und vertikale Neigung einer Aufnahme anzupassen, damit zum Beispiel Gebäude nicht mehr nach hinten kippen. Oder auch die Möglichkeit, die Belichtung mittels Kurven anzupassen. Ein Feature, das man in keiner ernstzunehmenden Bearbeitungs-App vermissen will.

Prominent platziert ist stattdessen ein Menüpunkt mit sogenannten "Styles" und Presets, mit denen bestimmte Voreinstellungen sofort übernommen werden können. Dabei handelt es sich um fertige Bearbeitungen, die einen gewissen Stil verfolgen. Darunter finden sich Schwarz-Weiß-Bearbeitungen, die besonders für Porträts passen sollen. Oder auch solche für Landschaftsaufnahmen. Meist unterscheiden sie sich in der Farbgebung, aber auch im Kontrast. Diese sollen wahrscheinlich bei der raschen Bearbeitung von Schnappschüssen helfen, die man auf Instagram posten will.

Optimiert für mobile Nutzung

Apropos: Beim Export kann man aussuchen, ob man das Foto in voller Auflösung speichern möchte oder dieses für das Web oder Instagram optimieren will. Dabei werden stets die Dimensionen in Pixeln und eine geschätzte Dateigröße angezeigt. Außerdem hat man hier die Möglichkeit, ein Wasserzeichen anzubringen oder den Dateinamen zu ändern.

Fast unbrauchbar ist bisher das Cropping-Tool. Während beim Drehen eines Bilds bei den meisten Programmen ein Raster eingeblendet wird, fehlt dieses bei Capture One noch. Dadurch wird es zu einem Glücksspiel, wenn man zum Beispiel einen Horizont begradigen möchte, da genaue Einstellungen kaum möglich sind.

Fazit

Wie umfangreich die App beim Release der Vollversion tatsächlich sein wird, kann wie erwähnt noch nicht gesagt werden. Bereits angekündigt wurde bisher die Möglichkeit, Bilder via Cloud zwischen Tablet und Computer zu synchronisieren. Damit soll eine zu Hause begonnene Bearbeitung nahtlos fortgesetzt werden können. Außerdem soll es in der Zukunft möglich sein, Tethering zu nutzen. Auch die Editierung mittels Masken soll nachgeliefert werden, obwohl unklar ist, wann es so weit sein wird.

Unter anderem kann man Fotos im besten Format für Instagram exportieren.
Foto: Screenshot / Capture One

Dennoch stellt sich die Frage, für wen sich die Nutzung der iPad-Version derzeit lohnt. Wer bisher zu Lightroom gegriffen hat, sollte das allein wegen des größeren Funktionsumfangs auch weiterhin tun. Die iPad-Version gleicht fast 1:1 jener für den PC. Fotos werden außerdem über die Cloud synchronisiert und können überall abgegriffen werden, wo man sie braucht.

Gerade für Foto-Enthusiastinnen, die ihre Arbeiten ausschließlich am iPad bearbeiten wollen, wird Capture One jedenfalls nicht ausreichen. Vor allem die Möglichkeit lokaler Anpassungen oder Reparaturen wird im Alltag niemand missen wollen. Ob das wirklich die Zielgruppe der Software ist, darf aber hinterfragt werden. Diese wirkt bisher wie ein "nice to have" für Menschen, die bereits ein Capture-One-Abonnement besitzen und gelegentlich ein am Tablet editieren wollen.

Anstatt eines vollständigen Ersatzes handelt es sich also um eine Ergänzung – die trotz ihres eingeschränkten Funktionsumfangs überzeugen kann. Man darf also gespannt sein, was die Zukunft bringt. Immerhin soll die Vollversion noch dieses Jahr veröffentlicht werden. (Mickey Manakas, 7.5.2022)