Ist das noch Neubau oder schon Paris? Aus der R&Bar wurde eine Naturweinbar mit handfest köstlichem Essen.

Foto: Gerhard Wasserbauer

Uijegerl, schon wieder diese Litanei. Ist aber nötig: Gastronomisch schauen wir für ein Land mit derart explizitem Fokus auf Tourismus einfach alt aus, hoppeln den trendsetzenden Destinationen konsequent hinterher, machen neue Entwicklungen aus Prinzip nur halbwarm nach, statt uns selbst etwas Heißes einfallen zu lassen. Ist aber auch schwer mit einer derart strukturkonservativen Eingeborenenschaft, die der Besinnung auf Neues reflexartig mit "Sicher nicht" und "Freu mich schon auf den Bauchfleck" entgegentritt.

Natürlich durfte auch Moritz Herzog das mit seinem Naturweinhandel Weinskandal erleben. Aber schön der Reihe nach: Anfang der Nullerjahre war der gebürtige Kärntner für die Pannobile-Winzer tätig, irgendwann aber wurde die Faszination für jene Weine zu groß, die ihm vornehmlich in Frankreich als "Vins naturels" eingeschenkt wurden: mit Hingabe für althergebrachte Techniken, minimalen Eingriffen in Weingarten wie -keller entstandene (und nicht so sehr "gemachte") Weine, die ihn mit ihrem Fokus aufs Terroir und die Traube als Ganzem, mit ihrer Bekömmlichkeit und Würze (durchaus zuungunsten des damals noch herrschenden Diktats der Sortentypizität) in ihren Bann zogen. Herzog tat sich mit drei dieser Franzosen zusammen und gründete im Roussillon das Weingut Riberach – dem er mittlerweile nicht mehr angehört.

Parallel dazu holte er Naturweine nach Österreich und fächerte der erwachenden lokalen Naturwinzerszene ein bissl Wind unter die Flügel. In Westeuropa war der Naturwein für eine Revolution der Gastronomie gut – von Barcelona bis Kopenhagen eröffneten Weinbars mit Talenten, die in großen Küchen gelernt, ihr Können und ihre Komplizenschaft mit lokalen Gärtnern, Fischern und Fleischhauern aber auf neue, weniger elitistische Art auf die Teller zu bringen gedachten. Naturwein passte da nur zu gut dazu.

Das Essen ist genau so, wie man es sich zu den Weinen erhofft: ohne Kokolores, aber mit kraftvollem Zug zum Endorphin-Zentrum.
Foto: Gerhard Wasserbauer

In Österreich war das anders. Herzog ließ sich nicht beirren, holte hierorts als obskur verkannte Regionen wie Languedoc oder Savoyen vor den Vorhang und merkte, wie die besseren Restaurants des Landes, vom Steirereck bis zu Wirtshäusern wie dem Glacisbeisl, mitbekamen, was sich da für ein neuer Weg des Weins auftat. Die Lockdowns bestätigten das Umdenken – plötzlich wollten die guten Gäste auch zu Hause trinken, was ihnen zuvor nur von kundigen Sommeliers untergejubelt wurde.

Jetzt ging es sich für Moritz Herzog plötzlich aus, den Traum von der eigenen Weinbar wahrzumachen: ohne Prätention, aber mit gutem Essen aus Topzutaten, mit endlos vielen Flaschen, die nur darauf warten, ein bisserl Luft zu bekommen und eingeschenkt zu werden. Wie sehr sich auch andere Auskenner genau so etwas gewünscht haben, lässt sich etwa an Stephan Martin, dem Sommelier, erkennen. Er war zuvor bei Filippou und Fabian Günzel (Aend) in multipel besternten Diensten – für eine richtig lässige Weinbar dieses Zuschnitts aber alleweil bereit, den hochdekorierten Arbeitsplatz aufzugeben.

Na &?

Kann man verstehen: In der neuen Hütte, die den Vorgängernamen der Einfachheit halber ebenso unverändert ließ wie das Mobiliar und den pariserisch dicht bestuhlten Schanigarten, muss man einfach Freude haben.

Das Essen ist genau so, wie man es sich zu den Weinen erhofft: ohne Kokolores, aber mit kraftvollem Zug zum Endorphin-Zentrum; mit expliziter Freude am Gemüse, aber ebensolcher an geilen Sünden wie den Croquetas de Jamón oder erschütternd knusprigem Backteig des Fish zu den Chips (mit Malzessig!).

Spargel ist gegrillt und mit rauchiger Paprikasalsa "Salvitxada" kombiniert, gegrillte Kräuterseitlinge werden bei Tisch in den Dottern der Eier von Chefwinzerin Judith Becks Hendln geschwenkt, selbst eingesalzener Kabeljau wird mit rotem Zwiebel, Orangenfilets und Kapern zur Esqueixada. Das Brot von Joseph kann seine tragende Rolle zu alldem ideal ausspielen. Santé! (Severin Corti, RONDO, 13.5.2022)

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