Der bullige 21-jährige Angeklagte soll an seinem ersten Arbeitstag als Securitymitarbeiter im Austria Center eine Arbeitskollegin kennen gelernt und sie wenige Stunden später in einem Hotel vergewaltigt haben. Seine kriminelle Vergangenheit soll sie eingeschüchtert haben.

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Wien – Herr B. ist erst 21 Jahre alt, in den vergangenen sechs Jahren hat er jedoch vier Vorstrafen gesammelt. Eine davon brachte ihm 30 Monate Haft ein, zehn davon unbedingt – er versuchte, sich in Syrien der Terrororganisation "Islamischer Staat" anzuschließen. Aber ist er auch ein Vergewaltiger? Hat er in der Nacht vom 5. auf den 6. Jänner in einem Hotel in Wien-Landstraße eine Arbeitskollegin gezwungen, mit ihm Geschlechtsverkehr zu haben? Die Antwort auf diese Frage muss auch am zweiten Verhandlungstag ein Schöffensenat unter Vorsitz von Stefan Huber finden.

Ein ungewöhnlicher Aspekt des Falles ist der damalige Arbeitsplatz des Angeklagten. Er war nämlich trotz seiner Vorstrafen als Securitymitarbeiter in der Impfstraße im Austria Center Vienna eingesetzt. Dort lernte er an seinem ersten Arbeitstag auch eine junge "Einweiserin" kennen. Unstrittig ist, dass sich die beiden tagsüber gut verstanden und ein Treffen nach Dienstschluss vereinbarten. Das fand in der Wiener Innenstadt statt, man ging in ein Schnellrestaurant und trank in einem anderen Lokal Bubble-Tea.

Gemeinsame Fahrt zur Arbeit

Ab dann differieren die Geschichten: Der Angeklagte sagt, die Frau habe vorgeschlagen, in einem Hotel zu übernachten. Er habe zugestimmt, im Zimmer habe sie die sexuelle Initiative übernommen. Irgendwann während des Geschlechtsverkehrs habe sie gesagt, sie könne nicht mehr, was er akzeptiert habe. Da sie auch am Feiertag im Austria Center gemeinsam arbeiten mussten, rief er einen Fahrtendienst an, der sie dorthin brachte. Gemeinsam betrat man das Gebäude, später hielt ihn die Polizei dort auf und konfrontierte ihn mit den mittlerweile von der Frau erhobenen Vorwürfen, er habe sie eingeschüchtert und so zum Sex gezwungen.

Die Vorführung der kontradiktorischen Einvernahme der Frau wurde am ersten Prozesstag unter Ausschluss der Öffentlichkeit präsentiert, zum Teil kann man sie aus den Schlussplädoyers erahnen. Demnach habe der Abend gut begonnen, die Stimmung kippte aber immer mehr. B. habe von seinen Vorstrafen berichtet, als sie fahren wollte, habe er sie vor die Wahl gestellt, mit ihm zu ihr oder in ein Hotel zu fahren. Da sie nicht wollte, dass er ihre Adresse erfahre, habe sie der Nacht im Hotel zugestimmt. Der Geschlechtsverkehr sei erzwungen gewesen, bei der Fahrt in die Arbeit habe sie dem Angeklagten auch klargemacht, dass es keine Beziehung geben werde.

Vorgesetzte als Zeugin

Zwei Zeugen wurden am zweiten Verhandlungstag aufgeboten: Der Chauffeur sagt, er könne sich an das Paar absolut nicht mehr erinnern, wäre es zu einem lautstarken Streit gekommen, hätte er wohl selbst die Polizei alarmiert. Die direkte Vorgesetzte der Frau schildert, sie habe die beiden gegen sechs Uhr gemeinsam das Austria Center betreten sehen. Die Frau habe eingecheckt, B. habe zehn Meter entfernt gewartet.

15 bis 20 Minuten später sei die Frau wieder erschienen – und habe gefragt, wie sie kündigen könne. Auf Nachfrage der Vorgesetzten sagte die junge Mitarbeiterin, sie sei von B. zum Sex gezwungen worden. Auf konkrete Nachfrage nach ihrer Einschätzung des inkriminierten Vorfalls antwortet die Zeugin: "Sie wollte es nicht, sagte aber nichts, weil sie sich nicht getraut hat."

Verteidigerin Sonja Scheed plädiert daher für einen Freispruch: Man könne ihrem Mandanten keine Vergewaltigung vorwerfen, noch dazu, da die Frau keinerlei Verletzungen aufwies. Auf einem Überwachungsvideo des Hotels sei auch zu sehen, dass die Frau an der Rezeption ihren Ausweis abgebe, noch das WC aufsuche und nicht um Hilfe bitte.

Langwierige Urteilsfindung

Nach den Schlussvorträgen kündigt Vorsitzender Huber zunächst an, bis zur Urteilsverkündung werde es rund eine halbe Stunde dauern. Nach einer Stunde nimmt er das Beweisverfahren nochmals auf und erörtert, dass neben der Vergewaltigung auch die Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung als Delikt in Frage kommen könnte. Fix sei jedenfalls die Anwendung der Strafschärfung bei Rückfall: Wird B. wegen Vergewaltigung verurteilt, drohen ihm zwei bis 15 Jahre Haft, im zweiten Fall bis zu drei Jahre Gefängnis.

Nach weiteren guten fünf Minuten Beratung wird die Entscheidung bekannt gegeben: Der Senat verurteilt B. wegen "Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung" rechtskräftig zu 18 Monaten Haft. "Wir haben Ihnen geglaubt, dass Sie keine Gewalt oder Drohung angewendet haben", begründet Huber. "Aber Sie wussten, dass sie keinen Sex mit Ihnen will. Wir haben der Frau geglaubt, dass sie geweint hat und mehrmals gesagt hat, dass sie das nicht will."

Gegen jenes Sicherheitsunternehmen, das B. offensichtlich ohne Prüfung seines Leumundszeugnisses einen Job gegeben hat, prüft die Wirtschaftskammer dem Vernehmen nach nun rechtliche Schritte. (Michael Möseneder, 6.5.2022)