Corona, Halbleiter, Kabelbäume, Ukraine: Die Autobranche ist derzeit massiven Verwerfungen und Lieferschwierigkeiten ausgesetzt. Wir haben fünf Experten zur Situation befragt und dazu einen kleinen Fragenkatalog vorgelegt. Im letzten von fünf Teilen: Oliver Schmerold, ÖAMTC-Direktor.

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STANDARD: Ist die nächste Energiekrise da – und brauchen wir bald wieder einen autofreien Tag pro Woche?

Oliver Schmerold: Die Notwendigkeit, Energie zu sparen, war lange nicht mehr so evident wie heute. Das betrifft alle Sektoren und verlangt von der Bundesregierung einen Energielenkungsplan. In welchem Ausmaß der private Kfz-Bereich hier einen Beitrag leisten kann, muss natürlich diskutiert werden. Bei über 25 Prozent Tanktourismus, also Energieexport, kann man beispielsweise auch ansetzen! Ich denke, jede/jeder von uns wird in seinem Lebensbereich gefordert sein, einen Beitrag zu leisten. Und dort, wo es sinnvolle Alternativen wie z. B. öffentliche Verkehrsmittel oder gute Fahrradinfrastruktur gibt, sollten wir alle tatsächlich darüber nachdenken, ob wir das Auto nicht seltener nutzen können.

STANDARD: Wirft das die E-Mobilität zurück und wenn ja: wie sehr?

Schmerold: Wir erwarten hier keine bremsende Wirkung. E-Mobilität bleibt aus unserer Sicht ein wichtiger Puzzlestein im großen Bild der Zukunft der Mobilität. Der ÖAMTC fokussiert weiter auf den Ausbau der Ladeinfrastruktur in Österreich und entwickelt unter anderem maßgeschneiderte Lösungen für Unternehmen und Institutionen, um den Umstieg auf E-Mobilität, zum Beispiel in Fuhrparks, zu erleichtern.

STANDARD: Bei Elektroautos zeichnet sich eine Preisexplosion ab, bei konventionell angetriebenen Pkws sind die Zeiten großzügiger Rabatte vorbei, der Gebrauchtwagenmarkt ist leergefegt, und Öko-Steuerreformen verteuern das Autofahren zusätzlich: Kommt die Ära, da jeder sich ein Auto leisten konnte, an ihr Ende, oder sehen Sie das als vorübergehendes Phänomen?

Schmerold: In erster Linie wird sich die Behaltedauer der Pkws verlängern – diesen Effekt beobachten wir jetzt schon. Auch die Anschaffung von Zweitfahrzeugen kann sich reduzieren. Allerdings: Urbane Mobilität entwickelt sich anders als auf dem Land. Im ländlichen Raum sind die Menschen dringend auf einen Pkw angewiesen, allein schon, um ihren Arbeitsplatz zu erreichen – man denke an Pendlerinnen und Pendler bzw. generell längere Arbeitswege und fehlenden öffentlichen Verkehr. Vor allem Personen mit niedrigem und mittlerem Einkommen sind betroffen, wie Zahlen belegen. Damit aber Individualverkehr künftig und in Hinblick auf die Klimaziele leistbar bleibt, müssen alle Hebel in Bewegung gesetzt werden. Der ÖAMTC setzt dabei auf Technologieoffenheit: Saubere Antriebstechnologien sind die Zukunft – dazu gehört unter anderem die Elektromobilität, aber auch der Einsatz nachhaltig erzeugter biogener Kraftstoffe und E-Fuels, die den Vorteil hätten, dass sie direkt in der Bestandsflotte wirken würden.

STANDARD: Welches Antriebskonzept beim Automobil ist das krisensicherste – vielleicht doch der Diesel?

Schmerold: Von einer Energiekrise sind alle betroffen. Die Entscheidung für ein Antriebskonzept sollte daher wie bisher vom persönlichen Fahrprofil, darunter auch die Kilometerleistung, getragen sein – und im Falle eines E-Autos von der Möglichkeit, zum Beispiel mit eigenem Ökostrom zu laden.

STANDARD: Was sollte die Politik im Zweifelsfall favorisieren: Energiewende oder Sicherstellung der Energie- und Mobilitätsversorgung für alle?

Schmerold: Hier sehe ich keinen Widerspruch, eine Energiewende muss die Versorgungssicherheit gewährleisten, sonst kann sie nicht stattfinden.

STANDARD: Entzerrung der Lieferketten, Rückführung strategisch wichtiger Produktionsbereiche nach Europa: Die politischen Lippenbekenntnisse haben bei Corona schon nicht funktioniert. Warum sollte es anlässlich des Ukraine-Konflikts anders sein?

Schmerold: Europa hat sich seit längerem zu einem Weg der Deindustrialisierung entschlossen. Eine Rückführung wäre nur mit Relativierung der momentanen politischen Ziele möglich. Eine wie auch immer gestaltete Autarkie ist aber utopisch.

STANDARD: Chipkrise, Ukraine, Kabelbäume – das geht vielleicht am schnellsten – etc.: Wann wird die Branche wieder zu "normalen" Lieferzeiten zurückfinden?

Schmerold: Diese Frage möchten wir nicht beantworten, da können Vertreterinnen und Vertreter aus der Industrie sicher mehr dazu beitragen.

STANDARD: Und schließlich: Warum bewältigen China, Korea, Japan das geballte Krisenszenario besser als Europa? Besteht nicht die Gefahr, dass überhaupt China als lachender Sieger hervorgeht?

Schmerold: Gerade bei China handelt es sich um eine zentralistisch gesteuerte Wirtschaft mit allen damit verbundenen Nachteilen. Die momentan besser erscheinende Krisenbewältigung hat einen hohen Preis. (Andreas Stockinger, 23.5.2022)