"Muss es unbedingt diese Uhr sein? Die mit der Rechenschieber-Lünette?" Der Händler scheint schon leicht verzweifelt zu sein. "Ja, genau die soll es sein", beharrt der Kunde. Der Verkäufer versucht, ihm die Sache auszureden: "Brauchen Sie denn überhaupt einen Rechenschieber?" "Nein, überhaupt nicht, aber ich möchte unbedingt diesen Zeitmesser und keinen anderen."

Kauf sie doch online!, möchte man dem guten Mann zurufen. Die Krux: Diese Szene hat sich weit vor der Erfindung des Internets abgespielt, in einem Uhrengeschäft in Australien. Nachzulesen in einer Ausgabe des "Journal suisse d´horlogerie", Erscheinungsjahr 1953. Einmal ganz abgesehen davon, dass es dem Händler dann doch gelang, seinem Kunden eine andere Uhr anzudrehen: Auch wenn Markenname und Modell nicht explizit genannt werden, lässt sich herauslesen, dass es sich bei dem Objekt der Begierde nur um eine Breitling handeln konnte.

Eine Navitimer aus dem Jahr 1954 mit Rechenschieber und AOPA-Flügeln bei 12 Uhr.

Der einzigen Marke, die damals Uhren (zunächst die Chronomat, dann die Navitimer) mit einem besonderen Feature herstellte: einer drehbaren Lünette, die als Rechenschieber dient. Es zeugt auch davon, dass eine "smarte" Zusatzfunktion, damals wie heute, nicht unbedingt eine Rolle im Alltag des Nutzers, der Nutzerin spielen muss. Und wie ein Gebrauchsgegenstand zu einem Lifestyleprodukt wird.

Chrono am Burj Khalifa

Es existieren nicht viele Modelle, um die herum so viele Geschichten und Gschichtln existieren, wie um die Navitimer, deren 70. Geburtstag Breitling heuer groß zelebriert. Ende April ließ man den höchsten Wolkenkratzer der Welt, den Burj Khalifa in Dubai, gelb leuchten und zeigte ein riesiges Konterfei des Chronografen.

BreitlingOfficial

Schon davor, Ende März, warf sich der Boss der Marke, Georges Kern, in eine geliehene Pilotenuniform. Immerhin wurden die Navitimer-Neuheiten stilgerecht an Bord eines Airbus präsentiert. Sie kehrte somit in ihr ursprüngliches Habitat zurück. Denn Willy Breitling, der Enkel des Gründers, ließ sie 1952 als Fliegeruhr entwickeln.

Hoher Wiedererkennungswert

In den Jahrzehnten davor hatte die 1884 gegründete Marke einen wesentlichen Anteil an der Entwicklung des modernen Chronografen. Man rüstete die Luftstreitkräfte diverser Länder mit Bordinstrumenten aus, später auch die zivile Luftfahrt. Breitling wollte einen Chronografen mit einem kreisförmigen Rechenschieber, mit dem Piloten alle notwendigen Flugberechnungen durchführen konnten.

Musikant mit Rechenschieber an der Hand: Miles Davis mit seiner Navitimer.
Foto: APA / AFP / Eleonore Bakhtadze

Zwei Jahre später ernannte die amerikanische Aircraft Owners and Pilots Association (AOPA), nach wie vor der größte Piloten-Club der Welt, sie zu ihrem offiziellen Zeitmesser. Das Flügellogo des Verbands prangte auf der 12-Uhr-Position, damit war die "Navigation Timer" – kurz Navitimer – geboren. Ihr von Cockpitinstrumenten inspiriertes schwarzes Zifferblatt mit weißen Totalisatoren und der Rechenschieber-Lünette erkannte (und erkennt) man sofort am Handgelenk. Womit man vordergründig nicht gerechnet hatte: Die Navitimer wurde zur Designikone. Eine auf die der Stehsatz "form follows function" ganz gut passt.

Frischzellenkur

Und das, obwohl das "Armaturenbrett am Handgelenk" für manche hinsichtlich ihrer diversen Skalen eher für Verwirrung sorgte. Piloten liebten sie. Spätestens als die Navitimer bei James Bonds "Thunderball" 1965 ihren Auftritt auf der Leinwand hatte, vergrößerte sich die Fangemeinde. Der waren die praktischen Funktionen eher wurscht. Aficionados wie Jazz-Legende Miles Davis oder Chansonnier Serge Gainsbourg zogen sie wohl nicht für die Berechnung von Steigraten oder der Höhendifferenz heran. Aktuelle Träger der Pilotenuhr wie der Comedian Dave Chapelle wohl ebenso wenig.

Zum Geburtstag gibt's ein wohltemperiertes Facelift.
Foto: Breitling

Das Unternehmen machte in den vergangenen Jahrzehnten alle Höhen und Tiefen mit, die auch der Rest der Uhrenindustrie durchlebte. 1979 musste man gar die geistigen Eigentumsrechte an der Rechenschieberlünette verkaufen. Die Navitimer blieb aber in unterschiedlichen Varianten ein Fixstarter. Seit 2017 leitet Georges Kern das Unternehmen.

Er hat dem Uhrenklassiker für das Jubeljahr eine Auffrischung verordnet. Creative Director Sylvain Berneron hat diese mit Bedacht umgesetzt. Ihm beratend zur Seite stand der Wiener Unternehmer Fred Mandelbaum, der die größte Breitlingchronosammlung der Welt sein Eigen nennt. So präsentiert sich die Ikone 2022 mit Manufakturwerk, neuen Farben, in neuen Größen, Flügellogo und natürlich Rechenschieber. Eben unverwechselbar. (Markus Böhm, 12.5.2022)

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