Peter Köllerer (52) im Mai 2022 vor seinem Werk "Namen" im Belvedere 21.

Foto: Heribert Corn

Peter Köllerer im November 1995 im Achtelfinale der Champions League gegen Barcelona. In Linz gab’s ein 30:27, das Auswärtsspiel ging 17:35 verloren.

Foto: Wolfgang Pichler

Aus zehn Kilogramm Plastilin hundert unterschiedliche Köpfe formen, wie soll sich das ausgehen? Es geht sich aus, aber es ist eine Kunst. Es ist die Kunst von Peter Köllerer. Freilich hat er die Masse nicht etwa in hundert klitzekleine Teile zerlegt und dann herumgefitzelt. Sondern er hat einen Kopf geformt, ihn wieder zerstört, den nächsten Kopf geformt, auch den zerstört, geformt, zerstört, geformt, zerstört, immer so fort. Fünf Jahre hat es gedauert, bis Köllerer die hundert Köpfe zusammenhatte.

Wobei – "zusammen" ist relativ, denn zusammen waren die Köpfe ja nie. Dass es nun aber doch immerhin achtzig von ihnen auf einmal zu sehen gibt, ist zunächst darauf zurückzuführen, dass Köllerer jeden Kopf vor seiner Zerstörung fotografiert hat. Und darauf, dass er die Fotoserie mit dem Titel Namen vor einigen Monaten dem Wiener Belvedere geschenkt hat. Nun hängt sie im Belvedere 21 als Teil der Ausstellung Zeit gestalten, die noch bis Anfang September läuft und auch Werke von Andreas Duscha, Julie Monaco, Anja Ronacher, Ugo Rondinone, Eva Schlegel und Günther Selichar umfasst. "Das", sagt Köllerer, "ehrt mich alles sehr."

Drei Freundschaften

Peter Köllerer, Jahrgang 1970, ist ein bescheidener Mann, man merkt ihm an, dass er nicht gewohnt ist, über sich und sein Werk zu reden. Und jetzt kommt DER STANDARDdaher und fragt ihn auch noch über Handball aus. "Das hat fast schon etwas Befremdliches", sagt er, der zwar nicht in einem früheren Leben, aber eben doch früher in diesem Leben ein Handballer war. Einer der besten in Österreich, 1999/2000 Torschützenkönig der Liga. "Ich habe gerne gespielt und auch ganz gut." Doch als Köllerer aufgehört hat, hörte er wirklich auf und freute sich, mehr Zeit für die Familie zu haben und für die Kunst.

Er war keiner von denen, die sich nach dem Rücktritt regelmäßig bei Spielen blicken lassen, über alte Zeiten reden und Schmäh führen am Buffet. "Es ist schon seltsam", sagt Köllerer. "Ich habe zehn Jahre lang Handball gespielt und da mit hundert Menschen zu tun gehabt. Aber aus dieser Zeit sind mir nicht mehr als drei echte Freundschaften geblieben." Ein Freund ist Harald Beilschmied, mit dem er in Linz gespielt hat, ein anderer Norbert Polacek, den er im Junioren-Nationalteam kennengelernt hat, und der Dritte ist Ex-Goalie Lukas Schieder, den er traf, als er eine Saison lang für Meran in Italien gespielt hat.

Tiedemann und die Furore

Mit dem Handball begonnen hat der gebürtige Linzer Köllerer bei Edelweiß, von dort kam er zu Linde Linz in die erste Liga. An der Spitze des Klubs wie des Sponsors, der zu Werbezwecken nicht selten einen Gabelstapler in die Halle stellte, stand Hans-Jürgen Willingstorfer. Der verpflichtete 1992 den deutschen Startrainer Paul Tiedemann, der 1980 die DDR zum Olympiasieg gecoacht hatte. Tiedemann formte mit Einheimischen wie Goalie Ewald Humenberger, Andi Ascherbauer, Gerald Gabl, Beilschmied und Köllerer sowie Legionären wie Zoltan Cordas ein Team, das dreimal das Double schaffte (1994, 1995, 1996), aber auch international für Furore sorgte.

Im EHF-Cup, mit dem Uefa-Cup im Fußball vergleichbar, gaben sich die Linzer 1994 erst im Finale dem spanischen Verein Alzira insgesamt 41:44 geschlagen. Im Semifinale hatte Linz bei Steaua Bukarest ein, wie Köllerer sagt, "Jahrhundertspiel" abgeliefert. "Das vergess ich nie. Die Halle war gerammelt voll, vielleicht 6000 Fans, die am Anfang wie wild ‚Steaua‘ skandierten und am Ende ‚Schande, Schande‘ riefen und Münzen aufs Spielfeld warfen." Den Gästen war alles aufgegangen, fast jeder Wurf ein Treffer, die Deckung felsenfest. Am Ende hieß es 38:23 für Linz, ein unglaubliches Resultat, im Rückspiel folgte daheim ein 21:21, reine Formsache.

In der Champions League war danach zweimal im Achtelfinale Schluss, Linz scheiterte einmal an THW Kiel, das andere Mal am späteren Champion Barcelona. Da wie dort gab’s knappe Heimsiege und klare Auswärtsniederlagen. Dem Sponsor war das zu wenig, Linde zog sich zurück, der Verein ging pleite. Auch Köllerer, der in seiner Karriere im Rückraum wechselweise links und in der Mitte spielte, zog weiter, nach Margareten, Meran, Tulln. Damit wurde eine Rückkehr nach Wien möglich, wo die Familie schon zu Margareten-Zeiten sesshaft geworden war. Seine Frau Conny hatte Köllerer schon in jungen Jahren im Campingurlaub kennengelernt, sie hat Kindergartenpädagogin gelernt und lehrt nun selbst in der Bildungsanstalt für Elementarpädagogik. Sohn Lukas, 32, ist Historiker.

10.000 Kilometer im Sattel

Peter Köllerer ist nicht nur Künstler, sondern auch Kunsterzieher im Gymnasium der Dominikanerinnen in Wien-Hietzing. Dort war er auch schon tätig, als er noch in Tulln spielte und Torschützenkönig wurde. Nur Handball wäre ihm stets zu wenig gewesen, schon in den 1990ern studierte er am Mozarteum in Salzburg Bildhauerei, später kam "Kunst und Fotografie" an der Akademie der bildenden Künste in Wien dazu. Er ist froh, die Handballjahre "weitgehend unbeschadet" überstanden zu haben. Mit sportlichem Wettbewerb hat er nichts mehr am Hut, er legt aber auf dem Rennrad gut und vor allem auch gerne 10.000 Kilometer im Jahr zurück und geht regelmäßig in die Berge.

In seinem Atelier in Wien-Neubau ist Köllerer längst mit anderen Projekten beschäftigt, bei denen er seine bildhauerischen und fotografischen Qualitäten kombinieren kann, etwa mit der Skulptur Figur und der Doppelfigur Der rote Raucher und die blaue Raucherin. Die nun im Belvedere 21 ausgestellten Köpfe sind und bleiben freilich vom Umfang her sein wichtigstes Werk. 2015 schon hatte Peter Köllerer den letzten Kopf fertiggestellt. Und fotografiert. Und wieder zerstört. (Fritz Neumann, 9.5.2022)