Corona, Halbleiter, Kabelbäume, Ukraine: Die Autobranche ist derzeit massiven Verwerfungen und Lieferschwierigkeiten ausgesetzt. Wir haben fünf Experten zur Situation befragt und dazu einen kleinen Fragenkatalog vorgelegt. Teil 2 von 5: Fritz Indra, Motorenexperte, ehemaliger Entwicklungschef bei General Motors Powertrain in Detroit.

Foto: Andreas Riedmann

STANDARD: Ist die nächste Energiekrise da (und brauchen wir bald wieder einen autofreien Tag pro Woche)?

Fritz Indra: Wir brauchen sicher keinen autofreien Sonntag. Die Leute fahren doch jetzt schon freiwillig deutlich langsamer und damit sparsamer.

STANDARD: Wirft das die E-Mobilität zurück und, wenn ja, wie sehr?

Indra: Die Neuzulassungen der E-Fahrzeuge bewegen sich schon seit längerer Zeit sowohl in Österreich als auch in Deutschland bei circa 13 Prozent. Die geplanten Streichungen der Förderungen sowohl für Plug-in-Hybride als auch für reine E-Fahrzeuge werden sie aber zurückwerfen.

STANDARD: Bei Elektroautos zeichnet sich eine Preisexplosion ab, bei konventionell angetriebenen Pkw sind die Zeiten großzügiger Rabatte vorbei, der Gebrauchtwagenmarkt ist leergefegt, und Öko-Steuerreformen verteuern das Autofahren zusätzlich: Kommt die Ära, da jeder sich ein Auto leisten konnte, an ihr Ende, oder sehen Sie das als vorübergehendes Phänomen?

Indra: Das Problem ist schon jetzt, dass durch diese vielen Verunsicherungen der Kunde bei seinem jetzigen Auto bleibt, weil er weiß, dass dieses noch viele Jahre oder Jahrzehnte halten wird. Die Anzahl der Autos nimmt trotzdem auf allen Märkten weiter zu.

STANDARD: Welches Antriebskonzept beim Automobil ist das krisensicherste – vielleicht doch der Diesel?

Indra: Egal ob Benziner oder Diesel, die sind krisensicher. Wenn ich die vielen schrecklichen Flüchtlingskarawanen einschließlich der Busse in der Ukraine sehe und mir vorstelle, die müssten alle – oder auch nur einige davon – elektrisch fahren, wird mir ganz anders.

STANDARD: Was sollte die Politik im Zweifelsfall favorisieren: Energiewende oder Sicherstellung der Energie- und Mobilitätsversorgung für alle?

Indra: Natürlich die Sicherstellung der Energie- und Mobilitätsversorgung. Noch dazu, weil die vielen Milliarden, die da in die E-Mobilität hineingesteckt werden, gar keinen Beitrag zum Klimaschutz leisten. Das Klima ist global, und so muss man auch die Herstellung der E-Autos samt Batterien beurteilen. Gesamtheitliches Denken ist essenziell, wenn man dem Klima wirklich etwas Gutes tun will.

STANDARD: Entzerrung der Lieferketten, Rückführung strategisch wichtiger Produktionsbereiche nach Europa: Die politischen Lippenbekenntnisse haben bei Corona schon nicht funktioniert. Warum sollte es anlässlich des Ukraine-Konflikts anders sein?

Indra: Man wird in Zukunft mehr auf sichere Produktionsbereiche setzen. Aber schlussendlich werden auch wieder die Kosten entscheiden. Zeitlich ist das schwer abzuschätzen.

STANDARD: Und schließlich: Warum bewältigen China, Südkorea, Japan das geballte Krisenszenario besser als Europa? Besteht nicht die Befahr, dass überhaupt China als lachender Sieger hervorgeht?

Indra: Die Asiaten sind uns im strategischen Denken weit voraus, was den Verkehrssektor betrifft. Während die EU immer noch krampfhaft am E-Auto festhält, lässt China heuer die Förderungen für diese auslaufen. Die sagen: Jetzt soll die Autoindustrie selber dafür sorgen, wie sie ihre E-Autos an den Mann bringt. Sie sind technologieoffen, und das bräuchten wir auch dringend in Europa. Nur so können wir wirklich etwas Positives fürs Klima tun. (Andreas Stockinger, 17.5.2022)