Medienunternehmer Karl Habsburg betreibt mit Kraina FM den letzten unabhängigen Radiosender in der Ukraine.

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Wien/Kiew – Medienunternehmer Karl Habsburg betreibt mit Radio Kraina den letzten unabhängigen Radiosender in der Ukraine. Neu konzipiert als Informations- und Hilfsangebot in der Ukraine sowie ein Verbindungsglied für die Geflüchteten in ihre ukrainische Heimat, wurde der Sender unmittelbar nach Kriegsausbruch von "Kraina FM – 100 % Ukrainian" zu "Kraina FM – Resistance Radio" umbenannt. Warum der Sendername Programm ist, er mit dem Einsatz von Massenvernichtungswaffen rechnet und für viel härtere Sanktionen der EU gegen Russland plädiert, sagt Karl Habsburg im Interview mit dem STANDARD.

STANDARD: Wie funktioniert das Radiomachen in Zeiten des Krieges?

Habsburg: Man improvisiert alles. Als ich direkt nach Kriegsbeginn das erste Mal in die Ukraine gefahren bin, konnten wir unser Studio in Kiew nicht mehr verwenden und mussten auch zum Teil die Mitarbeiter aus Kiew abziehen. Ich habe sie in der Zentralukraine getroffen, wo wir gesagt haben, wir senden weiter.

STANDARD: Wie?

Habsburg: Sie haben dort mit einem Laptop Programm gemacht, und das einzige Mikrofon, das wir hatten, war eines, das man ins Telefon reinstöpselt. Ich habe dann versucht, schnell ein paar gute Mikrofone, ein Mischpult, mehr Laptops und Ähnliches zu bringen. Damit konnten wir dann auch wieder halbwegs normal Radio machen, nachdem wir uns ein kleines Studio eingerichtet hatten. Die Problematik war, dass es in einem Ort stattfinden musste, wo wir nicht gefunden werden. Wir haben uns nicht zuletzt durch unser Programm zum Ziel gemacht und dies auch unmissverständlich klargemacht bekommen. Sehr hilfreich war, dass ich bereits vor Ausbruch des Krieges die Software auf einen anderen Server einer Radiostation außerhalb der Ukraine geladen habe. So konnten wir wenigstens auf unsere eigene Software zurückgreifen.

STANDARD: Ihnen wurde klargemacht, dass Ihre Radiostation ein potenzielles Angriffsziel ist. Wie hat sich das geäußert?

Habsburg: Man hat uns gesagt, dass relativ viele Sabotageteams unterwegs sind, wobei ich aber sagen muss, das habe ich in den letzten zwei, drei Wochen jetzt eigentlich nicht mehr gehört. Vorher war das um einiges virulenter, dass Sabotageteams gewisse Ziele in der Ukraine angreifen, und da war unsere Radiostation auch dabei.

STANDARD: Aufgeben war für Sie keine Option?

Habsburg: Absolut nicht, weil ich vor allem auch gemerkt habe, dass meine ganzen Mitarbeiter gesagt haben, wir müssen das machen. Als am Anfang alle wehrfähigen Männer registriert wurden, war ich auch in der Ukraine mit meinen Mitarbeitern in ihren Bezirken unterwegs. Für mich war es faszinierend zu sehen, dass sie registriert wurden und man sich ihre besonderen Fähigkeiten angesehen hat. Und in dem Augenblick, als sie gesagt haben, sie machen Radio Kraina, hat also der zuständige Offizier gesagt: Okay, super, denkt gar nicht daran, jetzt militärisch etwas zu unternehmen. Es ist viel wichtiger, was ihr im Radio erreicht. Geht bitte zurück und macht gutes Radio.

STANDARD: Weil die Rolle des Radios so wichtig ist?

Habsburg: Was ich jetzt sage, hört sich sehr platt an, aber im Krieg bleibt die Wahrheit immer als erstes Opfer zurück. Und nachdem wir versuchen, mit den Informationen, die uns zur Verfügung stehen, so realistisch wie möglich über die Situation zu berichten, ist das sehr anerkannt.

STANDARD: Wie sieht das Programm aus?

Habsburg: Wir arbeiten mit Nachrichtenblöcken, wo wir auf der einen Seite humanitäre Nachrichten bringen. Welche Krankenhäuser können gerade was machen, oder welche Medizin wird benötigt? Und zum anderen behandeln wir natürlich auch Sicherheitsfragen. Welche Gegenden sind problematisch, und wo kann man hingehen? Da sind auch Informationen für das Militär, die wir bringen. Und dann machen wir auch Kindersendungen, weil wir festgestellt haben, dass sie extrem wichtig sind. Es gibt Kinder, die seit Monaten im Bunker sitzen. Sie sollten das Gefühl bekommen, dass es da draußen noch eine andere Realität gibt. Und das Kinderprogramm ist sehr, sehr gut angekommen.

STANDARD: Was senden Sie zum Beispiel?

Habsburg: Zum Beispiel eine Märchenstunde, aber auch eine psychologische Beratung mit einer Kinderpsychologin, die Ratschläge gibt, was man mit Kindern in so einer Extremsituation machen kann.

STANDARD: Lässt sich das ungefähr in eine Zahl gießen, wie viele Leute Ihren Sender hören?

Habsburg: Wir können derzeit die Zuhörerzahlen nicht messen, wir sind in der Ukraine aber derzeit der einzige unabhängige nationale Sender mit Nachrichten. Ich messe es zu einem gewissen Grad einfach an konkreten Beispielen. Zum Beispiel sind im militärischen Bereich aufgrund eines Virus reihenweise Computer ausgefallen. Wir wurden gebeten zu senden, dass 15 Laptops in einem speziellen Verteidigungsabschnitt gebraucht werden. Wir sind von dort innerhalb kürzester Zeit zurückgerufen worden, dass sie nach unserem Aufruf bereits so viele haben, dass sie gar nicht mehr wissen, wohin damit. Das sind die Kleinigkeiten, wo man sieht, dass es funktioniert. Wir waren in den letzten Jahren immer die größte Radiostation in der Ukraine.

STANDARD: Sie sind ja auch im Internet präsent. Welche Rolle spielt das für die ukrainischen Flüchtlinge?

Habsburg: Allein, dass wir ausschließlich ukrainische Musik spielen, das schon seit längerer Zeit und nicht erst seit Kriegsbeginn, hält die Verbindung nach Hause aufrecht. Die ukrainische Musikszene ist irrsinnig lebendig. Es gibt diese unglaubliche Masse an Flüchtlingen, die meisten wollen wieder zurück nach Hause und in die Normalität. Und da kann der Radiosender ein kleines Verbindungsglied zur Heimat sein.

STANDARD: Sie haben in einem Interview mit der "Zeit" erzählt, dass die Regierung anfangs allen Radiosendern ihr Programm überstülpen wollte. Sie haben das verweigert. Warum?

Habsburg: Man kennt sich ja als Radiomacher, und natürlich war die Diskussion da, wie verfahren wir in der gegenwärtigen Situation des Kriegs, der Invasion? Die Regierung hat ein Standardprogramm für Fernseh- als auch Radiosender, sodass die meisten Radiostationen einfach den Audioton vom Fernsehen übernommen haben. Und wir haben sofort gesagt: Nein, das machen wir nicht. Wir haben unsere eigenen Leute. Mit unserer nationalen Lizenz sind wir eine relativ große Radiostation, und als solche wollen wir unser eigenständiges Programm weitermachen. Wir haben das Glück, dass ich als Eigentümer auch das Programm bestimmen kann und wir unsere Meldungen auch über die militärische und politische Situation so realistisch wie möglich darstellen können. Und ich gehöre weder zu einer politischen Fraktion in der Ukraine noch zu einer puren Interessengruppe, und ich hoffe, dass mein Interesse für die Ukraine als Ganzes dasteht.

STANDARD: Wie viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter arbeiten derzeit für Sie in der Ukraine?

Habsburg: Ich habe 15 Mitarbeiter direkt in der Radiostation und einige Dinge, die ich ausgelagert habe.

STANDARD: Die Redaktion ist noch einem sicheren Ort untergebracht? Wie gefährlich es derzeit?

Habsburg: Wir gehen jetzt wieder zurück nach Kiew. Eine ganze Reihe meiner Mitarbeiter ist schon zurückgekehrt. Wir werden auch wieder in Kiew senden. Ein Problem war zum Beispiel, dass es in dem Gebäude, in dem unser Studio untergebracht ist, keinen Strom gab. Das hat zwei Schwierigkeiten mit sich gebracht. Eine haben wir relativ schnell beseitigt, etwa die Schäden, und mit Aggregaten konnten wir die verbliebenen Geräte recht schnell wieder zum Gehen bringen. Aber: Unser Studio ist im elften Stock, und wenn der Lift nicht geht, ist das schon eine sehr sportliche Leistung von allen Mitarbeitern, wenn sie das möglicherweise einige Male am Tag auf sich nehmen. Deswegen sind wir auf funktionierenden Strom angewiesen, bis wir wieder voll aus Kiew senden können. Ich hoffe, dass das in ein paar Tagen wieder voll funktioniert.

STANDARD: Und schätzen Sie die Lage so ein, dass es sicher genug ist, von Kiew aus zu senden?

Habsburg: Sicher ist es nicht. Wir haben etwa auch in den letzten Tagen die Bombardierungen in Lemberg erlebt. Ein Risiko geht man überall ein, wenn man Bestandteil der Kommunikation ist. Aber ich würde sagen, dass es ist ein überschaubares Risiko ist.

STANDARD: Ihr Vorfahre Wilhelm Habsburg wird in der Ukraine als Volksheld verehrt, weil er für die Unabhängigkeit der Ukraine von der Sowjetunion gekämpft hat. Wie viel hat Ihr Engagement in dem Land mit ihm zu tun?

Habsburg: (lacht) Er ist jemand, der auftaucht in Gesprächen und Diskussionen. Und in der Westukraine gibt es auch immer wieder einen Wasil-Wyschywanij-Platz oder eine Straße, die nach ihm benannt ist. Und natürlich kommt das auch im Gespräch auf. Aber nachdem der Konflikt derartig virulent ist, ist für Nostalgie nicht viel Platz ist. Das spielt derzeit keine große Rolle. Es gibt allerdings schon ein historisches Bewusstsein, das sich in der Architektur und in der Kultur widerspiegelt, das ist ganz klar.

STANDARD: Aber als Habsburger genießen Sie in der Ukraine schon einen besonderen Status, oder?

Habsburg: Ich glaube nicht, dass das Einfluss auf meine Arbeit hat. Wenn Sie irgendjemanden über Radio Kraina fragen, dann werden die Ihnen vielleicht was über die DJs und die Hauptstimmen sagen. Aber ich glaube wirklich nicht, dass es viele Leute gibt, die nichts mit Politik oder Medien zu tun haben, die wissen, dass ich irgendwas mit der Radiostation am Hut habe.

STANDARD: Wie glauben Sie, geht es weiter? Wie lange wird der Krieg dauern?

Habsburg: Ich wünschte, ich könnte das beantworten. Wir müssen uns wohl auf einen langen Konflikt einstellen. So wie es aussieht, wird sich der Konflikt im Donbass lange hinziehen. Putins Ziel war es wohl, Mariupol, oder zumindest das Asowstal-Werk, bis 9. Mai komplett einzunehmen, damit er zumindest irgendwas bei seiner Rede vorweisen kann. Hier wird sehr viel, sehr viel Energie darauf verwandt. Im gleichen Ausmaß verliert Russland in der Gegend um Charkiw herum Territorien. Da wird relativ wenig darüber gesprochen, weil natürlich das Geschehen in Mariupol wegen dieser unvorstellbaren, unmenschlichen Brutalität im Vordergrund steht. Aber konzentrieren wird sich das Ganze im Donbass. Und das ist natürlich schon ein Konflikt, der sich extrem lange hinziehen kann, und ich gehe sehr wohl davon aus, dass Massenvernichtungswaffen eingesetzt werden.

STANDARD: Warum glauben Sie das?

Habsburg: Ich glaube das vor allem deshalb, weil es einfach Bestandteil der russischen Doktrin ist. Es gibt eine Sache, die für mich an Zynismus kaum zu überbieten ist, und das ist die Tatsache, dass in der russischen Militärdoktrin die taktischen Atomwaffen als eine Waffe der Deeskalation beschrieben werden. Sie sagen: In dem Augenblick, wo die taktischen Atomwaffen zum Einsatz kommen, ist der Schock so groß, dass sie den Gegner zur Deeskalation zwingen. Das ist natürlich blanker Zynismus. Was geschieht wirklich, wenn Russland atomare Waffen einsetzt? Wird der Westen irgendwie darauf reagieren? Werden wir einfach normal weiter mit konventionellen Waffen reagieren, die eine ähnlich starke Wirkung haben wie eine kleinere nukleare Bombe? Aber die psychologische Wirkung von Nuklearwaffen ist gigantisch und auch der Einsatz von biologischen oder chemischen Waffen, mit dem wir auch rechnen müssen.

STANDARD: Das klingt nicht gut.

Habsburg: Man vergisst immer, dass das für Russland nichts Neues ist. Sie haben es in Tschetschenien eingesetzt, sie haben es in Syrien eingesetzt. Überall, wo sie aktiv sind, setzen sie chemische und biologische Kampfstoffe ein. Und wir haben ja auch gesehen, dass zum Teil die Behälter, mit denen biologische und chemische Kampfstoffe freigesetzt werden, schon geliefert nach Belarus wurden und in verschiedene Bereiche – nur noch nicht bestückt mit den entsprechenden Kampfstoffen. Es wäre keine Überraschung für die Leute, die sich auskennen, wenn es zum Einsatz kommt. Ich gehe davon aus.

STANDARD: Sie meinen, dass die Frage ist nicht, ob, sondern wann sie zum Einsatz kommen?

Habsburg: Genau, die Frage ist, wann genau? Und dass man sagt, man darf Putin nicht zu sehr reizen, sonst kommt es zum Einsatz von Massenvernichtungswaffen, ist eine völlig absurde Argumentation. Die Entscheidung ist bereits durch die Militärdoktrin gefallen und dadurch, dass er bereits früher diese Waffen eingesetzt hat – jetzt nicht nukleare, aber biologische und chemische Waffen. Er braucht keinen Vorwand des Westens für diese Waffen. Wenn es die taktische Situation erfordert, dann liegt es heute auf der Ebene eines Divisionskommandanten. Für die taktischen Nuklearwaffen ist es eine militärische und keine politische Entscheidung. Deswegen verstehe ich nicht, dass man bei uns oft sagt, man darf gewisse Dinge nicht machen, weil das würde Putin reizen. Das ist ein total falsches Argument.

STANDARD: Ein offener Brief von 28 Intellektuellen unter Federführung von Alice Schwarzer an den deutschen Kanzler Olaf Scholz sorgt nicht nur in Deutschland für Aufregung. Gefordert wird, dass Deutschland keine schweren Waffen liefert. Wie sehen Sie den Brief?

Habsburg: Das ist leider von Leuten geschrieben worden, die sich mit der Situation vor Ort nicht auskennen. Deswegen kann man ihnen auch keine Vorwürfe machen. Aber es ist halt eine absolut gravierende Fehleinschätzung. Ich würde es gar nicht überbewerten. Für einige selbsterklärte Intellektuelle ist es vielleicht notwendig, sich zu solchen Dingen zu Wort zu melden, es hat aber leider Gottes weder auf die Situation einen Einfluss, noch hat es mit der Realität irgendetwas zu tun.

STANDARD: Was muss etwa auf EU-Ebene noch passieren?

Habsburg: Der Krieg ist ja nicht nur ein Krieg zwischen Russland und der Ukraine, sondern ein Krieg, in dem es um Wertvorstellungen geht. Warum ist die Ukraine angegriffen worden? Sie ist ein Staat, der dem russischen relativ ähnlich ist, der es aber in wenigen Jahrzehnte zu einer relativ freien Gesellschaftsordnung, Rechtsstaatlichkeit und bis zu einem gewissen Grad Demokratie geschafft hat. Dass es bei den demokratischen Werten Probleme gegeben hat, ist mir völlig klar, ja. Aber gewisse Grundprinzipien der Rechtsstaatlichkeit haben existiert, und sie haben in recht kurzer Zeit einen relativ breiten Wohlstand eingeführt. Und dann muss sich Putin fragen: Was geschieht, wenn mich meine eigenen Menschen in Russland fragen, warum hat das die Ukraine und wir nicht? Und deswegen muss das gute Beispiel Ukraine beseitigt werden. Das zielt aber nicht nur auf die Ukraine ab, sondern hängt auch mit der Doktrin zusammen, dass russischsprachige Gebiete miteinander verbunden werden müssen. Momentan steht Transnistrien im Vordergrund, auch durch die Erklärung des russischen Generals von der Südfront, der gesagt hat: Natürlich müssen wir die Verbindung nach Transnistrien herstellen, was ja nichts anderes ist als eine Kriegserklärung an Moldawien. Da muss man einfach sehen, wo die Reise hingeht.

STANDARD: Wohin geht sie?

Habsburg: Dann geht es nicht nur um Transnistrien, sondern zum Beispiel auch um Territorien wie Königsberg. Die Reise nach Königsberg geht quer durch die baltischen Staaten oder durch Polen. Dort wäre dann auch Nato-Territorium massiv betroffen, aber das ist Bestandteil dieser Doktrin.

STANDARD: Wie sollte die EU reagieren?

Habsburg: Das alles führt zur Schlussfolgerung, dass der Krieg nicht gegen die Ukraine geht, sondern gegen ganz Europa. Und Dmitri Medwedew (Ex-Präsident und Vizesekretär des russischen Sicherheitsrats, Anm.) hat das vor zwei Wochen im Rundfunk gesagt: Anzustreben ist ein eurasischer Kontinent von Lissabon bis Wladiwostok unter russischer Führung. Ich meine, viel klarer kann man nicht ausdrücken, was dort als Endziel angesehen wird. Und wenn man versteht, dass der Krieg in der Ukraine nur als Stellvertreterkrieg gegen uns alle im Westen geführt wird, muss man der Ukraine wirklich alle Unterstützung geben, die sie braucht.

Ich habe wenig Verständnis dafür, dass diejenigen Bereiche, die am wichtigsten sind, und ich rede natürlich von Öl und Gas, dass die von den Sanktionen nach wie vor ausgeschlossen bleiben. Und ja, selbstverständlich würde ein sofortiges Abkoppeln von Öl und Gas Schwierigkeiten hervorrufen und bei uns zu einer gewissen Einschränkung der Lebensqualität führen. Nur wenn man sich die Alternative vorstellt und sagt, das ist ein Krieg, der gegen uns geführt wird, gegen unser Lebensgefühl, gegen unsere europäischen Werte, gegen die Prinzipien von Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Freiheit, dann muss man sagen, man müsste diese Einschränkung der Lebensqualität für einen gewissen Zeitraum in Kauf nehmen.

Es ist für mich absolut inakzeptabel, wenn die Europäische Union derzeit jeden Tag etwa eine Milliarde Dollar an Russland für Energielieferungen zahlt, sprich seit Kriegsbeginn jetzt über 60 Milliarden Dollar gezahlt hat, während die Hilfe an die Ukraine nur einen Bruchteil davon ausmacht. Das ist überhaupt kein Verhältnis. Mir fehlt jedes Verständnis, wenn man den Krieg über die Zahlungen für Energie mitfinanziert. Deswegen glaube ich sehr wohl, dass es im Bereich der Sanktionen zu noch wesentlich tiefgreifenderen Maßnahmen im Energiebereich kommen muss.

STANDARD: Und gerade auch Österreich ist halt sehr abhängig vom russischen Gas, was höchst problematisch ist.

Habsburg: Mir ist völlig klar, dass es problematisch ist. Nur: Wir tun immer noch so, als wären wir irgendwo Zaungäste, wo man sich ein Schauspiel anschaut, das halt als Krieg in der Ukraine stattfindet. Ich glaube, dass diese Einstellung falsch ist. Es ist notwendig, dass man sagt, das ist ein Krieg, der auch gegen uns geführt wird, und deswegen müssen wir auch die entsprechenden Konsequenzen daraus ziehen in der Unterstützung der Ukraine auf der einen Seite und in der Nichtunterstützung des Angreifers auf der anderen Seite. Auch wenn es bei uns Einschränkungen bringt. Das ist meine volle Überzeugung.

STANDARD: Sie haben den Besuch des Bundeskanzlers Karl Nehammer bei Putin kritisiert. Warum?

Habsburg: Ich habe ihn nur in einem Punkt kritisiert, weil ich nicht glaube, dass der Zeitpunkt da ist, dass man die Politik Putins legitimiert. Das macht man aber mit Besuchen von Staatschefs. Putin hat sich durch die unvorstellbare Brutalität dieses Krieges selbst delegitimiert. Durch den Bruch sämtlicher Normen des internationalen Rechts und der Menschenrechte hat die russische Regierung ihre Legitimität verloren. Auf der anderen Seite, das habe ich auch gesagt, hat sich Karl Nehammer in eine Position gebracht, dass er einer der Hauptzeugen sein wird, wenn Putin hoffentlich einmal vor einem Internationalen Strafgerichtshof steht. Weil Nehammer vor Ort war und er Putin, und das glaube ich wirklich, in völlig unzweifelhaften Worten die Wahrheit gesagt hat. Da ist zweifellos auch etwas Positives.

STANDARD: Und Sie sind davon überzeugt, dass Putin einmal vor den Internationalen Strafgerichtshof gestellt wird?

Habsburg: Sagen wir so: Ich bin davon überzeugt, dass er dort hingehört. Ich habe aber schon noch genügend Realismus in mir, dass ich es nicht für sehr wahrscheinlich einschätze. Aber es wäre natürlich der richtige Weg in einem rechtsstaatlichen System. Selbstverständlich. Ob es realistisch dazu kommt? Das glaube ich nicht wirklich, aber ich würde es mir wünschen. (Oliver Mark, 10.5.2022)