Tanz, Animation und Kritik am vom Menschen verursachten Klimawandel: "Jungle Book reimagined" wurde am Samstag vom Publikum des Festpielhauses St. Pölten bejubelt.

Foto: Ambra Vernuccio

Dass der heutige Starchoreograf Akram Khan ausgerechnet im Orwell-Jahr 1984 seinen ersten großen Tanzauftritt hatte, ist sicher ein Zufall. Der damals Zehnjährige verkörperte die Hauptfigur bei The Adventures of Mowgli, die Premiere fand im Londoner Bloomsbury Theatre statt

Beinahe 40 Jahre später hat Khans Company eine brandneue Tanz-Interpretation des kolonialistisch durchtränkten Stoffs von Rudyard Kiplings Dschungelbuch (Erstpublikation 1894) im Programm: Jungle Book reimagined. Deren Österreichpremiere wurde am Samstag im Festpielhaus St. Pölten bejubelt, wiederzusehen ist sie im Sommer bei Impulstanz.

Akram Khan wandelt Kiplings Geschichte ab und transferiert sie in eine nicht allzu ferne Zukunft. Aufgrund des Klimaumbruchs ereignet sich eine globale Überschwemmung. Nur wenige Menschen können sich retten wie Mowgli – bei Khan ein Mädchen, das mit seiner Mutter Platz auf einem dahintreibenden Container findet. Mowgli fällt ins Wasser, wird auf von einem Wal gerettet und kommt am Rand eines Dschungels zu sich.

Menschliche Unfähigkeit

Auf diese erzählerische Basis baut der aus einer bengalischen Familie kommende britische Choreograf seine Geschichte, in der die aus dem Dschungelbuch stammenden Tierfiguren wie Baloo, Bagheera oder Kaa zusammen mit der Protagonistin auf das zentrale Thema dieses Jahrhunderts reagieren: die Klimakrise als Höhepunkt der menschlichen Unfähigkeit, sich in den eigenen Lebensraum zu integrieren.

Das Positive an Jungle Book reimagined: Es schulmeistert nicht, sondern versucht unsere Verdrängungsbarrieren gegenüber dem Klimawandel zu überwinden, die emotionale Intelligenz anzusprechen. Die zehn Tänzerinnen und Tänzer der Company, allen voran Mowgli-Darstellerin Pui Yung Shum, bewältigen die heiklen Herausforderungen des Handlungstanzes so gut, dass jedes Kind die Geschichte nachvollziehen kann.

Ganz offensichtlich wollte Khan, dessen wichtigste Werke wie Kaash, Bahok oder Vertical Road auch in Österreich viel Beachtung fanden, ein alle Generationen verbindendes Stück schaffen. Mit der Produktion von für den Nachwuchs geeigneten Werken hat der 1974 geborene Vater zweier Kinder im Alter von sechs und acht Jahren seit Chotto Desh (2015) Erfahrungen gesammelt.

Sanfte Form

Dafür setzt er gern Videoanimationen ein, die bei härteren Stoffen für Erwachsene fehlen: etwa bei Outwitting the Devil, das im Vorjahr sein Impulstanz-Publikum daran erinnerte, dass die menschliche Vernichtungsarbeit an der Natur schon im Gilgamesch-Epos vor mehr als 3000 Jahren ein Thema war.

Der Video-Zeichentrick unter der Leitung von Adam Smith erscheint in Jungle Book reimagined so perfekt mit Live-Tanz, Musik (Gareth Fry) und Text (Tariq Jordan) verwoben wie nie zuvor. Das ist zwar eine sanfte Form, Kinder mit der Umweltkatastrophe bekannt zu machen, die sie vererbt bekommen. Zwischendurch allerdings peitscht ganz realistisch die verzweifelt empörte Stimme von Greta Thunberg an die Ohren.

Festival Rakete

Eine junge Generation von Choreografierenden präsentiert seit vergangenem Wochenende das Festival Rakete im Tanzquartier Wien. Den Auftakt machten die Österreicherin Julia Müllner und der in Tunesien geborene Mohamed Toukabri.

Müllners Solo How, on Floor lieferte eine ironische Auseinandersetzung mit Staub. Und Toukabri ahmte zusammen mit seiner Mutter zärtlich ein Thema nach, das vor rund zehn Jahren hip wurde: Den Auftritt mit Elternteilen kennen wir seit Doris Uhlichs gemeinsamer Arbeit Uhlich mit ihrer Mutter, Martin Nachbars Repeater. Tanzstück mit Vater oder Kaori Itos Live-Erzeugerbewältigung I dance because I don’t trust words.

Die Rakete der neuen Tanzquartier-Talente fliegt noch bis 21. Mai mit Lena Schattenberg und dem Südafrikaner Tiran. (Helmut Ploebst, 8.5.2022)