Fünf Milliarden Euro. So viel verlor Österreichs größter Stromkonzern, der teilstaatliche Verbund, an Börsenwert, nachdem Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) am Donnerstag eine umstrittene Aussage getätigt hatte. Gewinne teilstaatlicher Energieunternehmen, die überproportional von der Krise profitieren, sollten gesetzlich abgeschöpft werden, hatte der Kanzler der Tiroler Tageszeitung gesagt. Details sind noch offen: Finanzminister Magnus Brunner und Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck wurden beauftragt, Vorschläge zu erarbeiten.

Klar ist: Manche Energieunternehmen – in Österreich etwa OMV, Verbund und die niederösterreichische EVN – fahren derzeit besonders hohe Profite ein. Das hat nicht etwa mit klugen betrieblichen Entscheidungen zu tun, sondern mit zufälligen internationalen Gegebenheiten. Konkret: mit den derzeit hohen Öl- und Gaspreisen, für die wiederum der Post-Corona-Wirtschaftsaufschwung und vor allem der Ukraine-Krieg verantwortlich sind. Es sind sogenannte "Windfall-Profits".

Warum macht die ÖVP diesen Vorschlag?

Üblicherweise gilt die Volkspartei als eine politische Kraft, die den Markt gewähren lässt, statt staatlichen Eingriffen das Wort zu reden. Doch nun steht die Regierungspartei unter Druck. Die Menschen in Österreich leiden zunehmend unter hohen Energiepreisen, während zugleich Profite von Energiekonzernen sprudeln. "Niemand versteht hohe Gewinnspannen, wenn sich zugleich die Menschen den Strom nicht mehr leisten können", erklärt ein Berater aus Nehammers Umfeld im STANDARD-Gespräch den Vorstoß. Dies umso weniger, als die Regierung gerade viel Steuergeld in die Hand nehmen muss, um die sozialen Folgen hoher Energiepreise in den Griff zu bekommen. Türkis-Grün verteilt etwa Energiegutscheine und verringert Energieabgaben.

Die Menschen in Österreich leiden zunehmend unter hohen Energiepreisen.
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Darüber hinaus dürfte Nehammers umstrittener Vorstoß auch mit der internen Verfasstheit der ÖVP zu tun haben. Kommende Woche steht der ÖVP-Parteitag an; der Kanzler muss sich gegenüber seinem Vorgänger Sebastian Kurz politisch profilieren. Und: "Nehammer will mit seinem Vorschlag auch eine Duftmarke in Richtung ÖAAB setzen", sagt ein ÖVP-Kenner. Der heutige Bundeskanzler war bis 2018 Generalsekretär des ÖVP-Arbeitnehmerbundes.

Ziehen die Grünen mit?

Den grünen Juniorpartner in der Regierung für die Gewinnabschöpfung zu gewinnen dürfte kein Problem werden. "Karl Nehammer hat recht", sagt kurz und bündig Lukas Hammer, Energie- und Klimasprecher der Grünen. "Wir können nicht zuschauen, wie Gewinne privatisiert werden, während die Allgemeinheit die Last der Energiepreiskrise trägt."

Allerdings weichen die Grünen in einer durchaus wichtigen Frage von der Position der Volkspartei ab. Die ÖVP will lediglich teilstaatliche Unternehmen der Gewinnabschöpfung unterwerfen, laut Grünen soll sie für alle gelten – auch für Private. "Die Debatte, wer von der Gewinnabschöpfung umfasst sein wird, wird noch zu führen sein", sagt Hammer.

Bei privaten Energieerzeugern in Österreich handelt es sich vor allem um Produzenten erneuerbarer Energien, etwa Betreiber von Windkraft- und Photovoltaikanlagen. Dies ist eigentlich ein Bereich, den die Grünen politisch unterstützen und wirtschaftlich entlasten wollten: Ausgerechnet für ihn soll nun laut grüner Sichtweise ebenfalls die geplante Gewinnabschöpfung gelten.

Ist die Abschöpfung rechtlich möglich?

Kurz gesagt, ja. Es handelt sich nämlich um eine Maßnahme, die laufende und zukünftige Profite betrifft. Dies ist rechtlich gesehen zulässig, im Gegensatz zu einer nachträglichen Besteuerung von Gewinnen aus der Vergangenheit, die problematisch wäre.

Sabine Kirchmayr-Schliesselberger, Professorin für Finanzrecht an der Universität Wien, hält eine allgemeine Sondersteuer, die alle Energieunternehmen betrifft, die derzeit von den hohen Preisen profitieren, für zulässig und richtig. Zumal "die Gewinne ja nicht durch besonders gutes Wirtschaften entstehen", wie sie ausführt, sondern durch Zufälle.

Kirchmayr-Schliesselberger ortet allerdings ein Problem: Würde eine Sondersteuer lediglich Energieversorger mit staatlicher Beteiligung erfassen, läge eine Ungleichbehandlung vor, die nur schwer zu rechtfertigen wäre. Deshalb dürfe es keine Rolle spielen, ob die Unternehmen staatlich, teilstaatlich oder privat seien.

Nehammer bleibt dabei: Nur teilstaatliche Unternehmen sollen der Gewinnabschöpfung unterliegen.
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Die ÖVP bleibt allerdings bei ihrer bisherigen Position. Der Vorschlag beziehe sich im ersten Schritt einzig auf teilstaatliche Unternehmen, heißt es im Bundeskanzleramt auf STANDARD-Anfrage. "Denn hier besitzt die Republik relevante Anteile und ist damit unmittelbar handlungsfähiger. Und wir haben hier als Eigentümer auch eine Verantwortung gegenüber den Kunden."

Warum braucht es die Abschöpfung?

Man könnte meinen, eine Maßnahme wie die Gewinnabschöpfung brauche es überhaupt nicht. Denn: Österreichs große Energieunternehmen sind allesamt zumindest teilweise in Staatsbesitz. Verbund etwa gehört zu 80 Prozent der öffentlichen Hand (die Republik hält 51 Prozent, Wiener Stadtwerke, EVN und Tiwag, die ihrerseits mehrheitlich Wien, Niederösterreich und Tirol gehören, zusammen knapp 30 Prozent), die OMV zu 31,5 Prozent. Das bedeutet, dass die Republik als Teileigentümer von Gewinnausschüttungen und Dividenden der Unternehmen profitiert.

In Zeiten hoher Gewinne fallen auch diese Dividenden hoch aus. Voriges Jahr etwa fuhr Verbund einen Rekordgewinn von 874 Millionen Euro ein, wovon 186 Millionen als Ausschüttung an das Finanzministerium flossen.

Was braucht es da noch eine Gewinnabschöpfung? "Vieles spricht dafür, dass die Einnahmen für den Staat durch eine etwaige Gewinnabschöpfung höher wären als derzeit durch Dividendenzahlungen", sagt Josef Thoman, Energieexperte der Wiener Arbeiterkammer. Einer der Gründe: Die Gewinnausschüttungen richten sich nach der Höhe der Beteiligung. OMV etwa gehört nur zu knapp einem Drittel der Republik; der Rest befindet sich mehrheitlich im Streubesitz. Während also eine Gewinnabschöpfung den kompletten Gewinn umfassen würde, fließen derzeit die Dividenden nur zu 31,5 Prozent an den Staat. Der Rest geht an die anderen Aktionäre.

Wie machen es andere Staaten?

Rumänien, Spanien, Portugal, Italien: Angesichts horrend hoher Energiepreise experimentieren bereits einige Staaten mit Gewinnabschöpfungen oder anderen Maßnahmen. Allerdings sind die Modelle bei genauerem Hinsehen reichlich unterschiedlich.

Im Fall von Rumänien und Spanien beispielsweise handelt es sich streng genommen um keine Gewinnabschöpfung, sondern um eine Art Sondersteuer auf Verkaufserlöse. Konkrete Ausgestaltung in Rumänien: Sobald der Strompreis 91 Euro pro Megawattstunde überschreitet, müssen Energieunternehmen auf alle darüberliegenden Stromeinnahmen eine Steuer von 80 Prozent entrichten.

Italien hingegen versucht es mit einer klassischen Gewinnabschöpfung: Die Gewinne von Energieunternehmen werden mit jenen früherer Jahre verglichen – und auf die Differenz wird eine Sondersteuer fällig. Soeben hat sie Premierminister Mario Draghi von zehn auf 25 Prozent erhöht.

In Großbritannien wiederum kommt die Forderung nach Gewinnabschöpfung von der Opposition, Labour und Liberaldemokraten machen sich dafür stark. Die Konservativen unter Premier Boris Johnson bremsen noch.

Welches Modell für Österreich kommen könnte, ist derzeit noch völlig offen. Nehammers Vorschlag ist zu unkonkret, um daraus etwas ableiten zu können.

Aus dem Finanzministerium hieß es am Freitag lediglich: Man habe mit der angekündigten Prüfung einer Gewinnabschöpfung bereits begonnen. (Joseph Gepp, Jakob Pflügl, Günther Strobl , 7.5.2022)