Pablo Gisbert und Tanya Beyeler kommen mit den Stücken "Una imagen interior" (MQ-Halle G, 18. bis 21. Mai) und "Ultraficción Nr. 1 / Fracciones de tiempo" (9. bis 12. Juni) sowie dem Labor "Cosmic Movements".

Foto: Mario Zamora

Nicht zum ersten Mal ist El Conde de Torrefiel, bestehend aus Tanya Beyeler und Pablo Gisbert, zu Gast bei den Wiener Festwochen. Die Arbeiten des spanischen Kollektivs bewegen sich an der Schnittstelle von Choreografie, Text und plastischen Bildern. Im Gespräch mit dem STANDARD erzählt Tanya Beyeler von Ultraficción Nr. 1 und Una imagen interior, die heuer bei den Festwochen zu sehen sind.

STANDARD: Durch welche ästhetischen und formalen Zugriffe zeichnet sich das Theaterkollektiv El Conde de Torrefiel aus?

Beyeler: Wir existieren seit 2010 als Kollektiv, aber wir haben gewisse Hierarchien: Pablo Gisbert und ich zeichnen für die Regie verantwortlich, am Ende entscheiden also wir. Im Entwicklungsprozess versuchen wir allerdings, auf einer horizontalen Ebene mit unserem Team zu arbeiten. Das ist zugleich ein integraler Bestandteil unserer Arbeit, denn die beruht auf einem sehr intuitiven Prozess. Das Ziel ist, Erkenntnis zu gewinnen, das Ergebnis ist jedoch überraschend formal und in gewisser Weise kühl. Das Publikum würde nie glauben, wie intuitiv und offen die Proben tatsächlich waren.

STANDARD: Wie kann man sich diese Proben vorstellen?

Beyeler: Es ist nicht so, dass wir sitzen und eine Menge lesen. Wir gehen einfach auf die Bühne und probieren. Ich erlebe das immer als sehr frustrierend. Aber es ist Teil unserer Arbeitsweise: Alles entsteht aus dem Prozess, nicht nur der Text, sondern im Grunde das ganze Stück, weshalb wir lange herumprobieren und suchen müssen, bis wir wissen, in welche Richtung es geht. Wenn ich das fertige Stück danach sehe, bin ich jedes Mal erstaunt: Ich hätte nie gedacht, dass das herauskommen würde. Es ist immer eine Offenbarung.

STANDARD: Inwiefern arbeitet das Ensemble daran mit?

Beyeler: Mehr als mit Psychologie, Sprache oder Emotionen arbeiten unsere Schauspielerinnen und Schauspieler mit ihren Körpern. Auch das ist ein sehr intuitiver Weg, Erkenntnis zu erlangen. Es ist eine Choreografie, aber nicht im Sinne von Tanz. Die Choreografie entsteht aus der Art, wie sie ihre Körper bewegen und einsetzen.

STANDARD: Sie zeigen heuer zwei Stücke bei den Festwochen. Das chronologisch ältere, "Ultraficción Nr. 1 / Fracciones de tiempo", ist als zweites davon ab dem 9. Juni zu sehen. Woher kommt der Name?

Beyeler: Ultraficción, Ultrafiktion, ist ein Begriff, den wir mochten, ohne zu wissen, was genau er bezeichnet. Ich denke, er passt sehr gut. Fiktion ist die Grundlage jeder menschlichen Existenz: Geld ist Fiktion, Mode, Theater und Kunst genauso. Fiktion ist, was uns Menschen erlaubt hat, uns über alle anderen Tiere zu erheben. Wir können uns mit ihrer Hilfe zu Gruppen zusammenschließen, sogar dazu gebracht werden, Menschen zu töten.

STANDARD: Bereits am 18. Mai ist dieUraufführung von "Una imagen interior". Was verbindet die Stücke?

Beyeler:Ultraficción Nr. 1 ist eine von vier "Etüden", die wir gemacht haben, um sozusagen unsere Muskeln als Künstlerinnen spielen zu lassen. Una imagen interior hingegen wurde für die Kunstindustrie und ein breiteres Publikum produziert und bewusst den Tourdynamiken entsprechend entwickelt. Ultraficción Nr. 1 dagegen entpuppte sich als so gut gearbeitet, dass wir entschieden, auch dieses Stück auf Festivals zu zeigen. Es wurde ursprünglich für das italienische Santarcangelo-Festival produziert, bei dem 2021 aufgrund der Pandemie alle Shows draußen stattfinden mussten. Also zeigten wir das Stück in den Wäldern, mit Sternen und Sonnenuntergang als Hauptdarstellern.

STANDARD: Wie hängen die Stücke inhaltlich zusammen?

Beyeler: Während Ultraficción Nr. 1 von der Macht der menschlichen Imagination erzählt, lässt Una imagen interior das Publikum an der Wahrnehmung eines einzelnen Individuums teilhaben. Es dreht sich vor allem um den Fakt, dass unsere Wahrnehmung sehr persönlich, aber auch gesellschaftlich geformt ist und uns manchmal daran hindert, die Welt so zu sehen, wie sie ist. Das ist ein durchaus philosophischer Ansatz, aber man kann sich diese Arbeit mehr wie ein gewaltiges Gedicht vorstellen.

STANDARD: Sie bieten daneben im Juni das Labor "Cosmic Movements" an, was erwartet die Teilnehmenden?

Beyeler: Wir sind noch in der Planungsphase, aber was ich bereits jetzt sagen kann: Eine Gruppe kann sehr starke emotionale Energie produzieren, damit wollen wir arbeiten. Wir werden den Teilnehmenden verschiedene Situationen vorlegen, etwa eine Bombe oder ein Erdbeben, und sie darauf entsprechend der den theatralen Konventionen innewohnenden Verspieltheit reagieren und interagieren lassen. Eine Hälfte der Gruppe wird immer der anderen beim Spielen zusehen, und umgekehrt. Wir wollen rohe, aber geformte Emotion schaffen. (Andrea Heinz, 9.5.2022)