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Schanghai gleicht einem großen Gefängnis.

Foto: REUTERS/Aly Song

Anfang Mai – darauf hatten viele Schanghaier gehofft. Bis dahin würde die Regierung die strikten Ausgangssperren und täglichen PCR-Tests lockern. Schließlich müsste alles doch einmal enden. Das Gegenteil ist er Fall. Die Regierung der 26-Millionen-Metropole hat die Einschränkungen nun noch einmal verschärft: Innerhalb der kommenden "zwei bis fünf Tage" darf kein Essen mehr von Lieferdiensten mehr bestellt werden, und die Menschen müssen sich auf die Lebensmittellieferungen der Stadtverwaltung verlassen. Außerdem wurden die Ausgangssperren noch einmal verschärft: In den kommenden Tagen darf das Haus ausschließlich zum PCR-Testen verlassen werden.

Dafür haben die Beamten grüne Stahlgitter um die Hauseingänge aufgestellt. Die Stimmung in der Stadt ist am Boden: "Tag 39 fühlt sich an wie Tag eins", schreibt ein Schanghaier Expat auf Twitter. "Sie sagen, diese neue Phase würde zwischen zwei und fünf Tagen dauern. Der erste Lockdown sollte auch nur vier Tage dauern."

Dystopische Erfahrungen

De facto steht das Leben in Chinas Wirtschaftsmetropole seit Anfang April still. Zwar gab es vereinzelt Lockerungen, sodass die Bewohner mancher Stadtteile die Erlaubnis bekamen, spazieren zu gehen oder unter Aufsicht in einem Supermarkt einkaufen gehen zu dürfen. Mit einem normalen Alltag aber ist das nicht zu vergleichen. Hinzu kommt die Angst, doch eines Tages positiv getestet zu werden und in ein Quarantänelager gebracht zu werden. So erging es einem Blogger, der auf seiner Seite wukan.me darüber berichtet, wie er Ende April abgeholt wurde. Ohne Symptome wird er in eine Halle gebracht, wo er die kommenden Tagen mit mehreren Tausend Menschen verbringen muss.

Er beschreibt diese Erfahrung mal als "Dystopie", mal als "Tierheim" und "Liverollenspiel". Das Licht brennt die ganze Nacht. Warum es nicht ausgeschaltet wird, kann ihm niemand erklären. Der einzige private Raum beschränkt sich auf ein Nachtkästchen. Duschen gibt es nicht, Geld zählt nichts, alles wird zugeteilt, nichts der freien Entscheidung überlassen. Nach vier Tagen und zwei negativen PCR-Tests darf das Lager wieder verlassen. Andere, schreibt er, seien bis zu 18 Tage dort gewesen. Schätzungen zufolge sollen sich aktuell rund 500.000 Menschen in solchen Lagern aufhalten. Die Zahl der Covid-Toten dagegen ist gering: Laut offiziellen Zahlen waren bis Anfang Mai 535 Menschen mit oder an Covid gestorben.

85 Prozent der Expats wollen Schanghai verlassen

Die Stimmung in der ausländischen Community – rund 160.000 leben in Schanghai – ist am Boden. "Jedes Gespräch dreht sich darum, wann und wie man China verlässt", sagt ein australischer Fotograf, der seit zehn Jahren in Schanghai lebt und Ende des Jahres die Stadt endgültig verlassen will. "Wir warten nur noch auf das Visum meiner Frau und die Genehmigung für unsere Katzen." Einer Umfrage zufolge wollen 85 Prozent der Expats Schanghai noch dieses Jahr verlassen.

Unterdessen rätseln die Einwohner von Peking, ob und wann es sie auch trifft. Auch in der chinesischen Hauptstadt nimmt die Zahl der Infektionen zu, einzelne Wohnblöcke haben Ausgangssperren, Fitnessstudios sind geschlossen, der öffentliche Nahverkehr eingeschränkt. Die Tatsache, dass Peking softer behandelt wird als Schanghai, gibt Spekulationen Auftrieb, wonach Xi Jinping politischen Widersachern in Schanghai schaden will. Schließlich kann sich kaum jemand mehr außerhalb der kommunistischen Partei die Strategie erklären: Das Wirtschaftswachstum bricht ein, was die soziale Stabilität gefährdet. Zudem kommt es auch in Schanghai immer wieder zu lokalen Protesten. (Philipp Mattheis, 10.5.2022)