Man braucht kein besonderes Sprachgefühl, um zu erkennen, dass sich der Wiener Ärztekammerpräsident Johannes Steinhart, der auch der österreichweiten Standesvertretung vorstehen möchte, vergriffen hat. Von einer "Kriegserklärung des Ministers" sprach der als ÖVP-nah geltende Interessenvertreter, nachdem Gesundheitsminister Johannes Rauch von den Grünen den Vorschlag gemacht hatte, Mediziner sollten nach abgeschlossenem Studium befristet ein oder zwei Tage pro Woche als Kassenarzt arbeiten. Was ein Krieg ist, kann man ein paar Autostunden östlich von Wien erleben, auch die ehemaligen Bewohnerinnen und Bewohner der totalitären DDR, die Steinhart als Vergleich heranzog, werden sich schön bedanken.

Werden Medizin-Absolventinnen zukünftig zum Arbeiten auf Kasse verpflichtet?
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Umgekehrt muss sich Rauch den Vorwurf gefallen lassen, dass er mäßig professionell agiert hat. Dass ein derartiger Vorschlag, ohne nähere Details veröffentlicht, die Betroffenen unrund macht, ist klar. Soll eine frischgebackene Ärztin aus Wien künftig einmal in der Woche ins Mühlviertel fahren, um dort Hausbesuche zu machen?

Eine Debatte über die künftige Ausgestaltung des Gesundheitssystems in Österreich ist gut und richtig. Der Kassenarzt von heute ist nicht mehr der idyllische "Bergdoktor". Aber die Debatte sollte nüchtern und konstruktiv und nicht über wütende Zurufe geführt werden. (Michael Möseneder, 9.5.2022)